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Titel2508

Im Morast  (Dietrich Kittner)

Man verliert die Übersicht: War es nun die Hypo-Real Estate oder die Bayern LB, die gerade 30 Milliarden Euro Steuergelder abgezockt und dafür postwendend die Streichung von 5.600 Arbeitsstellen angekündigt hat? Frau Merkel hatte sich bereits vorher in vorauseilendem Gehorsam ausdrücklich bei den Geldhäusern bedankt, die großzügig »verantwortungsbewußt staatliche Hilfe akzeptieren« wollten. Da nimmt es schon nicht mehr Wunder, daß die Kanzlerin im Deutschen Bundestag öffentlich verlangte, der Regierung einen offiziellen »Finanzberater« zur Seite zu stellen. Allen Ernstes äußerte sie den Personalvorschlag: Hans Tietmeyer, bis dahin Aufsichtsratsmitglied der obskuren Hypo-Real Estate! Da erübrigt sich jeder Kommentar zur Schieflage der Nation.

»Das Wetter im Ersten« aber wird uns weiterhin täglich »präsentiert von den Finanzexperten der Commerzbank«. Schöne Aussichten. Ach, hätten sie es doch immer bei Wettervorhersagen bewenden lassen! Uns wäre viel erspart geblieben.

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Der Bundesgerichtshof hat gerade einen neuen Bußgeldkatalog aufgestellt. Demnach soll Steuerhinterziehung von über einer Million Euro zwingend mit Freiheitsstrafe ohne Bewährung geahndet werden. Beim Liechtenstein-Fan Zumwinkel belief sich die Summe der vom Munde und dem Finanzamt abgesparten peanuts auf gerade mal etwas über 1,2 Millionen Euro. Glücklicherweise haben seine Anwälte zwei Tage nach dem BGH-Urteil herausgefunden, daß wegen eines um zwölf Stunden verspätet zugestellten richterlichen Bescheids der Straftatbestand der Hinterziehung eines Teilbetrags von 226.000 Euro um genau zwölf Stunden verjährt war. Der klägliche Rest danach: 996.000 Euro, also unter der Bewährung ausschließenden Million. So ein Zufall aber auch. Vielleicht sollten wir sammeln, um dem Kleinsparer Zumwinkel die fehlenden 4.000 Euro noch schnell zu leihen?

Schon beim dritten Mal Schwarzfahren mit der Bahn gibt es Knast ohne Bewährung. Ich kann mir den Kalauer nicht verkneifen: Bei Schwarzgeld-Problemen: Zum Winkeladvokaten.
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Die hessische Viererbande der SPD hat es geschafft: Links ist megaout bei den Spezialdemokraten. Laut Spiegel erwägt sogar Frau Nahles, die Flügel zu wechseln. Sicherheitshalber – man weiß ja nicht, wie es noch kommen kann – will sie aber doch wohl die linkeste der Rechten bleiben.

Franz Müntefering dagegen hat es gepackt. Auf einer Tagung seiner Partei ließ er unlängst in Hannover sein Patentrezept heraus: »Wir standen im Morast. Doch jetzt trampeln wir den Boden fest; dann stellen wir eine Leiter drauf und klettern hoch.« Genial. Bloß: Wenn man bis Oberkante Unterlippe im Sumpf steckt, bringt auch Treten nichts mehr. – Hier zieht der Komiker neidvoll den Hut.

Von Münte selbst durfte ich einst erfahren, er sei ein »großer Kabarett-Fan« und habe in jungen Jahren sogar einmal selbst Kabarett gemacht. Damals noch bewußt.
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Den Radio-Nachrichten ist zu entnehmen, auf dem Schwarzmarkt werde gegenwärtig eine Sammlung mit Daten von 21 Millionen Bundesbürgern angeboten. Sie enthalte Namen, Anschriften, Kontonummern, Geburtsdaten und Angaben zum jeweiligen Vermögensstand. Kaufpreis: zwölf Millionen Euro. Um die Seriosität des Angebots zu belegen, sei der Düsseldorfer Wirtschaftswoche eine CD mit 1,2 Millionen Speicherungen als Kostprobe zugespielt worden.

Eine lohnende Anlage. Wenn der Käufer bei drei Viertel aller bundesdeutschen Haushalte – denn das sind 21 Millionen – auch nur fünf Euro abbuchen und dann über ein Konto auf den Bermudas verschwinden ließe, betrüge der Rohgewinn schon knapp 93 Millionen Euro. Nahezu risikolos; denn nicht jeder prüft bei einer Lastschrift von 4.90 oder 5.10 Euro groß nach – die Bank sowieso nicht. Vielleicht könnte man für dieses Bombengeschäft sogar einen Zwölf-Millionen-Kredit mit Bundesbürgschaft bekommen? Bei mehr als 800 Prozent Profit bestimmt kein Problem. Ab welchem Prozentsatz das Kapital auf die Gefahr des Galgens kein Verbrechen scheut, wußte schließlich schon Karl Marx.

Wenn ich in den letzten Jahren auf der Bühne bloß das Wort Kapitalismus in den Mund genommen habe, war mir in gewissen Rezensionen die Gattungsbezeichnung »Stalinist« sicher. Inzwischen kann man in der FAZ das Kommunistische Manifest spaltenlang nachlesen. In meiner Sammlung befindet sich ein Plakat, das eine Abbildung der Erstausgabe des o.a. Werkes zeigt und dazu den Text: »1848 veröffentlicht. 1948 vollenden! – SPD«. Vielleicht könnte man im Eilverfahren doch noch rasch eine Sonderbriefmarke zum 160. Jahrestag der Erstveröffentlichung herausbringen?

Und dann natürlich schnell ans Werk gehen.