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Antworten

Andrea Ypsilanti, zeitweilige Hoffnungsträgerin. – Wir verdanken Ihnen ein genaueres Verständnis von Glaubwürdigkeit. Nach Ihrem Wahlerfolg ließen Sie von Klaus Wowereit und anderen verbreiten, daß Sie, um glaubwürdig zu bleiben, keine Hilfe der Linkspartei annehmen könnten, mit deren Programm Sie im Wahlkampf weitgehend übereingestimmt hatten. Wohl dagegen von der FDP, die für gegenteilige Ziele geworben hatte. Wir verstehen: Um glaubwürdig zu bleiben, müssen Sie eine andere Politik machen als versprochen.

Rainer Brüderle, Pfiffikus. – Der Wahlwind dreht sich, möglicherweise nicht nur für eine kurze Weile. Da finden Sie als stellvertretender FDP-Bundesvorsitzender es angebracht, öffentlich eine Koalitionsmöglichkeit auch mit der SPD ins Gedankenspiel zu bringen, selbstverständlich aus staatspolitischer Verantwortung, damit die Linkspartei beim Regieren außen vor bleibt. »Wenn ­Wahlen anders ausgehen als gewünscht, muß man in Alternativen denken«, sagen Sie, klammheimlich den Schmuddelkindern des Parlamentarismus dankbar.

Jürgen Thumann, Dauerratgeber. – Zu allem, was Ihnen wichtig erscheint, pflegen Sie, den Bundesverband der Deutschen Industrie repräsentierend, Stellung zu nehmen, und finden allemal Gehör. Auch zum Ergebnis von Landtagswahlen. »Mit allergrößter Sorge« sei »das Erstarken der Linken« zu betrachten, verlautbaren Sie. Der SPD sei nun zu raten, die Wählerinnen und Wähler nicht länger durch »Reden über soziale Gerechtigkeit« zu verwirren. Der hessischen SPD-Spitzenkraft Andrea Ypsilanti empfehlen Sie »mehr Realismus«. Eine verborgene Botschaft an die hessische FDP? Damit Frau Ypsilanti denn doch Landesmutter wird? Vielleicht aber auch ein tröstlicher Rat: Die Fastwahlsiegerin möge sich mit der Rolle als Oppositionsführerin abfinden.

Frank W. Steinmeier, stellvertretender August-Bebel-Nachfolger. – Dem mahnenden Freundeswort des BDI folgend haben Sie Ihre Partei vor einem »Linksruck« gewarnt; die SPD müsse »für die Millionen Leistungsträger in der Mitte der Gesellschaft Politik machen«. Aber was tun, wenn die faulpelzigen Geringverdiener, ALG-Empfänger und sonstwie prekarisierten Wahlberechtigten weiter zunehmen? Da gibt es nur eines: Zurück zum seinerzeit bewährten Dreiklassenwahlrecht!

Frankfurter Rundschau, um Ursachenforschung bemüht. – Daß die Ihrer Zeitung nicht gerade sympathische Linkspartei in westdeutsche Parlamente gelangt ist, muß Gründe haben, werden Sie sich gesagt haben, und so ließen Sie einen Ihrer Leitartikler mitteilen: »Solange es Fälle wie Nokia in Bochum gibt, wird diese Partei an Zuspruch gewinnen.« Falls Sie sich nicht der Illusion hingeben, solche »Fälle« würden in Zukunft nicht mehr auftreten, ist das eine schwerwiegende Prognose. Aber in demselben Leitartikel ist auch zu lesen: »Die Linke erledigen, das kann von nun an nur die Linke selbst.« So bleibt Ihnen doch noch Hoffnung, daß sich alles zum Guten wende.

Christoph Keese, Chefredakteur Welt am Sonntag und Welt online. – Da der Springer-Konzern Ihnen noch nicht genug Verbreitungsmöglichkeiten bietet, läßt der öffentlich-rechtliche Deutschlandfunk Sie freundlicherweise zu Wort kommen, damit Sie möglichst viel Gehör finden, wenn Sie »eine Mehrheit der Deutschen« tadeln. Denn »Eine Mehrheit der Deutschen glaubt, unter Kapitalismus sei einzig die Ausbeutung der Vielen durch das Gewinnstreben einiger Weniger zu verstehen«. Ein Irrglaube mit schrecklichen Folgen, die Sie schon seismografisch spüren: »In Deutschland schwankt der Boden unter den Säulen des Systems.« Da müssen wir uns wohl sicherheitshalber an den einzig wahren Glauben halten, den Sie verkünden: »Kapitalismus ist das beste Sozialprogramm, das je erfunden wurde.« Außerdem: »Freie Marktwirtschaft ist die Voraussetzung von Freiheit«, und »wenn Andrea Ypsilanti, Kurt Beck, Andrea Nahles und Oskar Lafontaine Stimmung gegen Kapitalisten machen, bedienen sie ein antifreiheitliches Ressentiment«. Wann rufen Sie endlich zu den Waffen, um die Freiheit und die Säulen des Systems (Roland Koch zum Beispiel?) zu verteidigen?

Horst Dreier, Bundesverfassungsgerichtspräsident in spe. – Sie wollen im Fall eines schweren Verbrechens Folter nicht von vornherein aus-schließen. Ja, warum sollte ein Staat, der entgegen seiner Verfassung Angriffskriege führt, nicht auch die Folter einführen – mag Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) sich gesagt haben, als sie Ihre Versetzung nach Karlsruhe vorschlug. Näheres über die Einführung der Folter, längst vorgedacht, findet sich in dem kleinen Buch »Wie ein Gesetz entsteht«, von Dietrich Kittner, Verlag Ossietzky.