erstellt mit easyCMS
Titel2519

Monatsrückblick: Nicht zufrieden  (Jane Zahn)

Die alte Tante SPD ist noch für Überraschungen gut: Zwei ziemlich Unbekannte gewinnen die Wahl zum Vorsitzenden-Duo mit Forderungen nach milliardenschweren Investitionen, zwölf Euro Mindestlohn und mehr Inhalt im Klima-Paket. Mit Hilfe eines kleinen Teams aus Jusos haben sie es geschafft, die Kandidaten der Führungsriege zu überrunden, und zwar deutlich. Olaf Scholz hat verloren – hat damit auch die GroKo verloren? Es schien spannend – bis zum Parteitag. Da hatten alle Beteiligten genug Kreide gefressen, um weiter an der Regierung beteiligt zu werden. Frau Merkel kann zufrieden sein. »Wer diesen Parteitag besucht hätte, ohne mit der deutschen Politik vertraut zu sein, der hätte denken können, hier werde über die Arbeit einer überaus erfolgreichen Partei gesprochen.« (NZZ-online, 7.12.19) Hauptsache, das Selbstbild stimmt – der Wähler ist nur zu blöd, um es richtig zu sehen.

 

Labour versprach: »It’s time for real change« und forderte im Wahlprogramm Verstaatlichungen, Stärkung erneuerbarer Energien und einen Mindestlohn von zehn Pfund pro Stunde. Körperschaften sollten höher besteuert werden, besonders die Energie-Unternehmen. So klare Worte fand die Partei von Jeremy Corbyn zum Brexit nicht. Ein neues Referendum sollte entscheiden, ob Großbritannien die EU verlässt oder doch nicht. Die Mehrheit der Wähler wollte das nicht: Sie gaben den Tories die absolute Mehrheit im Unterhaus. »Wir werden den Brexit am 31. Januar vollenden, kein Wenn, kein Aber und kein Vielleicht«, erklärte Boris Johnson vor jubelnden Anhängern. (MAZ, 14./15.12.19) Schon wieder eine Lüge, denn der Schrecken ohne Ende geht weiter: Jetzt müssen die beidseitigen Verträge ausgehandelt werden, die nach der Übergangsfrist bis 31.12.20 gelten sollen.

 

»The people's government« heißt es jetzt – aber ohne die Schotten. Die wollen die Schotten dicht machen und ein neues Unabhängigkeitsreferendum starten.

 

Und wieder kann die EU alles, was wirklich wichtig ist, nicht bearbeiten, weil der Brexit Vorrang hat. Eine geniale Strategie, um Problemlösungen zu verhindern. Die Wähler müssen bloß auf ein relativ unwichtiges Thema fokussiert werden. Vielleicht kommt ja die SPD-Führung zur Abwechslung mal auf ein solches Thema – es darf natürlich nichts mit Mindestlohn oder Mietendeckel zu tun haben, das wäre zu konkret, und außerdem glaubt niemand, dass die SPD so etwas stemmt. Haben die Briten Labour ja auch nicht zugetraut. Ob das was mit Tony Blair beziehungsweise Gerhard Schröder zu tun hat? Hat der Wähler doch ein Gedächtnis? Dann ist es zumindest einseitig. An Thatchers De-Industrialisierung erinnert es sich nicht, und auch nicht an das, was Fremdenhass und Vergangenheitsverklärung in Deutschland angerichtet haben. Auch die Regierung erinnert sich nicht.

 

Nach Attac und Campact verliert nun auch die VVN-BdA die steuerliche Gemeinnützigkeit. Sie sei laut bayerischem Verfassungsschutzbericht von Kommunisten verseucht und deshalb stehe sie nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Da standen auch die Opfer der Berufsverbote nicht, die verloren ihre berufliche Existenz als Lehrer oder Lokomotivführer. Und die AfD kann feixen. Ihr neuer Ko-Vorsitzender fand, die in Nürnberg verurteilten Nazi-Verbrecher könne man ruhig »unsere Jungs« nennen. Was passiert dann erst, wenn die AfD demnächst mitregieren wird?

 

Die Franzosen erinnern sich immer mal wieder an ihre Revolution und durchbrechen die Gemeinschaft mit ihren Regierenden. »Wir sind nicht im selben Lager«, war die kurz angebundene Reaktion des Pariser Polizeipräfekten Lallement auf die Fragen einer Sympathisantin der Gelbwesten. (jW, 7.12.19) Über eine Million Franzosen gingen am 5. Dezember auf die Straße, um gegen die Rentenpolitik ihres Präsidenten zu protestieren. Es erinnert an November/Dezember 1995, als mit Demonstrationen und Streiks die Rentenreform des damaligen Präsidenten Chirac verhindert wurde. Mal sehen, welches »Lager« dieses Mal als Sieger hervorgeht. Zumindest einen Aufschub haben die Protestierenden erreicht: Macron ernannte einen »Renten-Hochkommissar« und will die Gültigkeit der Reform auf die nächste Generation verschieben. Allerdings ist der Renten-Hochkommissar finanziell mit den Versicherungskonzernen verbunden, die bereits in den Startlöchern stehen, um die verunsicherten Franzosen abzuzocken, wie sie das in Deutschland nach der Rentenreform unter anderem mit der Riester-Rente bereits durchexerziert haben.

 

Das EU-Parlament verkündet mit großer Mehrheit ein »Climate emergency« für die Union: Klimanotstand oder Klimanotfall? Die Übersetzung birgt Tücken. Denn ein »Notstand« ist in Deutschland gesetzlich geregelt. Ruft die Regierung den Notstand aus, wird das Parlament in Urlaub geschickt, Militär und Polizei arbeiten zusammen, persönliche Freiheiten werden außer Kraft gesetzt. Damit könnten die Regierungen auch die »Friday for Future«-Demonstrationen verbieten. Ein reiner Notfall dagegen hat wiederum keinerlei Folgen für die Politik. Zwischen Schaufenster-Aktionen und diktatorischen Kompetenzen baut die Atomindustrie daran, Kernenergie als Rettung darzustellen. Im EU-Parlament wurde eine atomkritische Stellungnahme für die Madrider Klimakonferenz durch Mehrheitsbeschluss so verändert, dass Atomkraft Kohlekraft ersetzen soll. Achtunddreißig deutsche EU-Abgeordnete haben dem zugestimmt. (.ausgestrahlt-newsletter, 5.12.19)

 

Kommissarin von der Leyen hat es geschafft, einen »Green Deal« der EU verabschieden zu lassen, wenn auch ohne Zustimmung Polens. »Wir wollen, dass Europa der erste klimaneutrale Kontinent wird«, sagt EU-Ratspräsident Michel, und die Kommissionschefin lobt: »Du warst erfolgreich.«

 

»Ich bin unter den gegebenen Umständen recht zufrieden«, meint Angela Merkel über die Klimabeschlüsse des EU-Gipfels.

 

Die Auto- und Energiekonzerne können auch zufrieden sein: Ihre Profite werden nicht angetastet, und ihre notwendige Umstrukturierung wird mit 100 Milliarden Euro subventioniert. Die Umweltbelastung wird in ärmere Länder verlegt, die dann auch noch höhere Zölle auf ihre Exporte zahlen müssen, wegen der CO2-Grenzsteuer.

 

Die Madrider Klimakonferenz der UNO hat keinen Klimanotstand, sondern einen Klimastillstand erreicht. Dank der Blockade von USA, Brasilien, Australien und Saudi-Arabien. Die Klimabewegten können unter diesen Umständen nicht zufrieden sein.