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Ansporn für China, Blamage für die USA  (Volker Bräutigam)

Ist endlich Schluß mit dem fast 60 Jahre alten Streit zwischen China und Taiwan? Es keimt Hoffnung: Die Peking-feindliche, nach Selbständigkeit für Taiwan strebende Fortschrittspartei Minjingtang (DPP) verlor bei den jüngsten Wahlen auf der Insel ihre Regierungsmehrheit und errang nicht einmal mehr ein Viertel der Parlamentssitze in Taipei. die bisher oppositionelle Nationalpartei Kuomintang (KMT), historischer Feind der Kommunistischen Partei Chinas, neuerdings aber deutlich um Annäherung bemüht, gewann eine satte Zweidrittelmehrheit. Der Rest entfiel auf kleine Parteien. Bei der Präsidentenwahl im März hat DPP-Kandidat Hsieh keine Chance mehr gegen den KMT-Bewerber Ma Yingjeou. Amtsinhaber Chen Shuibian (DPP) kann nicht nochmals antreten.

Mit Taiwans offensiver, von den USA politisch und militärisch massiv unterstützter Abschottungspolitik gegenüber Peking und mit den kämpferischen Unabhängigkeitsparolen dürfte es vorbei sein. Selbst Washingtons Projekt, auf Taiwan Abschußrampen für einen weltraumgestützten US-Raketenschutzschild im Westpazifik zu bauen, scheint gefährdet (s. »Waffenschiebung nach Fernost«, Ossietzky 7/2002). Den USA droht eine geostrategische Pleite.

Die Wahlentscheidung der Taiwaner war weniger entspannungspolitisch als handfest ökonomisch motiviert. Seit Jahren schaden die separatistischen Akzente der DPP-Regierungspolitik dem Handel zwischen Insel und Festland. Güter werden noch immer nicht direkt, sondern auf Umwegen über die weit im Süden liegende Sonderwirtschaftszone Hongkong transportiert. Taiwans Wähler sehen ihre Zukunft nicht mehr in der politischen Ausrichtung auf die USA, Japan und Westeuropa, sondern im Geschäft mit den »Brüdern und Schwestern« nebenan auf dem Festland. Viele taiwanesische Firmen sind bereits in die boomende Volksrepublik abgewandert.

Die KMT, 1927 gegründet, war die Partei Chiang Kaisheks, der sich 1949, von Maos Bauernarmee geschlagen, mit seinem Restheer samt zivilem Troß (2,5 Millionen Menschen) nach Taiwan geflüchtet und die dort lebenden sechs Millionen Taiwan-Chinesen unterdrückt hatte. Zwar ist seiner Landreform ein Teil des »Wirtschaftswunders« zu verdanken, auf dem Taiwans Entwicklung zum modernen, heute von 23 Millionen Menschen bevölkerten Industrieland basiert. Aber Chiang war ein brutaler Diktator und die KMT eines seiner Machtinstrumente. Erst ein Vierteljahrhundert nach Chiangs Tod gelang im Jahr 2000 ein befreiender politischer Wechsel zur DPP und zur Präsidentschaft Chen Shuibians – zwar historisch überfällig, aber immerhin auch Ergebnis eines noch von der KMT selbst zehn Jahre zuvor angestoßenen Liberalisierungsprozesses. Das Aufblühen der demokratie in Taiwan habe ich von 1995 bis 2001 unmittelbar und voll Respekt miterlebt.

Chens Regierungspolitik entsprach nicht den hohen Erwartungen: Zur Entwicklung basisdemokratischer staatsstrukturen, Entflechtung aller KMT-Monopole, Korrektur der revisionistischen Chinapolitik, zum Verzicht aufs antikommunistische Feindbild und zur wirtschaftlichen Kooperation mit dem Festland sowie zu mehr Unabhängigkeit von den USA führte sie nicht. Es hat fast tragische Züge, wie Chen, der persönlich unter der KMT-Herrschaft gelitten hatte, nun seine Abneigung gegen alles Festlandschinesische politisch auslebte: wie er die Pekinger Führung provozierte und vasallentreu zu den USA hielt, während die DPP und sogar Mitglieder seiner eigenen Familie die Korruption in Taiwan auf die Spitze trieben.

Der KMT-Wahlsieg fördert nun die Entspannung zwischen Taipei und Peking und zugleich das gesamtchinesische Nationalbewußtsein. Ein Beispiel des erwachenden »Wir-Gefühls«: Schadenfroh beobachteten Festlands- und Inselchinesen, wie sich kürzlich die Supermacht USA im Westpazifik eine Serie militärischer Blamagen einhandelte. Der Geleitzug des Flugzeugträgers »Kitty Hawk« war im November, von der US-Garnison Yokosuka in Japan kommend, nach Südwesten gefahren, Ziel und Aufgabe: Golf von Bengalen, Rückenstärkung für die drei US-Flugzeugträgerflotten, die ständig im Indischen Ozean und im Persischen Golf Druck auf den Iran (Wirtschaftspartner Chinas) ausüben und dessen Seehandel behindern. Im Südwestpazifik tauchte mitten im US-Konvoi und direkt neben der »Kitty Hawk« überraschend ein modernes chinesisches U-Boot auf. Die gefoppten Amerikaner reagierten geschockt. Solche hochtechnologische submarine Kompetenz hatten sie nicht erwartet.

die Besatzungen des US-Geleitzuges sollten, wie alljährlich am letzten November-Donnerstag üblich, den US-Feiertag Thanksgiving Day an Land begehen, diesmal in Hongkong, also dort im Vergnügungsviertel Wan-Chai die Sau rauslassen. Doch es geschah, was zwei Wochen zuvor bereits zwei US-­Minensuchschiffen widerfahren war: Peking sperrte kurzerhand die Hafenzufahrt. Und 10 000 US-Soldaten mußten ihren Erntedank weit draußen auf Reede feiern.

Sechs Wochen später, auf dem Rückweg nach Japan, wollte der US-Konvoi die Taiwan-Straße passieren. Da blockierten der raketenbestückte Zerstörer »Shenzhen« und einige kleinere Kriegsschiffe den schmalen Seeweg, in dem die Volksrepublik China und Taiwan Hoheitsrechte haben und den die US-Flotte als für sie offene Schifffahrtsstraße betrachtet hatte. 28 Stunden lagen sich US-amerikanische und chinesische Kriegsschiffe kampfbereit gegenüber, ehe die Chinesen dem US-Konvoi die Weiterfahrt gestatteten und ihm sogar noch gönnerhaft bis Japan Geleit gaben. Ende Januar waren Ostasiens Medien voll von Berichten über diesen Gesichtsverlust für die Weltmacht USA.