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Titel316

Blick nach innen  (Georg Fülberth)

Die sexuellen Übergriffe in der Kölner Silvesternacht, verbunden mit Eigentumsdelikten, machen AfD, Pegida und der CSU viel Freude. Seit Monaten wird von der Kanzlerin ein Widerruf ihrer Willkommensrhetorik (die sich von ihrer Praxis unterscheidet) erwartet. Jetzt hofft man, sie bald so weit zu haben. Eher sozialdemokratische, an Emma und Schweden orientierte Vorstellungen für gesetzliche Regelungen gegen sexuelle Belästigung, der CSU bislang unlieb (was sollte da aus dem Oktoberfest werden?), finden in der Union plötzlich Anklang. Der CDU-Bundesvorstand verabschiedete am zweiten Januarwochenende eine »Mainzer Erklärung«. Den Ort hatte er wegen der anstehenden Landtagswahl in Rheinland-Pfalz ausgesucht. In dem Papier heißt es: »Um einen besseren strafrechtlichen Schutz vor sexueller Gewalt zu gewährleisten, wollen wir das Sexualstrafrecht reformieren und auch sexuelle Belästigungen wie Grapschen, die unterhalb der Schwelle sexueller Nötigung liegen, unter Strafe stellen. Darüber hinaus prüfen wir, ob das untere Strafmaß bei sexuellen Übergriffen angehoben werden muss.«

Vorangestellt ist dieser Passage die Forderung, dass Asylbewerber und -berechtigte sowie Flüchtlinge, die zu Bewährungsstrafen verurteilt sind, anders als bisher abgeschoben werden dürfen. Die Bundesregierung, nicht faul, lieferte gleich anschließend einen Gesetzentwurf.


Vorher schon wurde bekannt gegeben, dass sich ähnliche Vorfälle wie in Köln auch andernorts, zum Beispiel auf der Reeperbahn, ereigneten. Es gebe Tatverdächtige mit Ausweisen des Bundesamtes für Migration.


Wer jetzt feststellt, auch der Zustrom von solchen Flüchtlingen, denen derlei Delikte nachgesagt werden, habe Ursachen, an denen die Bundesrepublik mit beteiligt ist – Waffenexport, internationales wirtschaftliches Ungleichgewicht –, ist ganz schön mutig, gilt als Gutmensch und redet nicht von einer anderen Sache, auf die hier aus diesem gegebenem Anlass hingewiesen werden soll:
Gerade ist ein von der Gewerkschaftsjuristin Godela Linde verfasstes Buch erschienen: »Basta! Gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz«. Wer es empfiehlt, mutet den Käufer(inne)n eine unangenehme Lektüre zu. Behandelt werden die unterschiedlichsten sexuellen Übergriffe diesseits der Vergewaltigung und der Nötigung. Irgendwann will man nicht mehr weiterlesen: Man geniert sich angesichts der ständig neuen Erwähnung von (betatschten) Körperteilen und -haltungen sowie der Zitate aus einer Art Wörterbuch der Pornographie. Dabei geht es um strohtrockenes juristisches Handwerk: Basis sind ausschließlich viele Hunderte Gerichtsurteile und deren Begründung, immer belegt mit Aktenzeichen. Täter sind nicht nur Arbeitgeber und Vorgesetzte, sondern auch Kollegen, unter anderem bei der Polizei, und Bundeswehrkameraden sowie -(unter-)offiziere, manchmal auch gleichgeschlechtlich zugreifend. Wir sehen ein Amalgam aus Auswirkungen von Klassenherrschaft, Patriarchat, Abhängigkeit von Weisungsberechtigten und von Ausbildern.


Die Verfasserin nennt Mittel zur Gegenwehr: Zeug(inn)en suchen, Mitbelästigte mobilisieren, Straf- und (vor allem!) Arbeitsrecht. Wenn Chefs aufgefordert werden müssen, Täter zu entlassen, kann man sich den Vorwurf unkollegialen Verhaltens, der sich an die Klägerin, nicht an den Beklagten richtet, schon vorstellen. Ein Teil des Materials ist aus Gegenklagen der angeblichen oder tatsächlichen Belästiger, die Verleumdung behaupten, geschöpft.


Wir erfahren viel aus deutschem Arbeitsalltag, in dem solche sexuellen Delikte und die Behauptung, die Vorwürfe seien ja nur eine Form des Mobbings und Mittel im Konkurrenzkampf, wohl in dem Maße zugenommen haben, in dem die Jobs unsicherer geworden sind.


So. Und jetzt können Sie sich, wenn Sie wollen, wieder der »Ausländerfrage« zuwenden.

Godela Linde: »Basta! Gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Ratgeber und Rechtsberatung«, mit einem Vorwort von Ingrid Kurz-Scherf, PapyRossa Verlag, 212 Seiten, 15,90 €