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Titel316

Briefe an 62 Multimilliardäre

Die soziale Ungleichheit nimmt zu. Eine aktuelle Studie der Hilfsorganisation Oxfam belegt: Die 62 reichsten Menschen besitzen inzwischen genauso viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung – noch vor einem Jahr waren es 80. Ossietzky-AutorInnen haben nachgedacht, was man u. a. den 62 Multimilliardären schreiben müsste.

Ihr unverschämt Reichen in der Welt,

als Ökonom bin ich entsetzt über den Befund der neuen Oxfam-Studie. Demnach habt Ihr 62 Superreichen der Welt so viel Vermögen wie 3,5 Milliarden Menschen auf der Erde zusammen. Auch eine Studie der Schweizer Großbank Credit Suisse kommt zu dem Ergebnis, dass das reichste Prozent der Weltbevölkerung inzwischen reicher ist als der gesamte Rest der Menschheit. Ihr werdet schon allein durch den Zinses-Zins-Effekt immer reicher und die Armen immer ärmer. Für Euch Reiche ist das Geld doch längst ohne jede Funktion und Euer erbeuteter Superreichtum völlig sinnlos. Wie könnt Ihr damit leben, dass Euer Vermögen Ursache für die grausame Verarmung, für so viel Elend auf der Welt ist. Dass Menschen sterben müssen, weil sie nichts zu essen und kein trinkbares Wasser haben. Verarmung und Verelendung sind die wesentliche Ursache für Kriege, aus denen Ihr dann auch noch Profit saugt. Ihr lasst andere Menschen für Euch arbeiten und beutet sie erbarmungslos aus. Ihr habt keine Hemmungen, durch Eure Spekula-tionen die Weltwirtschaft in die Krise zu schicken, um dann an der Krise noch zu verdienen. Und statt Steuern zu zahlen, geriert Ihr Euch am Ende noch mit Euren Stiftungen als Wohltäter der Menschheit und wollt dafür gelobt und verehrt werden. Was für ein Zynismus. Dabei entscheidet natürlich nur Ihr, wer was von Euch bekommt und wer nicht. Dies ist zutiefst antidemokratisch. Wie wäre es, wenn Ihr Euer erbeutetes Vermögen den von Euch ausgebeuteten Völkern ganz einfach zurückgebt?

Heinz-J. Bontrup

PS: Und den politischen Volksvertretern sei gesagt: Schlaft weiter!

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Congratulations, filthy rich,

Sie haben es also geschafft: Die 62 Reichsten von Ihnen besitzen heute so viel wie die untere Hälfte der Menschheit. Natürlich fliegen Sie lieber mit Privatjets wie der 150-Millionen-Dollar-Boeing 747-8 VIP. Aber ich stelle mir vor, dass Sie alle in ein einziges Abteil eines ICE passen würden und sogar noch zwölf Ihrer Freunde mitnehmen könnten. Vor fünf Jahren wäre das noch nicht möglich gewesen, denn da verteilte sich das Vermögen der unteren Hälfte noch auf 388 von Ihnen. Aber eine Thomas-Piketty-Ökonomie ließ es zu, dass Sie Ihr gemeinsames Vermögen seit 2010 nochmal um 44 Prozent auf 1,76 Billionen Dollar steigern konnten – das 75fache des US-Bildungshaushalts 2015.


Manche von Ihnen haben ihr Vermögen geerbt – wie zum Beispiel die drei Marsriegel-Kinder oder die vier Waltons, deren 163-Milliarden-Dollar-Vermögen auf der Arbeit von 1,2 Millionen Walmart-Arbeitern beruht, denen sie das Recht verweigern, sich gewerkschaftlich zu organisieren. In diesem Konzern verdienen viele so wenig, dass sie oft trotz Vollzeitarbeit auf Sozialhilfe angewiesen sind. Einige andere wie Mark Zuckerberg hatten mal eine kluge Idee für ein Monopol im Internet und lassen nun mit ihrem Börsengang-Kapital andere Menschen für sich arbeiten. Wie Sheldon Adelson, der finanzielle Königsmacher der US-Republikaner, so nutzen auch die Koch-Industries-Erben ihr Vermögen, um rechte Politiker ins Amt zu hieven, die sich dann für die Flat Tax einsetzen. Die Klügsten unter Ihnen wissen wie Sie, Bill Gates, der Sie 2015 die Forbes-Liste der 500 reichsten unter den weltweit 1826 Milliardären anführten, dass Ihr sich stetig durch anderer Menschen Arbeit vermehrendes 79,2-Milliarden-Dollar-Vermögen eher als legitim erscheint, wenn Sie sich den Anschein eines Philanthropen geben und wie im vorletzten Jahr mal 1,5 Milliarden an Ihre Gates Foundation geben. Aber mit Verlaub, selbst wenn Sie damit nicht Dinge wie die »Bildungsreform« Common Core finanzierten, die zur Schließung öffentlicher Schulen und ihrer Ersetzung durch gewerkschaftsfreie Privatschulen dient: Wir leben im Zeitalter der Demokratie und nicht des Feudalismus. Eigentlich soll heute nicht der Geldadel nach Gutsherrenart entscheiden, wie und wozu der gesellschaftlich geschaffene Reichtum genutzt wird.


Nun erwarten Sie wohl, dass ich mit Piketty eine Rückkehr zur 75-Prozent-Vermögenssteuer fordere, wie sie Roosevelt 1935 in den USA einführte, und eine Schließung der Steueroasen, in denen das obere eine Prozent 7,6 Billionen Dollar vor dem Fiskus versteckt. Gute Ideen. Aber sie reichen nicht! Denn Ihr Reichtum gehört nicht Ihnen, sondern der unteren Hälfte der Menschheit, mit deren Arbeit er geschaffen wurde und vermehrt wird. Wenn diese irgendwann so gut organisiert und mächtig ist, um auch eine solche Steuer durchzusetzen, dann wird sie auch soweit sein, mit Kai Degenhardt zu sagen: Bevor wir verteilen, wird der Kuchen gestürzt! Denn der Fehler steckt im System.

Ingar Solty

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Liebe halbe Welt,

warum lässt Du Dir das gefallen?

Klara Lindstett

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Hallo, Reiche!

Wir alle sind Menschen, und deshalb darf ich die Nachricht auch so überschreiben, wie Autohäuser oder Stadtverwaltungen ganz frisch und fröhlich mich anreden: »Hallo, Herr Biskupek!« Eine Ausnahme mit »Sehr geehrter« macht die Versicherung. Die will ja auch was von mir. Ich aber will nichts von Euch. Bestenfalls will ich Euch ein wenig in Schutz nehmen.


Da nölen alle herum, weil Ihr – also Ihr 62 – so viel Geld habt wie die halbe Welt. Was habt Ihr denn falsch gemacht? Ihr zahlt Eure Steuern da, wo man nichts zahlt. Ihr holt aus Euern Leuten, Geldern und Eurer Elektronik das heraus, was herauszuholen ist. Ihr verpulvert Eure Knete nicht für irgendwelche sinnlosen Projekte, Flüchtlinge oder Trinkwasser, sondern setzt es dort ein, wo mehr Geld he-rauskommt. Kann auch mit Trinkwasser oder Flüchtlingsunterkünften geschehen. Ihr macht genau das, was früher mal »ganz gewöhnlicher Kapitalismus« hieß, als ein Schwarzer-Kanal-Kommentator das ständig herausposaunte.


Schon in der Bibel steht, dass man mit seinen Pfunden wuchern solle. Nicht das eine Pfund, das man bekommt, aufbewahren und brav und unversehrt wieder zurückgeben – nein, aus den neun erhaltenen Pfunden achtzehn machen. Achtzehn! Zwanzig! – und niemals »Passe!« sagen.


In alter Frische und neuer Bewunderung
Euer

Matthias Biskupek

PS: Mit Geheimcode-Mail sende ich Euch meine Kontonummer. Ein bissel Dankbarkeit für meine Unterstützung solltet Ihr schon zeigen.

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Kein Brief

Zweiundsechzig gleich dreieinhalb Milliarden Menschen: Dieses absurde Zahlenverhältnis verdeutlicht die Obszönität der herrschenden ökonomischen Verhältnisse auf der Welt. Die Ungleichheit ist allen längst bekannt und wird als natur- oder gottgegeben hingenommen, wie die Herrschenden den seit Menschengedenken währenden Unterschied zwischen arm und reich immer begründeten. Aber dass sich diese Ungleichheit seit dem Beginn des Vormarsches des Finanzkapitals (vor etwa 100 Jahren) in allen »Krisen« stark vergrößert hat, dass die aktuelle (seit 2008) eine Umverteilung von unten nach oben bisher nicht gekannten Ausmaßes ermöglicht hat, bleibt im Hintergrund des durch die Medien der Herrschenden gesteuerten öffentlichen Bewusstseins. Nicht von ungefähr benannte Kurt Tucholsky die Funktion der neuen bürgerlichen Massenpresse seit der Wende zum 20. Jahrhundert als »Verbreitung der Dummheit mit den Mitteln der Technik«. Die zeigt Wirkung bis heute: Keine Alternative! Die französische Forderung nach égalité lässt sich auf der Grundlage kapitalistischer Produktionsverhältnisse nicht verwirklichen. Der erste realsozialistische Großversuch kam der Nivellierung der Ungleichheit zwar schon recht nahe, hielt aber der konkurrierenden Konsumgesellschaft nicht stand, die lediglich auf dem weltweiten Ausbeutungsprinzip beruhen kann, deren Nutznießer wir alle sind, im westlichen Kapitalismus. Denn selbst »unseren Armen« geht es um einiges besser als denen in Afrika oder Asien. Diese Tatsache erschwert sicher auch eine mehrheitliche Einsicht in die Notwendigkeit einer längst fälligen radikalen Veränderung unseres Wirtschaftssystems, andernfalls nicht Mitte-rechts-Regierungen in Europa das Sagen hätten, gewählt von all denen, die Angst haben vor einem Niedergang Europas im globalen System und vorm Verlust ihrer Besitzstände. Deshalb sollen auch sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge draußen bleiben. Der einzige Appell, der mir in dieser Lage sinnvoll erschiene, wäre der an alle Wahlbürger in Deutschland und Europa, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen, im Sinne eines »Ausgangs aus selbstverschuldeter Unmündigkeit« (Kant). Denn: »Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?« (Brecht)

Susanna Böhme-Kuby

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Kurzer Traum

Im Traum habe ich Sie in ein Café mit 63 Plätzen eingeladen, um mit Ihnen allen die Weltlage zu besprechen und Projekte für deren Verbesserung zu vereinbaren. Während ich aufwache, werden mir einige Schwierigkeiten bewusst: Wer wird mir antworten? Vermutlich, wenn überhaupt, ein unlustiger Angestellter in New York oder London, dessen Aufgabe es nicht ist, Ihnen Briefe zuzuleiten, sondern die Absender abzuwimmeln. Und ich bekomme dann allenfalls ein paar Zeilen folgenden Inhalts: Wegen all Ihrer Verpflichtungen und der Vielzahl von Zuschriften könnten Sie leider nicht selbst usw., aber ich könne versichert sein, dass Sie im Rahmen Ihrer – nicht unbegrenzten – Möglichkeiten immer bemüht seien, Gutes zu tun.


Dann fällt mir ein, dass das Bundeskriminalamt gegen ein solches Treffen schwerste Bedenken erheben würde: Für jeden Teilnehmer müsse mindestens eine Hundertschaft Wachpersonal aufgeboten werden.


Noch im Halbschlaf kommt mir auch der störende Gedanke, womöglich hätten Sie gar keine Lust, sich auf ein Gespräch oder eine Korrespondenz einzulassen, vor allem wenn Sie den Eindruck hätten, ich wollte Ihnen wegen Ihres Reichtums ein schlechtes Gewissen einreden. Dabei haben Sie gegen etwaige Gewissensbisse bestimmt von jeder Religion reichlich Theologen zur Verfügung.


Und Ihr erster Gedanke, denke ich, wäre: Wieder einer, der etwas von Ihrem Geld will! In solchen Situationen pflegte einst der rheinische Millionär Wilhelm Werhahn, verschwägert mit der Familie Adenauer, zu sagen: »Wir haben es nicht vom Geben, sondern vom Nehmen.«


Inzwischen schon fast wach geworden, mache ich mir auch klar, dass die 62 Reichsten der Erde vermutlich nicht alle miteinander befreundet, sondern eher verfeindet sind und allenfalls Zweckbündnisse schließen, um einzelne Konkurrenten niederzuringen. Und wenn es gerade um das Öl in Zentralafrika oder die Aufrüstung islamistischer Kampfverbände oder einen Regime Change in Moskau oder letztlich um alle Rohstoffe Sibiriens geht, möchten Sie selbstverständlich von niemandem gestört werden. Gegen alle moralischen, politischen, rechtlichen, ökologischen Vorhaltungen würden Sie Ihre unternehmerische Freiheit geltend machen, zu deren Verteidigung Sie sicher jederzeit geeignete Regierungs- und Parlamentspolitiker aufbieten können – mit verhältnismäßig geringem Aufwand.


Nur eine Frage hätte ich noch: Wenn letztlich die ganze Wirtschaft monopolisiert ist, kann dann noch von freiem Markt und Wettbewerb die Rede sein? Ich fürchte, die in Deutschland, England, USA u.a. schon längst monopolisierten Medien werden weiterhin so tun als ob, denn sie gehören und gehorchen Ihnen.


Unter der Dusche: Aus der Traum. Was brächte ein Brief oder ein Gespräch mit den Multimilliardären? Besser nutzen wir unsere Zeit, wenn wir uns mit unsersgleichen zusammentun – beispielsweise in der Nachbarschaft und im Betrieb. Wir müssen uns in Streik und Besetzung üben. Die betriebliche Arbeitszeit muss verkürzt werden, damit die Arbeitslosen Arbeit finden. Und wir brauchen einen Aufstand gegen Medien, die uns belügen.

Eckart Spoo