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Titel2509

Barrosos Auswahl  (Hannes Hofbauer)

Wer hat Oettinger gewählt? Nein, nicht zum Ehemann, auch nicht zum baden-württembergischen Ministerpräsidenten, beides ist er nicht mehr und interessiert uns auch an dieser Stelle nicht. José Manuel Barroso benannte ihn am 27. November 2009 für den Posten eines der 27 Kommissare der Europäischen Union. Zuvor hatte Barroso als Präsident der EU-Kommission einen Hinweis aus Berlin bekommen, wo Kanzlerin Angela Merkel im Oktober Oettingers Rücktritt vom Amt des Ministerpräsidenten bekanntgegeben und den Schwaben gleichsam für die Aufgabe freigestellt hatte, künftighin die westeuropäische Energiepolitik zu steuern. Damals hatte Barroso auf den Namen Oettinger noch mit einem erstaunten »Was soll das?« reagiert.

Wer hat Merkel zu der Entscheidung beauftragt? Der Souverän war es nicht. Der hatte per Urnengang lediglich eine Mehrheit von CDU/CSU und FDP im deutschen Bundestag ermöglicht.

Vergegenwärtigen wir uns nochmals, was da vorging und ganz ähnlich in allen anderen EU-Staaten vorgeht: Das Volk wählt eine Legislative, diese konstituiert sich und bestimmt eine Exekutive, also die Minister, Diener, Gehilfen, Vollstrecker, wie es der lateinische Ausdruck nahelegt. Auf EU-Ebene wird diese Struktur auf den Kopf gestellt. Hier wählt die oberste Dienerin des deutschen Bundestages, die Kanzlerin, zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus den anderen 26 Mitgliedsstaaten den EU-europäischen Souverän, die Kommission. Aus der nationalen Exekutive wird flugs die supranationale Legislative. Von Demokratie, wie medial und ökonomisch deformiert sie in den einzelnen Nationalstaaten auch sein mag, ist hier nicht einmal mehr formal die Rede.

Man mag dagegenhalten: Seit dem Lisabonner Vertrag, der sinnigerweise erst vier Tage nach der Bekanntgabe von Barrosos Auswahl in Kraft getreten ist, geht nichts mehr ohne das Europäische Parlament. Und immerhin: Manuel Barroso selbst wurde von selbigem zum Kommissionspräsidenten gekürt. Doch wie das geschah, wirft ein weiteres Schlaglicht auf die Struktur der Brüsseler Union. Denn auch hier kam der Vorschlag von der nationalen Exekutive, der versammelten Dienerschaft der Souveräne. Die Ablehnung des Vorschlags durch das Europäische Parlament löste hektische Betriebsamkeit aus. Und weil beim ersten Mal im Juli nicht herauskam, wer herauskommen sollte (nämlich Barroso), wurde ein zweites Mal im September abgestimmt. Wir kennen das auch aus nationalen Beschlußfassungen, wie beispielsweise jenen in Irland oder Dänemark.

Es hakt am System, wie unschwer an der Transformation vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten zum EU-Energiekommissar zu erkennen ist. In Österreich ging die Bestimmung des Kommissars nach demokratiepolitisch gleichem Muster vor sich. Wissenschaftsminister Johannes Hahn, der wegen Plagiierung seiner Dissertation ins Gerede gekommen war, den Studierendenprotesten hilflos gegenüberstand und zuletzt mit dem Vorwurf eines grünen Abgeordneten konfrontiert wurde, er sei in seiner früheren Funktion als Vorstandsmitglied des Glückspielunternehmens Novomatik bei einer Schwarzgeldübergabe dabei gewesen, wird national aus dem Verkehr gezogen und darf nun – hast Du’s nicht gesehen – supranational zukünftig 350 Milliarden Euro im Ressort für Regionalpolitik ausgeben. Keine Wahl hat dafür stattgefunden, außer daß sich Österreichs Kanzler und Vizekanzler darauf verständigt haben. Oder nehmen wir den von Ungarn nominierten Kommissar Laszlo Andor. Ein sympathischer Mann, wissenschaftspolitisch links stehend, nominiert von den zu Sozialdemokraten gewendeten Postkommunisten, denen zur bevorstehenden nationalen Wahl noch zehn Prozent vorausgesagt werden (2006 waren es 43 Prozent gewesen). In Ungarn würde niemand Andor wählen, schon weil ihn außerhalb der universitären Szene niemand kennt. Inhaltlich wird er mit seinem Sozialressort ziemlich alleine dastehen, aber das wird wohl wegen der Bedeutungslosigkeit desselben nicht auffallen, denn von den 27 Kommissaren ist die übergroße Mehrheit liberal gesinnt: konservative Schale, liberaler Kern, Oettingers eben.

Die bestimmenden Kräfte in der Brüsseler Kommission sind Menschen, die zu Hause auf nationaler Ebene keinen Urnengang gewinnen würden. Deshalb muß die Exekutive sie abseits von demokratischen Abläufen bestimmen. Das EU-Parlament darf oder besser: muß seit Lissabon den Vorgängen zustimmen. Wie das auch dann läuft, wenn sich das Parlament weigert, die Vorgaben aus den Staatskanzleien umzusetzen, hat der Fall Barroso eindrücklich gezeigt.

Der Vorteil dieser Vorgehensweise für die Handlungsfähigkeit der Brüsseler Institutionen besteht, einfach gesagt, darin, daß demokratisch nicht legitimierte Kommissare schneller und skrupelloser bereit sind, den Vorgaben der Wirtschaftslobby zu folgen. Dem Souverän sind sie ja nicht verpflichtet.