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Titel318

Jahrestag der Befreiung von der I.G. Farben  (Ulrich Sander)

Im Juli 1932 – nach einem Besuch bei Hitler – beschloss die I. G.-Farben-Führung, die Produktion des vollkommen unwirtschaftlichen synthetischen Benzins fortzusetzen. Denn der »Führer« hatte, rund sieben Monate bevor ihm am 30. Januar 1933 die Verantwortung als Reichskanzler übergeben wurde, laut I.G.-Direktor Heinrich Bütefisch »klar und überzeugend« entschieden: »Die Wirtschaft in einem Deutschland, das politisch unabhängig bleiben will, ist heute ohne Öl nicht denkbar. Der deutsche Treibstoff muss daher selbst unter Opfern verwirklicht werden.« In seinem Manuskript – der Text war für das Jubiläum »25 Jahre Leuna« 1941 bestimmt, das wegen des anhaltenden Krieges nicht stattfand – schrieb Bütefisch über das Ergebnis des 25. Juni 1932: »Wir fuhren zurück in dem stolzen Bewusstsein, einen tiefen Blick in den Zusammenhang des großen geschichtlichen Werdens« – den Vierjahresplan zur Vorbereitung des kommenden Kriegs – »getan und von dem kommenden Führer des ganzen deutschen Volkes bestätigt erhalten zu haben, dass unser Ziel richtig und unsere Arbeit von größter Bedeutung war.« Diese Zusammenhänge hat Otto Köhler aufgedeckt (siehe junge Welt vom 27.12.2017). Und er fand bereits vor zehn Jahren heraus:

Es wird seitens der I.G.-Farben-Geschichtsschreibung nicht einmal vor plumpen Fälschungen zurückgeschreckt, wenn es darum geht, das Unternehmertum und seine NS-Geschichte weißzuwaschen. Es gebe »keine gegenlautenden Aussagen oder Dokumente« zur Aussage von Carl Krauch aus der I.G.-Farben-Spitze im Nürnberger Prozess, niemals die Zurverfügungstellung von Zwangsarbeitern für das Werk der I.G. in Auschwitz beantragt zu haben. So heißt es in der Firmengeschichte. Krauch hat gelogen. Das Dokument für Krauchs Antrag auf Bereitstellung von Zwangsarbeitern für die I.G. Farben wurde laut Köhler um die Worte »Auf meinen Antrag und« gekürzt. Der gerichtsbekannte Brief, den Krauch am 4. März 1941 an seinen für Auschwitz zuständigen Vorstandskollegen, den Giftgasexperten Otto Ambros, richtete, lautete: »Auf meinen Antrag und auf Weisung des Herrn Reichsmarschalls« habe der Reichsführer SS unter dem 26. Februar angeordnet, dass der Aufbau des Werkes in Auschwitz »durch die Gefangenen aus dem Konzentrationslager in jedem nur möglichem Umfange zu unterstützen sei.«

 

Hans Frankenthal (1926–1999) hatte unter der I.G.-Farben-Herrschaft zu leiden. Am 1. März 1943 wurde Frankenthal mit seiner Familie aus seiner Heimat in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Seine Eltern wurden dort getötet, er kam mit seinem Bruder Ernst in das KZ Auschwitz III Monowitz. Dort wurden medizinische Versuche an seinen Zähnen durchgeführt, und er arbeitete als Zwangsarbeiter für die I.G. Farben.

 

Frankenthal berichtete uns, seinen VVN-Freunden, mehrfach nicht nur vom Terror der SS, sondern auch vom unmittelbaren Wirken der I.G.-Farben-Leute, die schon mal die SS zum härteren Vorgehen gegen »faule Juden« aufforderten. Er hatte die Konzentrationslager Auschwitz-Monowitz und Dora-Mittelbau überlebt und setzte sich später für die Entschädigung der Zwangsarbeiter durch die Industrie ein.

 

Als Teil der künstlerischen Installation auf dem Gelände vor dem I.G.-Farben-Hochhaus zeigt das Norbert-Wollheim-Memorial auf einer Fototafel ein 1927 aufgenommenes Kinderbild der Brüder Ernst und Hans Frankenthal.

 

Bis zu seinem Tode hat sich Hans Frankenthal für die Entlarvung der I.G. Farben eingesetzt. Solange es die »I.G. Farben in Abwicklung« gab, demonstrierten wir Jahr für Jahr gemeinsam vor der Hauptversammlung dieser AG und protestierten gegen den Raub des Vermögens der Häftlinge und Opfer. Frankenthal war Mitglied des Zentralrates der Juden und aktives Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten. Jedes Jahr am 27. Januar, wenn sich der Tag der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee jährt, war er mit uns auf der Straße, und er betonte: Es war der Tag der Befreiung von der Herrschaft der Nazis und der I. G. Farben.

 

 

Leseempfehlung: Hans Frankenthal: »Verweigerte Rückkehr. Erfahrungen nach dem Judenmord«, Neuauflage unter Mitarbeit von Babette Quinkert, Andreas Plake und Florian Schmaltz, Metropol Verlag, 220 Seiten, 19 €