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Titel2412

Mehr Militär – mehr Demokratie?  (Jürgen Rose)

Schon seit archaischen Zeiten brauchen Soldaten die innige Verbindung mit ihrem Stamm, ihrem Volk, ihrer Gesellschaft. Immer schon wollten und wollen sie dafür geliebt werden, daß sie bereit sind, Leben und Gesundheit hinzugeben für die Gemeinschaft. Daran hat sich auch unter den Vorzeichen von Demokratie und Globalisierung nichts geändert – hierzulande legen die seit den Kriegseinsätzen der Bundeswehr intensivierten öffentlichen Rekrutengelöbnisse, die neugestifteten militärischen Tapferkeitsmedaillen und -orden sowie nicht zuletzt das sogenannte »Ehrenmal« auf dem Appellplatz des Berliner Bendlerblocks beredtes Zeugnis davon ab.

Die Publizistin Cora Stephan spricht in ihrer Abhandlung über das »Handwerk des Krieges« von der »Kommunion« zwischen Kriegern und Volk. »Gerade in einer Demokratie«, so stellt sie fest, »erscheint es undenk­bar, von Soldaten ... zu er­warten, daß sie ihr Leben riskieren, ohne daß sie sicher sein können, daß ihr ›Opfer‹ der Gesellschaft auch etwas ›wert‹ ist.«

Freilich muß auch die Heimatfront geschlossen stehen. Denn von deutschem Boden geht entgegen völkerrechtlich verbindlich abgegebener Zusicherungen seit vielen Jahren wieder Krieg, ja sogar Angriffskrieg aus. Deutsche Soldaten kämpfen, töten und sterben für das Bündnis mit den USA, für den Fortbestand der NATO, für mehr politisches Gewicht Deutschlands auf der Weltbühne und nicht zuletzt für Wirtschaftsinteressen, wie Kriegsminister Thomas de Maizière nicht müde wird zu betonen.

Schon im »Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik und Zukunft der Bundeswehr« aus dem Jahr 2006 steht zu lesen, daß »die Sicherheitspolitik Deutschlands von … dem Ziel geleitet wird, die Interessen unseres Landes zu wahren«, worunter insbesondere fällt, »den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstands zu fördern«, nota bene: unseres Wohlstands! Und laut den aktuellen »Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR)« aus dem Hause de Maizière vom Mai letzten Jahres gehört es zu den deutschen Sicherheitsinteressen, nicht nur ganz allgemein »außen- und sicherheitspolitische Positionen nachhaltig und glaubwürdig zu vertreten und einzulösen«, was immer darunter zu verstehen sein mag, sondern auch ganz konkret »einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen«.

Gerade im Hinblick auf den letztgenannten Aspekt gibt der unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges begonnene Reform- und Transformationsprozeß, dem das deutsche Militär unterzogen wird, zu erheblichen Zweifeln Anlaß. Gemäß der Devise, daß »Waffen ja, schießen nein« keinen Sinn mache und Frieden durchaus auch mit aller Gewalt geschaffen werden müsse – denn für den Brunnenbau hätten wir ja schließlich das Technische Hilfswerk –, tritt mittlerweile das strategische Ziel des strukturellen Umbaus der Bundeswehr immer klarer hervor: nämlich die Kriegführungsfähigkeit zu steigern. Mindestens 10.000 SoldatInnen sollen zukünftig zeitgleich dauerhaft in zwei Auslandseinsätzen und einer Marinemission eingesetzt werden können. Zugleich spiegelt sich der sicherheitspolitische Paradigmenwechsel – weg von der Defensive und hin zur Offensive – auch in den systematischen Rüstungsbeschaffungsprogrammen zur Optimierung globaler Interventions- und Angriffsfähigkeit wider.

Phraseologisch verbrämt wird die neue deutsche Sicherheitspolitik im offiziellen Jargon des Bundesministeriums der Verteidigung mit Parolen wie jener, daß »von der Nation fortan erwartet« werde, »vermehrt internationale Verantwortung zu übernehmen«. Oder wie der deutsche Kriegsminister tönt: »Es ist ehrenvoll, in deutscher Uniform für eine bessere, gerechtere, freiere und sichere Welt einzutreten. Darauf können wir in aller Bescheidenheit stolz sein.«

Wie das Ergebnis solch ehrenvollen und heldenhaften Tuns mitunter aussieht, ließ sich etwa in Kundus besichtigen, wo am Morgen nach der Bombennacht des 5. Septembers 2009 an die 100 afghanische Männer, Jugendliche und Kinder zerfetzt, verstümmelt, verbrannt, krepiert als Opfer eines schneidigen Bundeswehrobersts auf dem Feld der Ehre lagen. Ob der amtierende Kriegsminister dies meint, wenn er vor dem Deutschen Bundestag die Maxime »Wohlstand erfordert Verantwortung« propagiert?

Hinter der propagandistischen Fassade tritt dagegen unverblümt die nackte Macht- und Interessenpolitik hervor, wenn aus dem Berliner Bendlerblock erschallt: »Wir haben ein nationales Interesse am Zugang zu Wasser, zu Lande und in der Luft.« Mit ihrem neokolonialistischen Unterton kontrastieren derartige Programmaussagen auffällig mit den Vorgaben aus höchstrichterlichem Munde, denn in einem epochalen Urteil aus dem Jahr 2005 hatte das Bundesverwaltungsgericht zu Leipzig besonders herausgestrichen, daß »der Einsatz der Bundeswehr ›zur Verteidigung‹ mithin stets nur als Abwehr gegen einen ›militärischen Angriff‹ ... erlaubt [ist], jedoch nicht zur Verfolgung, Durchsetzung und Sicherung ökonomischer oder politischer Interessen«. So drängt sich immer nachdrücklicher die Frage auf, inwieweit die Sicherheitspolitik dieser Republik den Boden des Grundgesetzes nicht längst verlassen hat, wenn es denn realiter um nichts anderes geht, als darum, die Globalisierung mit militärischen Gewaltmitteln durchzusetzen, vulgo: Wirtschaftskrieg für die Profitinteressen des heimischen Kapitals zu führen.

Neu ist letzteres keineswegs, denn wie konstatierte bereits im Jahre 1925 Kurt Tucholsky so zutreffend: »Der moderne Krieg hat wirtschaftliche Ursachen.« Und, so der scharfzüngigste Friedensjournalist Deutschlands weiter: »Die Möglichkeit, ihn vorzubereiten und auf ein Signal Ackergräben mit Schlachtopfern zu füllen, ist nur gegeben, wenn diese Tätigkeit des Mordens vorher durch beharrliche Bearbeitung der Massen als etwas Sittliches hingestellt wird.«

Zu diesem Behufe läßt sich die Kaste der schwarz, rot, grün und manchmal gelb gewandeten Hohepriester des globalen Interventionismus getreu ihrer Maxime »Frieden schaffen mit aller Gewalt« so einiges einfallen: feierliche Zapfenstreiche, öffentliche Gelöbnisse und Offizierbeförderungsappelle beispielsweise, die dem Militär die Gelegenheit verschaffen, zur spießbürgerlichen Erbauung im demokratischen Raum seine anachronistischen Rituale zu zelebrieren und zugleich Kanonenfutter für die künftigen Kriege anzuwerben. Denn viele neue Helden braucht das Land. Und diese neuen Helden brauchen neue Orden. Zwar existierte zuvor durchaus schon eine Auszeichnung, mit der »unter Gefahr für Leib und Leben« erbrachte, »besonders herausragende Leistungen, insbesondere hervorragende Einzeltaten« gewürdigt werden konnten, nämlich eine besondere Ausführung des »Ehrenkreuzes der Bundeswehr in Gold«. Dies freilich war den Kriegern nicht genug; für den in der Bundeswehr installierten neuen Kämpferkult bedurfte es eines richtigen Kriegsordens und so befindet sich nunmehr das »Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit« im Arsenal, das unseren neuen Helden seit einiger Zeit »für außergewöhnlich tapfere Taten« im Kriegseinsatz verliehen wird.

Wahrlich bemerkenswert nun ist dessen ornamentale Ausgestaltung. In Form und Umriß ist es an das aus preußischen Zeiten Anfang des 19. Jahrhunderts bekannte »Eiserne Kreuz« angelehnt. Was es vom herkömmlichen »Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold« unterscheidet, ist ein auf der Bandschnalle angebrachtes stilisiertes goldenes Eichenlaub. Schon dies muß zu denken geben, stellte doch das »Eichenlaub zum Ritterkreuz des Eisernes Kreuzes« eine von Adolf Hitler im Zweiten Weltkrieg gestiftete Auszeichnung für diejenigen seiner uniformierten Schergen dar, die sich durch besondere Effektivtät bei der Verrichtung ihres Tötungshandwerks hervorgetan hatten. Noch mehr zu denken geben muß jedoch der Umstand, daß das »Goldene Eichenlaub mit Schwertern und Brillanten zum Ritterkreuz des Eisernes Kreuzes« vom »GröFaZ« – dem »Größten Führer aller Zeiten« – als die höchste aller Tapferkeitsauszeichnungen für seine Mordtruppen kreiert worden war. Und genau diese Auszeichnung wurde nur ein einziges Mal verliehen, nämlich an den bis zu seinem Tode allergetreuesten und fanatischsten Auftragskiller des Diktators, den berüchtigten Stuka-Oberst Hans-Ulrich Rudel. Nicht nur, daß dieser bis zum letzten Kriegstag mit abgeschossenem Unterschenkel und blutender Prothese weiter seinen menschenmörderischen »Kanonenvogel« flog, mit dem er massenweise russische Panzer und die darin befindlichen Besatzungen vernichtete. Nein, kaum war der Orlog zu Ende, betätigte sich dieser unverbesserliche bekennende Nazi-Protagonist als Fluchthelfer für Parteigenossen und Kriegsverbrecher, als Waffenhändler für südamerikanische Diktatoren und als Propagandist für die rechtsextreme Deutsche Reichspartei, die später verboten wurde. Ein goldenes Eichenlaub also als Attribut für den Tapferkeitsorden der Bundeswehr – handelt es sich hierbei wirklich nur um Geschichtsvergessenheit oder, schlimmer noch, steckt dahinter sogar Methode?

Aber nicht nur militärischer Tapferkeitsauszeichnungen für lebende Helden bedarf es zur Legitimation der neuen Kriege der Berliner Republik. Ergänzt wird das Repertoire durch ein Kriegerdenkmal, an dem die Berliner Offiziellen einmal jährlich staatstragend ihre Kränze zum glorifizierenden Angedenken für diejenigen abwerfen können, die das ihnen verordnete Heldentum nicht er- und überlebt haben. Hierzu hat der vormalige Kriegsminister Franz Josef Jung eine bronzeeloxierte Wartehalle für den Heldentod entwerfen lassen, offiziell als »Ehrenmal« bezeichnet.

Und weil all diese Ehrenerweise für unsere schimmernde Wehr nicht genügen, ist für die Komplettierung der »heroischen« Rundumversorgung nun auch ein offizieller »Veteranentag« für ehemalige Kriegsteilnehmer in Vorbereitung – ganz nach dem Vorbild der USA. Mithin scheint nun alles getan, damit die uniformierten Handwerker des Krieges – gehirngewaschen von regierungsamtlicher Propaganda, nationalbesoffen, dressed to kill – »bereit [sind], ihr Leben und ihre Person für einen solchen Quark, wie es die nationalistischen Interessen eines Staates sind, aufs Spiel zu setzen«, wie Kurt Tucholsky einst ätzte.

Um zweierlei geht es den politkriminellen Kriegslenkern und ihren willfährigen goldbesternten Schlachtendirektoren bei ihrem Werben fürs Sterben: um das dringend benötigte Kanonenfutter sowie die breite Zustimmung der Öffentlichkeit zu den von ihnen in Szene gesetzten modernen Kolonial- und Globalisierungskriegen. Genau deshalb sollten Demokraten, denen am Frieden und am Recht gelegen ist, gegen eine Politik aufstehen, die deutsche Soldaten weltweit in den Krieg schickt und, um hierfür Gefolgschaft zu erzeugen, den öffentlichen Raum für bellizistisches Militärbrimborium mißbraucht. Denn es geht um unseren Frieden, und es geht um unsere Verfassung, und es geht um unsere Verantwortung als Nation, auf deren historischem Schuldenkonto bereits Abermillionen von Gewalt-opfern lasten und die sich deshalb vor der Völkergemeinschaft im »2+4-Vertrag« feierlich verpflichtet hat, daß von ihrem Boden niemals wieder Krieg ausgehen werde.