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Titel315

Von Zeit zu Zeit: Equal-time-day  (Stephan Krull)

Die Debatten und Kontroversen um die Arbeitszeit haben in den letzten Monaten an Dynamik gewonnen. Nach der großen Beschäftigtenbefragung der IG Metall mit über 500.000 Antwortenden hat nun der DGB seinen »Index Gute Arbeit« veröffentlicht. Der Spiegel (Spiegel online, 4.12.2014) und andere Zeitschriften titeln dazu: »Deutsche wollen weniger arbeiten!« Das Bedürfnis, weniger zu arbeiten, ist bei Männern und Frauen und bei denen, die Vollzeit oder Teilzeit arbeiten, etwas unterschiedlich ausgeprägt. In der Tendenz läuft es aber darauf hinaus, daß die »kurze Vollzeit« von etwa 30 Stunden pro Woche die ideale Arbeitszeit für die meisten Menschen wäre.


Auf einer Tagung von Rosa-Luxemburg-Stiftung und DGB in Düsseldorf am 29. November 2014 stellte Jutta Allmendinger jüngste Forschungsergebnisse aus einer vergleichenden Studie von 2009 und 2012 vor (bibliothek.wzb.eu/pdf/2013/p13-002.pdf): Auf die Frage »Wie hat sich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf entwickelt?« antwortet die Hälfte der jungen Menschen, gleich ob Frau oder Mann, daß sich nichts getan hätte. Rund 30 Prozent meinen, daß Familie und Beruf heute sogar noch schwieriger zu vereinbaren seien als 2009. Der Saldo ist also klar negativ. Dramatisch ist die Differenz bei den Arbeitszeiten: Während nur 48 Prozent der Frauen einer Vollzeitarbeit nachgehen, sind es bei den Männern mit 80 Prozent deutlich mehr. »Das entspricht häufig nicht ihren Bedürfnissen! Mütter würden gerne etwas mehr, Väter etwas weniger lange arbeiten.« Allmendinger zieht daraus den Schluß, daß zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit nicht nur ein Equal-pay-day erforderlich ist, sondern gleichfalls ein Equal-time-day. Unterstützt wird sie dabei von der Soziologin und Arbeitszeitaktivistin Margareta Steinrücke, die die Angst von Männern vor Statusverlust durch Arbeitszeitverkürzung thematisiert.


Wenige Tage zuvor hatte eine Tagung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung stattgefunden (www.boeckler.de/pdf/v_2014_11_27_programm.pdf), wobei der Titel avantgardistischer anmutete und mehr versprach, als es die Veranstaltung hielt: »Arbeitszeiten der Zukunft – Selbstbestimmt, geschlechtergerecht, nachhaltig!« In einem Forum der Tagung sprachen sich der zweite Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, und die stellvertretende Vorsitzende von ver.di, Andrea Kocsis, ebenfalls für »kurze Vollzeit« mit einem definierten Verkürzungsvolumen aus.


Etwas zur Dynamik der Debatte hat das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG 6 CN 1.13) vom 26. November 2014 beigetragen, durch das die Hessische Regierung auf Antrag von ver.di und der evangelischen Kirche zur Korrektur der Bedarfsgewerbeverordnung verpflichtet wird, um zum Beispiel in Call-Centern die Sonntagsarbeit zu untersagen. Das Urteil wird dazu beitragen, dem ausufernden Flexibilisierungswahn von Unternehmern und Politikern zumindest an Sonn- und Feiertagen eine engere Grenze zu setzen. Unternehmer versuchen ihrerseits durch gezielte Erpressung von Beleg- und Gewerkschaften Begrenzungen zu unterlaufen und die Arbeitszeiten weiter auszudehnen. So hat der Autozulieferer Continental in seinem Gifhorner Werk angekündigt, die Kosten durch Personalabbau zu senken – trotz steigender Umsätze. Beim Autozulieferer Mahle in Stuttgart soll gar die 40-Stunden-Woche wieder obligatorisch werden, ohne die Differenz zur aktuell gültigen 35-Stunden-Woche zu vergüten. Die Unternehmensleitung will so die Personalkosten um 15 Prozent senken.


Vor allem die Gewerkschaftsfrauen, die Gewerkschaftsjugend und die Erwerbsloseninitiativen sind in Sachen Arbeitszeit aktiv. Der ver.di-Bezirksfrauenrat Frankfurt und Region fordert die 30-Stunden-Woche als neues Vollzeitmodell mit existenzsichernden Löhnen und ohne Arbeitsverdichtung, mit Lohn- und Personalausgleich. Als Begründung wird unter anderem angeführt: »Die Diskussion über neue, verkürzte Vollzeitmodelle nimmt in der Gesellschaft einen breiten Raum ein ... Die Arbeitsmarktzahlen sagen zwar, daß wir die seit Jahren beste Beschäftigungssituation haben. Die tatsächliche individuelle Lebens- und Arbeitssituation wird dabei nicht betrachtet. Diese ist gerade bei Frauen oft inakzeptabel. Das wollen wir ändern. Eine kurze Vollzeit ohne Arbeitsverdichtung wirkt der körperlichen und geistigen Überforderung entgegen und verringert damit gesundheitsschädliche Einflüsse der Arbeitswelt. Wir brauchen mehr gutes Leben und weniger krankmachende Arbeit.« Die ver.di-Frauen berufen sich dabei auch auf den Deutschen Frauenrat, der zum Equal-pay-day gemeinsam mit dem DGB und dem »Bundesforum Männer« neue Maßnahmen des Gesetzgebers zur Gleichstellung von Frauen und Männern gefordert hat: Die Arbeitszeit- und Entgeltlücke überwinden! »Die Verkürzung der Normalarbeitszeit darf nicht mehr tabu sein«, sagte die Vorsitzende des Deutschen Frauenrates Hannelore Buls.


Beeindruckend ein Aufschrei, der den Autor per Mail erreichte: »Mein Mann arbeitet acht Stunden in einer Fabrik. Der Druck und der Krankenstand sind hoch. Danach ist er kaputt und hat an nichts mehr Interesse. Ich bin geringfügig beschäftigt und arbeite in der Essensausgabe einer Grundschule. Manche Eltern zahlen das Schulessen nicht, die Kinder müssen wir wegschicken, die haben dann bis 16 Uhr Hunger ... Ich will in einem schönen und sozial gerechten Land leben. Ich will dafür einstehen und kämpfen.«


Ein Equal-time-day wäre ein guter Anlaß, die Kämpfe um Zeit, um eine radikale Verkürzung der Zeit für Erwerbsarbeit und eine gerechte Verteilung von Erwerbsarbeit und Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu rufen. Von Zeit zu Zeit, alle Jahre wieder, bietet sich der 1. Mai dafür an, die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung nicht nur ökonomisch zu begründen, sondern mit dem Anspruch auf Gerechtigkeit zu verknüpfen!