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Sieg für die Meinungsfreiheit  (Rolf-Henning Hintze)

Ein Münchner Kläger hat jetzt nach mehrjährigem Kampf ein wegweisendes Urteil gegen die bayerische Landeshauptstadt erstritten: Er darf nunmehr in einem städtischen Saal eine Podiumsdiskussion zum Thema »Wie sehr schränkt München die Meinungsfreiheit ein – Der Stadtratsbeschluss vom 13.12.2017 und seine Folgen« veranstalten. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof urteilte, die Verweigerung der Stadt sei »mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und daher unwirksam«, und hob damit ein gegensätzliches Urteil des Münchner Verwaltungsgerichts auf. Die Stadt hatte sich bei ihrer Verweigerung auf diesen Ratsbeschluss vom Dezember 2017 gestützt. Es bleibt allerdings fraglich, ob die Veranstaltung nun in den nächsten ein bis zwei Jahren stattfinden kann, denn Münchens SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter kündigte Revision an.

 

Der Kläger hat ein Recht auf die Benutzung öffentlicher Einrichtungen auch für Veranstaltungen dieser Art, urteilte der Verwaltungsgerichtshof. Als Träger öffentlicher Einrichtungen dürfe die Stadt zwar deren Zweck festlegen, jedoch müsse sie dabei das höherrangige Recht und insbesondere die Grundrechte beachten. Einem Bewerber allein wegen zu erwartender unerwünschter Meinungsäußerungen den Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung zu verwehren, verstoße gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG). Etwaige antisemitische Äußerungen könnten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht bereits aufgrund ihres Inhalts einen Ausschluss rechtfertigen, sondern erst dann, wenn damit die Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung gefährdet werde. Wenn eine öffentliche Einrichtung für Veranstaltungen zu allgemeinpolitischen Fragen zur Verfügung gestellt werde, dürften nicht nur die von dem Einrichtungsträger gebilligten Themen und Meinungen zugelassen werden. Veranstaltungen zu BDS seien nicht unzulässig.

 

Der Münchener Stadtratsbeschluss vom Dezember 2017 bewirkte, dass in keinen städtischen oder städtisch geförderten Räumen mehr Veranstaltungen stattfinden, in denen die internationale BDS-Kampagne (Boycott, Divestment, Sanctions) zur Sprache kommen könnte. Ziel dieser Kampagne ist es, die israelische Regierung mit gewaltlosen Mitteln zu bewegen, die Annexion palästinensischer Gebiete rückgängig zu machen, das Besatzungsregime zu beenden und grundlegende Prinzipien des Völkerrechts einzuhalten. Nach Ansicht vieler Fachleute, unter anderem auch vieler bekannter jüdischer Akademiker, ist die Kampagne nicht antisemitisch.

 

Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs löste einerseits Erleichterung und viel Lob aus, bei SPD und CSU stieß es dagegen auf Bedauern und Unverständnis.

 

Judith Bernstein, die Sprecherin der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe München, sagte, ihr habe das Urteil »den Glauben an die Justiz wiedergegeben«. In einer Zeit, »in der die leiseste Kritik an der israelischen Politik als Antisemitismus angeprangert wird und kaum ein Politiker sich traut, Kritik an ihr zu äußern aus Angst, sich dem Antisemitismusvorwurf auszusetzen, ist dieses Urteil besonders wichtig«. Die Dialoggruppe sei durch den Stadtratsbeschluss »faktisch mundtot gemacht worden«, berichtete sie später in einem Interview mit dem Webportal Marx21. Über Jahre habe die Gruppe vor allem israelische und palästinensische Gäste eingeladen, um zum Abbau von Vorurteilen beizutragen. Seit dem Stadtratsbeschluss bekomme die Gruppe jedoch keine Veranstaltungsräume mehr.

 

Der Hamburger Völkerrechtler Norman Paech sprach von »einem großen Erfolg für die Meinungsfreiheit und einer Ohrfeige für die Stadt«. In normalen Zeiten, so schrieb er in einem Gastkommentar für die junge Welt, wäre das Urteil eine Selbstverständlichkeit, denn: »Unsere Verfassung und eine funktionierende Demokratie lassen eine andere Entscheidung gar nicht zu.« Eine Revision sollte das Urteil nicht zu fürchten haben.

 

Ähnlich sieht es auch der Duisburger Rechtsprofessor Lothar Zechlin. »Es wäre überraschend, wenn das Bundesverwaltungsgericht zu einer grundlegend anderen Auffassung kommen sollte«, schrieb er in einem Beitrag für den Verfassungsblog. Die bisherige Rechtsprechung sei durch eine klare Tendenz gegen die Verweigerung der Raumüberlassungen durch staatliche oder kommunale Träger gekennzeichnet.

 

Lob kam auch von Peter Vonnahme, der früher selbst lange Jahre als Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof tätig war. In einem Beitrag der Nachdenkseiten hob er hervor, die Richter hätten der Versuchung widerstanden, sich dem politischen Mainstream anzupassen.

 

Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union (HU) meinte, das Gericht habe mit seinem gut begründeten Urteil das Grundgesetz verteidigt. Zugleich sei das Urteil eine »schwere Schlappe für den Münchner Stadtrat und den Oberbürgermeister«, erklärte der bayerische Landesverband. Er appellierte an die Stadt, keine Revision gegen das Urteil einzulegen, weil sonst die grundgesetzwidrige Praxis verlängert würde.

 

Auch das Münchner EineWeltHaus, wo es bis Ende 2017 besonders viele kritische Veranstaltungen gab, begrüßte die Entscheidung des Gerichts. Es könne nicht sein, »dass ein Stadtrat bzw. eine Stadtverwaltung in paternalistischer Manier bestimmen kann, über was in städtischen Räumen diskutiert werden kann und über was nicht«, heißt es in einer Stellungnahme.

 

Im Dezember 2017 gehörten zu den ganz wenigen Stadträten, die gegen den BDS-Antrag stimmten, die beiden Stadträte der Linkspartei. Die jetzige Stadtratsgruppe hält es für »überfällig«, dass der Stadtratsbeschluss vom Dezember 2017 geändert wird, und fordert von der Stadt, auf eine Revision zu verzichten.

 

Unglücklich über das Urteil sind vor allem Oberbürgermeister Reiter (SPD) und die CSU. Beide Parteien hatten im Sommer 2017 den Antrag gemeinsam eingebracht und schließlich durchgesetzt. Reiter nannte das Urteil »bedauerlich« und ließ erklären, »entschlossenes Handeln gegen jede Form antisemitischer Stimmungsmache« sei wichtig. Der bayerische Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle (CSU) hält nach dem Urteil neue Schritte für erforderlich, um »antisemitisch-orientierten Organisationen« die Nutzung öffentlicher Räume zu untersagen.

 

Dass es drei Jahre nach dem Stadtratsbeschluss überhaupt zu dem Urteil gekommen ist, geht auf die Hartnäckigkeit des 80-jährigen Klägers Klaus Ried, einem Physiker und früheres Mitglied des GEW-Landesvorstands, sowie einer kleinen Gruppe von Unterstützern zurück. Ihr gehören Mitglieder unter anderem der »Frauen in Schwarz«, der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe sowie von Pax Christi, SalamShalom und Attac an.