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Titel2519

Vom Wert, der gebraucht wird  (Dieter Braeg)

Im Dschungel der Sinnentleerung verkündet die Werbeindustrie in allen Medien die größte Weisheit aller Zeiten, mit welcher der letzte Rest Konsumentenhirn verdampft wird: »DAS ist mir was wert« und empfiehlt fußpilzentfernende Salben, Gemüsezerkleinerungsgeräte, sprechende Gartenzwerge (ja, ich hab auch einen, der brüllt, wenn beim Gartennachbar Bewegung bemerkt wird: »Ruhe, Du Arschloch!«) oder den Ratgeber »Wie werde ich Politiker in jeder Partei«. Auch die, die noch den Verkauf menschlicher Arbeitskraft schützen wollen, verlangen »gute« Arbeit, ohne darüber nachzudenken, ob nicht »allerbeste« Arbeit als Forderung angesagt sein müsste, ohne auch nur kurz darüber nachzudenken, ob Arbeit nicht generell schädlich ist und so weder gebraucht wird noch etwas wert ist. Also Bezahlung nur für Nichtleistung erfolgen sollte.

 

Ich habe auch nachgedacht, ob es mir etwas wert wäre, diese ständigen »Brennpunkte« der vom Volk zwangsfinanzierten Meinungsverdrehverbreitungsanstalten – eine fällt den Augenärzten und Optikern in den Rücken und erklärt: »Mit dem Zweiten [Auge!] sieht man besser« – zu Grabe zu tragen. Es ist das linke Auge, das außer Betrieb gesetzt wird, nicht nur bei der Werbung, die den Einäugigen zum Blindenhund einer Gesellschaft werden lässt. Dem GebührenzahlerinZahler müsste längst erklärt werden, warum beide öffentlichen MedienbedürfnisARDZDFanstalten, wenn die Welt untergeht, zweimal, inhaltlich ident, über dieses Ereignis berichten.

 

Der Gebrauchswert, um den geht es ja, hängt davon ab, wie MenschinMensch das Leben gestaltet. Ich denke da immer an den Eierkocher, dem ohne Ei ein völlig sinnloses Dasein beschieden ist. Und schon lange frage ich mich, folge ich der derzeit gängigen – nicht meiner – Gesellschaftsordnung, was mache ich mit einer Schere, wenn ich keine Scherenschleifmaschine habe, um, wenn das Gerät nicht mehr schneidet, den Gebrauchswert zu sichern? Eine Brotschneidemaschine ohne Brot, das geht auch nicht! Eine Schneekanone allerdings, die sorgt für die Sicherung der Wintersaison, ohne die viele Krankenhäuser im bayerisch-österreichischen Raum nicht existieren könnten. Da kriegt mancher Gipskopf einen Gipsfuß verpasst. Das ist Skifoanwertevermehrung!

 

Wie hoch ist der Gebrauchswert der Restaurantlyrik, die ein Rinderfilet Rossini mit gerösteten Mandelscheiben an Gänseleber bejubelt. Die Kresse-Ingwer-Bergamotte-Infusion zu Ziegenfrischkäse-Ravioli verändert keine Gesellschaft, und eine Schnitte vom Gelbflossenthunfisch – nicht hauchdünn, aber auch nicht zu dick, so dass Schmelz und Aroma sich entwickeln können – mit einer gedämpften Gillardeau-Auster führt keineswegs dazu, dass die Mindestlohndiskussion an Fahrt gewinnt. Wie hoch, gebrauchswertmäßig, ist wohl die jodige Note der Aonori-Alge einzuschätzen? Der ordinäre Tafelspitz, das Wiener Schnitzel und die Sachertorte enden abgeschlagen auf letzten Plätzen.

 

Die Gemeinwohl-Ökonomie, die dem Erfinder Honorare bringt, hat die einen Gebrauchswert? Kaum, denn schon der Name verrät, dass sie gemein, nicht wohl und in Verbindung mit Ökonomie (die kein Mensch braucht außer den mit Dr.-Titeln ausgestatteten Wirtschaftsgelehrten) unnötiger ist als der Kropf eines Pinzgauers.

 

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Logik und andere Basis-elemente einer sachgemäßen Anwendung des Verstandes – auch er muss ja gebraucht werden, um was wert zu sein –, in den vergangenen Jahren ziemlich abgewirtschaftet haben. Da wird be- und geschlossen Meinung verzerrdreht, der Meinungsvielfalt wird ein Einfachkleid geschneidert und übergestülpt, und sich widersprechende Inhalte werden in einen einzigen Satz gepresst.

 

Das alles scheint nicht mehr so wichtig zu sein: Hauptsache, die Guten gewinnen. Die Attacken auf die einfachsten Regeln der Rationalität finden dabei an vielen Fronten statt. Wenn sich heute die für diese Gesellschaft Verantwortlichen an einer Lichtung vor irgendeinem Wald dieser Welt versammeln, dann entsteht ein Wert, der »Flurschaden« heißt.

 

So komme ich zum Gebrauchswert »Arbeit«.

 

Als ich kürzlich folgenden Satz eines Lokalpolitikers hörte: »Arbeit ist die Hauptursache aller Betriebsunfälle; Freiheit ist die Wahl zwischen Arbeit und Verhungern; wer sicher sein will, heiratet einen Beamten; und Wohlstand bedeutet, dass man so viel Kredit erhält, wie nötig ist, seine eigenen Verhältnisse zu überleben«, da war mir klar, warum die Verbindung der Wortbedeutungen ARBEIT und LOS nie glücksspieltauglich wird.

 

Als ich kürzlich nichtsahnend am Berliner Hauptbahnhof herumhing und dort die Amtshandlung eines uniformierten und bewaffneten Menschen miterleben konnte, da erlangte ich neue Gebrauchswert-Kenntnis.

Da lag doch schon wieder einer der lästigen Bettler – ihretwegen gibt es kaum noch Sitzbänke auf Bahnsteigen – auf dem Boden neben dem Eingang zum Reisezentrum, stank nach Schnaps und Zigaretten und grinste den Hüter der Ordnung an.

 

»Warum arbeiten Sie eigentlich nicht?« fuhr der ihn an.

 

»Warum sollte ich?« war die Gegenfrage.

 

Der in vielen aufwendigen Weiterbildungskursen geschulte Unordnungshüter einer nichtunseren Gesellschaftsordnung konterte: »Damit Sie Geld verdienen, Sie soziale Fehlkonstruktion.«

 

»Was soll ich damit machen?« fragte der herumsitzende Lebenskünstler und hob die Schnapsflasche zu einem kräftigen Zug an die Lippen.

 

»Geld bringt Zinsen, mein Lieber!«

 

Der Penner blieb unbeeindruckt und rülpste behördenfeindlich ein »Und dann?« hervor.

 

Die zweibeinige Vertretung einer Grenzen schützenden Behörde holte zum Finalschlag aus: »Dann haben Sie eines Tages so viel Geld, dass Sie nicht mehr arbeiten müssen.«

 

»Meister«, meinte daraufhin schäbig grinsend der Penner, »so weit bin ich doch schon jetzt!«

 

Von irgendwoher war eine laute, die ganze Hauptbahnhofshalle füllende Lautsprecherstimme zu hören: »Wir schließen Kasse 1!«