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Titel2517

Bemerkungen

Russland in Zahlen

In einer repräsentativen Umfrage in Russland zur »Führung des Landes« beurteilten jüngst 83,2 Prozent der Befragten die Tätigkeit des Präsidenten positiv. Der Premierminister kam auf 52,1 Prozent Zustimmung, die Regierung auf 57,6 Prozent. Bei der Bewertung der »Tätigkeit staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen« rangierten mit 90,3 Prozent »die Streitkräfte Russlands« an der Spitze; es folgten unter anderem »die Orthodoxe Kirche Russlands« mit 75,0 Prozent, »die Massenmedien« mit 63,8 Prozent, »die politischen Parteien« mit 45,5 Prozent, »das Gerichtswesen« mit 43,7 Prozent und am Ende »die Gewerkschaften« mit 36,6 Prozent.

 

Gerd Kaiser

 

 

Die Angaben entstammen der Wochenzeitung Argumenty i Fakty, Moskau, Nr. 45, vom 8.-14.11.2017, S. 2.

 

 

 

Kurz notiert

Jeder Mensch lebt in der Annahme, dass er eine Ausnahme ist.

 

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Der Weg ist das Ziel – das ist die schönste Definition des Hamsterrads

 

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Wenn die Wortschalen platzen, treten die Ideenkerne ans Licht.

 

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Notwendigkeit ist eine bündige Zusammenfassung von Zufällen.

 

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Ein guter Mensch entschuldigt sich für seine bösen Absichten, ehe er ihnen nachgibt.                          

 

Norbert Büttner

 

 

Entlarvende Materialfülle

Im medialen Gezerre um die Alternative für Deutschland (AfD) gerät oft in den Hintergrund, dass in unserem südöstlichen Nachbarland schon seit Jahren eine Partei aktiv ist, die erfolgreich Marktradikalismus mit stockkonservativen bis offen rassistischen Inhalten zu kombinieren versteht. Gemeint ist die FPÖ, die Freiheitliche Partei Österreichs.

 

Der österreichische Journalist Herbert Auinger beschreibt in seinem aktuell erschienenen Werk allerdings nicht die Entstehung und Historie dieser Partei, die es kürzlich schon in eine gefährliche Nähe zur Regierungsübernahme im Alpenstaat geschafft hat. Ihm geht es um eine kritische Auseinandersetzung mit der Ideologie der FPÖ, wie diese den Schulterschluss der radikalen Rechten mit großen Teilen der bürgerlichen Gesellschaft herstellen konnte.

 

Auinger kritisiert zunächst die großen Medien, deren Kritik an der FPÖ sich zumeist darin erschöpft, Äußerungen führender Politiker nach »Reizwörtern« durchzuscannen und sich an diesen hochzuziehen. Die Rezeptur der FPÖ gegen solch primitiven Journalismus ist einfach: Vermeide bereits »verbrannte« Begriffe, und du kannst deine Ideologie ungestört unter die Leute bringen. Der Autor hat daher umfängliche programmatische Schriften der FPÖ durchgearbeitet und belegt detailliert die krude Gedankenwelt »freiheitlicher« Ideologen.

 

Diese erschöpft sich in weiten Teilen in Phantasien von einer feministischen Weltverschwörung, die im Bündnis mit dem Marxismus-Leninismus dabei ist, die Bevölkerung zu »zwangsgenderisieren«. Die zweite große Gefahr sieht die FPÖ in der Auflösung der nationalen Kultur im »Multikulturalismus«. Migrant/innen bescheinigt die FPÖ daher reflexartig »Integrationsunwilligkeit«. Zugleich wird aber eben diese angestrebte Integration zielgerichtet erschwert, weil sie ja die traditionelle Kultur zerstöre.

 

Auingers Analyse artet manchmal leider in pure Gegen-Polemik aus. An anderen Stellen belegt er jedoch anhand konkreter Beispiele die Haltlosigkeit von Propagandabehauptungen der FPÖ, zum Beispiel Einwanderung bedrohe ansässige Bio-Österreicher. Er zitiert in diesem Zusammenhang die Antwort eines Betroffenen: »Diverse FPÖ-Recken haben schlicht einen Verfolgungswahn.«

 

Ja, und was ist nun die Aussage des Buches? Der Autor schildert den Siegeszug der FPÖ als einen Zwergenaufstand frustrierter Kleinbürger, die sich unter dem Druck des Weltmarktes wieder unter die schützenden Fittiche des klassischen Nationalstaates verkriechen wollen. Dass es ein solches Zurück ins 19. Jahrhundert überhaupt nicht geben kann, wird im Buch leider zu wenig thematisiert. Zu empfehlen ist das Werk – schon aufgrund der darin enthaltenen Materialfülle – trotzdem.                            

 

Gerd Bedszent

 

 

Herbert Auinger: »Die FPÖ. Blaupause der Neuen Rechten in Europa«, Promedia Verlag, 198 Seiten, 17,90 €

 

 

 

Mundhaltung

Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht mit Gewicht.

 

Für die falsche Meinung gilt das selbstverständlich nicht.     

 

Günter Krone

 

 

Spanische Petitessen

Süffisant meldeten die spanischen Tageszeitungen, dass José Manuel Maza Martín am 18. November 2017 in einem Krankenhaus in Buenos Aires, Argentinien, gestorben ist. Mit einer höfischen Zeremonie war Maza in Anwesenheit des spanischen Königs Felipe VI. am 25. November 2016 feierlich ins Amt des Generalstaatsanwalts eingeführt worden.

 

Nach seinem Studium arbeitete Maza zunächst als Rechtsanwalt, war für die Spanischen Eisenbahn tätig. Danach wurde er Richter – zuerst in der Provinz, dann ging er nach Madrid an ein Bezirksgericht. Zu dieser Zeit festigte er als Sprecher einer Richtervereinigung seinen Ruf, im Gleichklang mit der konservativen Justiz in Spanien zu stehen. In 14 Jahren als Richter am Obersten Gerichtshof in Madrid unterzeichnete Maza zahlreiche Urteile und Einzelabstimmungen, stellte sich auch gegen einen Freispruch des Richters Baltasar Garzón, der wegen der Verbrechen des Franco-Regimes im Lande ermittelte. Nach Mazas Plädoyer wurde Baltasar Garzón 2012 vom Richteramt in Spanien entbunden und so mit Berufsverbot belegt.

 

In jüngster Zeit entwarf Maza Klagen für den Obersten Gerichtshof in Madrid für einen zweiten Prozess gegen den Podemos-Generalsekretär Pablo Iglesias und die frühere Nummer zwei der Partei, Íñigo Errejón. Seit Mitte 2017 beschäftigte sich Maza mit Kataloniens Unabhängigkeitsreferendum. Am 13. September erteilte der spanische Generalstaatsanwalt Maza den Staatsanwaltschaften in Barcelona, Tarragona, Lleida und Girona die Weisung, gegen die Bürgermeister von 712 Gemeinden vorzugehen, die sich für das Referendum ausgesprochen hatten. Sie sollten vorgeladen, notfalls auch festgenommen werden. Außerdem drohte Maza den Bürgermeistern mit hohen Haftstrafen und Berufsverbot. Der Generalstaatsanwalt wies die Kommandanten der Polizeieinheiten von Guardia Civil, Policía Nacional und Mossos d’Esquadra an, alle Urnen, Stimmzettel nebst Umschlägen und weiteres Abstimmungsmaterial zu beschlagnahmen.

 

Zuletzt erhob Maza am 31. Oktober 2017 Anklage vor dem Obersten Gerichtshof gegen das Präsidium des katalanischen Parlaments wegen Rebellion, Aufwiegelung und Veruntreuung. Ein von Spanien angestrengter Europäischer Haftbefehl vom 2. Dezember gegen
Puigdemont und einen seiner Minister wurde inzwischen wieder aufgehoben.

 

*

 

Während ihrer Amtszeit ließ sich die Präsidentin der Autonomen Region Madrid, Esperanza Aguirre, in Chamberí einen Golfplatz bauen. Die Juristin gehört dem spanischen Hochadel an. Nach einem Studium der Rechtswissenschaft schlug sie zunächst eine Beamtenlaufbahn ein. Als Mitglied der Partido Popular (PP) wurde sie dann jedoch in José María Aznars erster Regierung Ministerin für Bildung und Wissenschaft, gehörte seinem Kabinett von 1996 bis 1999 an. Anschließend war sie bis 2002 Senatspräsidentin, ab 2003 dann Präsidentin der Autonomen Region Madrid. 2012 trat Esperanza Aguirre aus gesundheitlichen Gründen zurück. Im März 2015 versuchte sie als PP-Kandidatin für das Bürgermeisteramt von Madrid einen Neustart, unterlag jedoch knapp. Wegen schwerwiegender Korruptionsvorwürfe gab sie am 14. Februar 2016 als Präsidentin der Partido Popular der Autonomen Region Madrid ihr Amt auf. Aus den ihr noch verbliebenen Ämtern – Sprecherin der PP-Fraktion im Rathaus von Madrid und Ratsherrin – schied Esperanza Aguirre am 24. April 2017 aus. Als letzte Erinnerung an Esperanza Aguirres Wirken wird Mitte 2018 der nicht genehmigte private Golfplatz in Chamberí beseitigt. Lange hatte dafür die Madrider Bürgermeisterin Manuela Carmena gekämpft. Die Kosten für den Rückbau zur Parklandschaft betragen 300.000 Euro.                   

 

Karl-H. Walloch

 

 

Menschenbilder

Die kleine, fast zerbrechlich wirkende, einfühlsame Frau hatten wir in unser Herz geschlossen. Vera Singer zeichnete unermüdlich, ihre Skizzenbücher waren voll. Die letzten Arbeiten zeigten, wie schwer ihr das zunehmend fiel. Die Augen, die so viel gesehen hatten, versagten allmählich den Dienst. In ihrer Wohnung im sechsten Stock eines Hochhauses in der Berliner Leipziger Straße freute sich die Malerin über die Sonne und über jeden Anruf, denn sie war oft sehr allein. Selten sprach sie über ihr Leben.

 

Mit zwölf Jahren war sie mit ihren Eltern aus dem faschistischen Deutschland nach Paris emigriert. Von dort kam sie aus dem inzwischen okkupierten Frankreich 1942 in die Schweiz und nahm künstlerischen Unterricht in Lugano bei Imre Reiner, dem aus der Wojwodina stammenden Buchgrafiker und Schriftkünstler, der mit Paul Klee und Oskar Schlemmer befreundet war und dessen Einfluss auf die damals fünfzehnjährige Schülerin wichtig gewesen sein muss. Auch später hatte sie Glück mit ihren Lehrmeistern: mit Max Gubler und Johannes Itten an der Kunstgewerbeschule in Zürich, mit Hans Gött und Toni Stadler nach ihrer Rückkehr nach Deutschland an der Kunstakademie in München und schließlich, während ihres Studiums an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee, mit Ernst Vogenauer, Herbert Behrens-Hangeler und Arno Mohr. Sie war die letzte, die ihre Meisterschülerschaft an der Akademie der Künste bei Max Lingner absolviert hatte.

 

Wir bewunderten ihre Arbeiten. Auf zartes, durchsichtiges Japanpapier brachte sie ihre Motive mit zeichnerischen und farbigen Mitteln auf. Ihr Anliegen war es, Menschen in ihrem Wesen zu erkennen, sich in sie zu versetzen, sich vorsichtig anzunähern. Vera beobachtete sie auf der Straße, in der U-Bahn, im Kaufhaus. Es entstanden Einzel- und Gruppenporträts, zufällig wirkend, aber wohldurchdacht, immer konzentriert auf das Menschenbild. Einige ihrer wenigen Landschaften waren arkadisch wie die Bilder von Thomas J. Richter, ihrem Malerfreund, dessen bildnerische Sprache auch bei der Menschendarstellung der ihren ähnelte. Ihre letzten Werkschauen in Berlin waren große Erfolge.

 

Die »Wende« traf sie schwer. In einem ihrer Kataloge schrieb sie: »Plötzlich, mit dem Ende der DDR, war für mich die Identität verloren. Wusste ich etwas mit dem Gedanken anzufangen, als ich erfuhr, dass ich meine Jahre im Irrtum verbracht haben sollte? … Die Essenz meiner Geschichte ist Hoffnung. Der Gedanke an Abgeschlossenheit kommt nicht auf, wo sich das Persönliche öffnet und das Allgemeine verschließt … Nun haben sich Maße und Ziel verändert. Die Zukunft ist weit abgerückt aus dem Gesichtskreis. Das Vernünftige bleibt in der Schwebe und das Ungewisse ist jetzt der Alltag. Sicherheit hat für mich auch was zu tun mit Würde.«

 

Am 27. November starb sie im Alter von 90 Jahren. Sie hinterlässt ein umfangreiches Werk.                 

 

Maria Michel

 

 

 

Glück im Unglück

Maud Lewis (Sally Hawkins) leidet seit ihrer Kindheit an rheumatoider Arthritis. Ihre Gelenke sind zerstört, sie zieht ein Bein nach, hält die Hände angewinkelt an den Körper. Maud wird von ihrer Tante Ida (Gabrielle Rose), bei der sie im kanadischen Nova Scotia lebt, als billige Haushaltshilfe ausgenutzt, was diese nach außen hin als schwere Bürde hinstellt.

 

Als Maud erfährt, dass ihr Bruder gegen ihren Willen das elterliche Haus verkauft hat und sie nie wieder selbstständig leben soll, verlässt sie die Tante und nimmt eine Stelle als Haushälterin des mürrisch-aggressiven Fischhändlers Everett Lewis (Ethan Hawke) an.

 

Der Film »Maudie« ist der Biografie der kanadischen Folk-Art-Malerin Maud Lewis nachempfunden. Er erzählt die einfache Geschichte zweier Menschen, die das Leben arg gebeutelt hat und denen das Selbstbewusstsein fehlt, sich als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft zu fühlen. Ein Zufall führt beide zueinander. Den Konflikt mit ihrer Umwelt lösen Maud und Everett auf unterschiedliche Weise: sie durch Unterwürfigkeit und Flucht in eine kreative Tätigkeit, das Malen naiver Bilder, er durch ein heftiges grimmig-menschenfeindliches Gebaren. Wie sich der Mann als ehemaliges Heimkind, das niemals Mutterliebe genossen hat und bei jeder Gelegenheit um sich schlägt, durch eine »verwachsene«, kleine, schwache Frau, die als »Krüppel« verlacht und entmündigt wird, langsam verändert, und wie das mittels der Kunst geschieht, die Maud für sich entdeckt, das ist Inhalt des Films.

 

Der Film lebt von der außerordentlichen Mimik und Gestik der beiden Hauptpersonen, feinfühlig und punktgenau gespielt. Man erlebt, wie Maud die Farbe als Ausweg aus ihrem Unglück entdeckt, man fühlt, wie sich ihre von der Arthritis mitgenommenen und kaum noch beweglichen Hände ausstrecken nach der Farbe und nach Wand, Brettern, Karton und anderem Leinwandersatz, man sieht Maud im Zeitraffer schließlich ein ganzes Leben bewältigen, indem sie das Glück entdeckt, so zu malen, dass es anderen Menschen Freude macht. Der aggressive Charakter des Mannes wird dabei langsam aufgebrochen.

 

Ein schöner Film über die Kraft der Farben und Formen der Natur, über das menschliche Unglück. Ein Film, der Mut macht.

 

Unser Unglück ist eine Lebensaufgabe, und wie wir es bewältigen, ob wir dabei Mensch bleiben oder nicht, davon erzählt dieser Film auf eine besondere, originelle Weise. Sehr empfehlenswert!

 

Anja Röhl

 

 

»Maudie«, Kinofilm von Aisling Walsh

 

 

 

Warnung vor der Zukunft

Begeistert vom letzten Roman »Unterleuten« stürzte ich mich auf das neue Buch von Juli Zeh »Leere Herzen« und hatte Mühe, die Autorin wiederzufinden. Wo in »Unterleuten« pralles Leben und handfeste Konflikte agierten, dominiert hier Ausgedachtes. Aber es handelt sich auch um ein ganz anderes Genre, denn der Roman ist als Politthriller angekündigt. Er spielt in einer Zeit »nach Merkel«. Eine »Besorgte-Bürger-Bewegung« regiert. Die Menschen folgen nur noch eigennützigen Interessen und haben den Glauben an eine Veränderung der Gesellschaft verloren. So hat auch Britta eine Geschäftsidee verwirklicht, die mit dem Tod spekuliert und im schlimmen Falle Terroristen verkauft. Diese Welt ist wirklich widerlich, alles ist clean und geordnet, aber das ist nur die Oberfläche. Juli Zeh will warnen, vielleicht ein bisschen zu konstruiert und kopflastig, denn begeistert hat mich das Buch nicht.  

 

Christel Berger

 

 

Juli Zeh: »Leere Herzen«, Luchterhand. 348 Seiten, 20 €

 

 

 

Walter Kaufmanns Lektüre

Wer auf Seite 33 der Klaus-Stuttmann-Karikaturen von 2017 die zerknirschte Statue of Liberty vor dem Lageso-Mitarbeiter sitzen sieht und fragen hört: »Sie sind also Flüchtling und kommen aus einem für Sie unsicheren Herkunftsland …?«, der hat mit einem Blick ein Stück unserer schießwütigen Welt erfasst. Und zugleich eine Menge USA-Wirklichkeit. Oh, dieser Stuttmann – man nenne mir den Politiker, dessen Auftritte bewirken, was Stuttmann mit seinen Karikaturen bewirkt. Der Mann ist ein Satiriker mit Durchblick. Er regt zum Denken an und zeigt sich cleverer als der cleverste Hofnarr – und komischer auch. Zum Schießen, wie man so sagt!                       

 

W. K.

 

Klaus Stuttmann: »Alles Fake! Politische Karikaturen 2017, mit Texten von Walther Fekl, Schaltzeit Verlag, 224 Seiten, 19,90 €

 

 

 

Weihnachten – eine Pfundsidee?

Man will es nicht glauben …, aber haben Sie sich nach den Feiertagen schon einmal auf die Waage gestellt? Schreck lass nach! Die Waage muss kaputt sein. Wie sollen wir die überzähligen Pfunde nur wieder herunterbekommen? Ja, die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr waren kalorienträchtig. Rehrücken mit Preiselbeeren, Kaninchenkeulen mit Grünkohl, Gänsebraten mit Rotkraut, Karpfen blau, gefüllte Pute und wie sie alle hießen – die traditionellen Festtagsbraten. Und dann die reichgefüllten bunten Teller mit Lebkuchen, Pfefferkuchen, Omas selbstgebackenen Plätzchen und diversen Nougat- und Marzipanköstlichkeiten. Dazu Apfelsinen, ein paar Nüsse und der essbare Baumbehang. Unsere kulinarischen Sünden wollten kein Ende nehmen.

 

Müssen wir Weihnachten eigentlich unentwegt essen? Wir tun gerade so, als hätten wir das ganze Jahr gehungert. Weihnachten – das Schlemmerfest. Es geht nicht mehr um die Krippe mit Ochs und Esel, nein, Weihnachten steht ganz im Zeichen von Gänseleber und Entenbrust. Dank der Festtagsangebote in den Einkaufszentren und dank der unermüdlichen Hausfrauen und -männer!

 

Der mahnende Zeigerausschlag an der Personenwaage ist jedoch nicht nur der gewichtige Beweis für unsere weihnachtliche Hemmungslosigkeit, nein auch Indiz für unsere Trägheit in den letzten beiden Wochen. Die einzigen körperlichen Betätigungen waren doch das Aufsagen des Weihnachtsgedichtes und der Gang zum Kühlschrank. Doch nun ist Schluss mit der Völlerei. Weihnachten ist vorbei. Kalorienbewusstsein, Fasten und Waldlauf sind in den nächsten Wochen und Monaten angesagt, damit wir im Dezember wieder fit sind für das nächste Schlemmerfest.                  

 

Manfred Orlick

 

 

Zuschrift an die Lokalpresse

Da soll mal einer sagen, die Medien würden nicht zur Bereicherung unserer bundesdeutschen Muttersprache beitragen! Wenn ein Moderator eine Sendung eröffnet – egal, ob es sich um eine Quizrunde, eine Talkshow oder eine Trauerfeier für eine prominente öffentliche Person handelt –, fehlt nie die Ansprache: »Schön, dass Sie da sind!« Und jedem Krimi würde etwas fehlen, würde der Leiter einer Sondergruppe nicht ab und zu seine Mitstreiter mit der lobenden Feststellung »Gute Arbeit!« zu noch höherem Scharfsinn ermuntern. Oder: Wenn ein Verdächtiger oder ein Zeuge in derselben Angelegenheit zum vierten Male von Ermittlern mit Blaulicht in den Augen heimgesucht wird, begrüßen selbige sie mit hoher Wahrscheinlichkeit mit den Worten: »Ach, Sie schon wieder! Ich habe Ihnen doch schon alles gesagt!« Worauf der Beamte beziehungsweise die Beamtin begütigend einräumt, dass er oder sie noch zwei Fragen habe, es sei »alles nur reine Routine«. Und wenn er oder sie dann endlich geht, verabschiedet er oder sie sich mit den Worten »Falls Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie bitte diese Nummer an« und überreicht seine beziehungsweise ihre Visitenkarte. Da sind die Handlungsverläufe zwischen den Bemerkungen reine Nebensache, sie werden offensichtlich nur der Serie wegen gebraucht. So ähnlich war es ja schon bei Altmeister Goethe, dessen Berlichingen-Aufforderung in angepasster Form »Sie können mich mal ...« (und so weiter) zum echten sprachlichen Volksgut geworden ist, das sich vom ursprünglich dazugehörigen Drama gelöst hat. Bei Luther, Shakespeare, Heine, Schiller, Hajek, Sostschenko, Hansgeorg Stengel und vielen anderen Wortklaubern lassen sich weitere Beispiele für diesen Trend finden. Ich kann das aus Zeitgründen jetzt nicht weiter ausführen, denn: »Ich muss jetzt mal kurz weg!« Aber und »wie gesagt«, ich wollte den Medien mal danken, »sonst macht das ja keiner«! – Volkhard Schnabel-Dingsbums (43), Volksmundforscher, 55286 Sulzheim     

 

Wolfgang Helfritsch