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Titel252013

Kolumbus in Ossietzky  (Jochanan Trilse-Finkelstein)

Kleine ergänzende Entgegnung beziehungsweise entgegnende Ergänzung auf Susanna Böhme-Kubys Artikel in Ossietzky 24/13: Mein »abschätziges« Urteil über »Kolumbus« von Hasenclever/Tucholsky gab ich nicht mit Worten Benjamins oder anderer ab – diese bildeten lediglich den bestärkenden Schlußsatz. Es handelt sich um ein schwaches Stück eines literarischen Großmeisters der Prosa, was ein Theatermensch wohl einzuschätzen vermag. Eine schwache Wirkungsgeschichte bestätigt mich. Nur sechs Vorstellungen (nicht Aufführungen – eine Aufführung ist eine Inszenierung, Vorstellungen deren Wiederholung) dieser Produktion von 1932 gab es insgesamt. Glück im Unglück: Die Randale der SA schadete der Aufführung, doch nutzte dem Stück, das seinen Ruhm auch durch seine Mißhandlung durch die äußerste Rechte erhielt, die beide Autoren – jüdisch und antiimperialistisch – von grundauf gehaßt hatte. Und die Darstellung entsprechender Inhalte!

Es ist eine uralte literarische und dramatisch-theatralische Erfahrung: Es gibt viele großartige stofflich-thematische Ansätze gesellschaftlicher Erfahrung seit griechisch-römischer Antike, chinesischen Spielen verschiedener Kaiser-Dynastien, des europäischen Mittelalters mit seinen Mysterien-Spektakeln, Dramen der Klassik wie der Moderne, die bedeutende Erkenntnisse über soziale, politische wie kulturelle Zusammenhänge liefern und dennoch mäßige, gar schlechte Stücke sind. Es liegt am sogenannten Inhaltismus, dem Gegenstück zum Formalismus. Man kann sie bei den Elisabethanern finden wie bei den französischen Klassizisten (Corneille, Racine, Rotrou – hier eher umgekehrt; hier erledigt mitunter die Form den Inhalt); man sieht es in der deutschen Klassik, sogar bei Goethe, von den Stürmern und Drängern abgesehen, später bei Grabbe, Grillparzer und Hebbel; auch die zwei »Tragödien« Heines mit ihren ernsten Themen (Judenhaß, Sozialkonflikte) scheiterten an ihrer nicht beherrschten Dramaturgie. Gleiches bei Hauptmann oder den so rebellischen Expressionisten: Hauptmann arbeitete in seine Atriden-Tetralogie viel Richtiges über den NS-Faschismus ein, doch unbewältigt, und sie blieb ein mißlungenes Werk. Ist gar Peter Weiss mit allen Bühnentexten zu retten? Soll man bei Georg Kaiser nachforschen – es gibt Ähnliches. Friedrich Wolf büßte mehr als sein halbes Werk durch Nichtbewältigung wichtiger Inhalte und Stoffe ein. – Nur Brecht muß man hier herausnehmen – er verschenkte wenig, was bei Hacks und Müller, Braun und Mickel noch zu prüfen wäre. Wo sind Kipphardt, Sperr und Walser (als Dramatiker) geblieben, nur Reinshagen erscheint noch ab und zu.

Gleiches in der französischen Romantik zwischen Balzac und den beiden Dumas‹. Ausgerechnet den feinen Georges Courteline mit seinen eleganten Farcen und Vaudevilles schiebt Susanna Böhme-Kuby vor – sicher, weil Tucho den mochte. Doch er als Stücke-Verfasser ist meilenweit von diesem entfernt. Auch bei den erfolgreichen modernen Franzosen von Anouilh bis Sartre, Genet und Ionesco fällt vieles inzwischen aus. Und im englisch-irischen Bereich: Selbst dem großen Shaw ist nicht alles gelungen, da ihm seine sonderbare Philosophie den Realitäts-, mithin den Stoffblick zuweilen verstellt hat, bei Noel Pierce Coward verlief es ähnlich; bei Beckett verlieren sich die zahlreichen »kleinen Stücke«, »Godot« und »Endspiel« sind geblieben. Auch die russischen Realisten haben nicht nur gute Stücke hervorgebracht: Von Gogol schafft es fast nur »Der Revisor« auf die Bühne, manchmal »Die Heirat«; »Die Nase« als Oper von Schostakowitsch, »Der Mantel« als Mimodrama von Marcel Marceau. Selbst Gorki mit seinen realitätssatten Texten hat es schwer auf der Bühne: »Nachtasyl« ausgenommen. Fast die gesamte revolutionäre Sowjetdramatik ist dahingegangen, meist an Sujetfragen, am Inhaltismus.

Kann aus dieser nahezu glänzenden Reihe von Weltdramatik ausgerechnet der Nichtdramatiker Tucholsky ausgenommen werden – trotz herausragender Sicht der Welt- und Gesellschaftszusammenhänge, seiner Inhalte, seines Dagegen – doch hilflos beschrieben – im Drama. Es genügt nicht zu wissen, man muß auch können. Er war kein Dramatiker – unser Meister! Vielleicht hilft einmal ein wirklich großes Regieteam (Dramaturg, Spielleiter, Szenograf) mit kongenialen Darstellern, diesen Stückrumpf zu Theater zu machen!! Vielleicht regt unser Streit hierzu an!