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Titel0309

Toitoitoi  (Ingrid Zwerenz)

Der immer aktive Friedrich Schorlemmer rekapitulierte auf Einladung des Neuen Deutschland (wie in Ossietzky 2/08 schon erwähnt) seine DDR-Erfahrungen aus Leib und Seele. Der Leib dominierte erstmal: »Wer nicht in der Lage ist, regelmäßig Toilettenpapier vorzuhalten und Zahnbürsten auch nicht, muß an den Weichteilen seiner Bürger scheitern …« Keine Klorolle ist ärgerlich, keine Zahnbürste ärgerlicher – mit zurechtgeschnittenen Zeitungsseiten läßt sich zur Not der After reinigen, doch nicht das Gebiß, das kann man mit Salz auf angefeuchtetem Zeigefinger putzen, die Methode ist für weiter untenrum nicht zu empfehlen.

Wie der Lektüre-Zufall spielt, lese ich kurz nach Schorlemmers ND-Philippika mal wieder in Wilhelm von Sternburgs vorzüglicher Biographie »Lion Feuchtwanger« dessen Bemerkung: »André Gide reiste, als Pariser geschmäcklerisch, wählerisch, überaus egozentrisch, Paris als den selbstverständlichen Mittelpunkt der Welt betrachtend ... Gide hat es vorgezogen, sein Augenmerk in jeder Hinsicht auf den Mangel an Klosettpapier zu richten. ... er kam als ›übersättigter‹ Ästhet, gierig nach neuen Geschmacksreizen.« Feuchtwanger reagiert hier ruppiger, als man es im Urteil über Schriftstellerkollegen sonst bei ihm gewöhnt ist. Ursache ist André Gides Buch »Zurück aus der Sowjetunion«, 1936 veröffentlicht, so kritisch, daß es die kommunistischen Genossen in Frankreich und allen Ländern dem Autor übel ankreideten. Von Lion Feuchtwanger erhoffte sich die UdSSR positivere Urteile und lud ihn zum Besuch ein. Ehe er das Land betrat, kursierte allerdings in Moskau schon dieser Zweizeiler: »O daß doch dieser Jidd/ sich nicht entpuppe als ein Gide.« Schwer gekränkt durch den Franzosen rasteten die Sowjetmenschen antisemitisch gegen den deutsch-jüdischen Autor Feuchtwanger aus. Nachzulesen sind diese Fakten in der detailgesättigten, hochinformativen Biographie »Die vier Leben der Marta Feuchtwanger« von Manfred Flügge. Als der »Jidd« dann jedoch in der Sowjetunion weilte, wurde er hofiert, gehätschelt und getätschelt, was sich bis zur Einladung bei Josef Wissarionowitsch steigerte.

Weil es den wichtigsten Ereignissen nie an grotesken Zügen mangelt, dazu dieser ebenfalls bei Flügge zitierte Lion-Brief: »Morgens ruft man an, ich soll mittags zu Stalin. Außerordentlich unangenehmer Tag dafür, da ich ein Abführmittel genommen habe …« Das Gespräch mit Stalin dauerte von dreiviertel drei bis dreiviertel sieben, da wird es Feuchtwanger nach der langen Zeit mit dem Laxativ im Bauch gerade noch so aufs Hotel-WC geschafft haben. Hoffentlich gab’s dort Toilettenpapier.

Zurück zu Schorlemmer und seiner berechtigten Körperpflege-Mangelklage, bis 1957 lebte ich selbst in der DDR, die Zeitungsbehelfsmaßnahmen auf dem stillen Örtchen waren mir entfallen. Im Gedächtnis blieb ein Schulfreund, Jockel genannt, der seine ersten Gedichte auf Klorollen schrieb, die er Bahn für Bahn an der Zimmerdecke befestigte, so daß die Poesie an der Wand abwärts verlief – alles, um seinen Vater, wie in der Pubertät nicht ungewöhnlich, zu ärgern. Der junge Dichter, Hans-Joachim Stein, arbeitete später bei der Satirezeitschrift Eulenspiegel. – Das Beispiel zeigt, ab und zu muß die östliche Hygieneversorgung geklappt haben. Heute gibt’s Klopapier im Überfluß, auch preiswertes, doch für manchen Hartz-VI-Empfänger trotzdem unerschwinglich. Der Rückgriff auf umfunktionierte Zeitungsseiten entfällt, Zeitungen werden immer teurer.