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Fieses aus der Fischereiwirtschaft  (Volker Bräutigam)

»Wenn Ihnen die Zukunft des Planeten wichtig ist, dann sollten Sie auch auf Fisch verzichten«, fordert Jonathan S. Foer in »Lebewesen verzehren« (»Eating Animals«, New York, 2009). Sein Buch beschreibt die globale industrielle Tierverwertung und ist keine Bettlektüre; mir bescherte es überdies heftige Skrupel wegen meiner Eßgewohnheiten. Aber auf Fleischnahrung verzichten, die meine liebe Frau so vorzüglich zubereitet? Und obendrein keinen Fisch mehr? Unmöglich! Dachte ich.

Laut Weltbank wurde 2008 Fisch im Wert von 80 Milliarden US-Dollar gefangen. Die Mengen gehen seit Jahren drastisch zurück, die Preise steigen. Die Welternährungsorganisation (FAO) mahnt, die Ozeane seien zu drei Vierteln abgefischt und bald zur Gänze. Der extensive Fang mit Hilfe satellitengestützter Ortung der Fischvorkommen geht trotzdem weiter. Schwimmende Fischfabriken befahren zu Tausenden die Weltmeere und ruinieren die Fischgründe. Wir Deutschen gehören mit jährlich 17,4 Kilogramm pro Kopf zu den gefräßigsten Fischkonsumenten weltweit.

Die Fachminister der Europäischen Union haben zwar im Januar neue, leicht verringerte Fangquoten für Nordatlantik und Nordsee verfügt. Lediglich mit Norwegen ist noch zu klären, wieviele Tausend Tonnen Makrelen in diesem Jahr angelandet werden dürfen. Doch die Quoten-Politik der EU orientiert sich weit mehr am Interesse der Fischereiwirtschaft als an der Erholung der Meeresfauna.

Ob Hering, Makrele, Dorsch/Kabeljau, Schellfisch, Hornhecht, Seelachs, Rotbarsch oder Plattfische wie Scholle, Seezunge und Heilbutt: die Vorkommen nehmen ab, auch die EU stoppt nicht den Raubbau. Zwar sind Netze verfügbar, mit denen sich wenigstens der sogenannte Beifang reduzieren ließe. Darunter versteht man Jungfisch, der die artgemäße Größe noch nicht erreicht hat und deshalb nicht verwertet werden darf. Aber selbst wenn solche Netze EU-Norm werden und dem Plattfisch bessere Überlebenschancen sichern, geht nach dem Aussortieren immer noch die Hälfte jedes Fischzugs über Bord und ist für den Arterhalt verloren.

Der Aal wird bald auf der Roten Liste vom Aussterben bedrohter Arten stehen. Aus der Sargasso-See, dem einzigen Ort der Erde, an dem er laicht, kommen nur mehr kümmerliche Schwärme der jungen »Glasaale«. Auch die Lachsbestände in den Nordmeeren schrumpfen dramatisch. Lachszuchtfarmen sind keine Lösung: Für ein Kilo Zuchtlachs braucht man drei Kilo Futterfisch. Die Farmen verunreinigen die See, und da das Futter für massenhaft gehälterte Tiere mit Medikamenten und Antibiotika versetzt werden muß, droht der Unterwasserwelt zusätzliche Gefahr.

Die wichtigsten Fischereinationen sind Japan, USA, Südkorea, Portugal, Rußland, Frankreich, Spanien, England, Island, Norwegen, Deutschland, Kanada, Brasilien, Chile, Argentinien und die Insel Taiwan. Was nicht heißt, daß die Fangflotten der Neuseeländer, Indonesier, Philippiner, Inder, Vietnamesen, Australier, Niederländer, Polen und Chinesen harmloser wären. Zudem sind ungezählte Schiffe illegal unterwegs. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace entdeckt Jahr für Jahr ganze Flotten von Schwarzfischern: Besonders Deutsche, Griechen, Ungarn, Südkoreaner, Israelis, und Japaner täten sich beim Fischraub hervor.

Die Fangmethoden der oft 200 Meter langen Fabrikschiffe sind allemal ruinös für das Leben im Meer. Die Trawler ziehen bis zu 120 Kilometer lange Treibnetze oder riesige tiefgehende Schleppnetze hinter sich her. Obwohl sich die Fischerei im Pazifik auf Thun und Dorade konzentriert, geht dabei auch alles andere drauf, Haie, Rochen, Delphine, kleine Wale, Wasserschildkröten. Dieser Beifang beträgt regelmäßig zwei Drittel eines Fischzugs.

Fatal wirken sich auch gelegentliche Netzverluste aus. Synthetische Netze verrotten nicht. Sie sinken mit ihrem Inhalt ab, und wenn der Fang in der Tiefe verwest ist, steigen sie wieder auf, werden zur tödlichen Falle für weitere Meeresbewohner, sinken wieder ab, steigen wieder auf – und das endet erst, wenn ein altes Netz zufällig entdeckt und geborgen wird oder in die Schrauben eines Schiffes gerät.

Schwarzfischer im Pazifik und im Indischen Ozean dringen mittlerweile auch in flache Meere mit Korallenriffen vor. Mit schweren Betonwalzen planiert man den Grund und vernichtet Fauna und Flora. Die aufwirbelnden organischen Teilchen locken Fisch von weither an, den man dann einholt. Auf den meisten Fabrikschiffen wird der Fang gleich zerteilt, verarbeitet und verpackt. Hernach sind Verstöße gegen das Fischerei-Recht kaum noch nachweisbar.

Der Kabarettist Georg Schramm verbreitete kürzlich in »Neues aus der Anstalt« (ZDF) die »gute Nachricht«, vor Somalias Küste habe sich der Fischbestand erholt, weil fremde Fischräuberflotten der Region wegen der dortigen Piraten fernblieben. Hinzuzufügen ist eine andere Nachricht: In der somalischen Hoheitszone verklappen jetzt Giftmülltransporter ihre illegale Fracht. Für Piraten sind die rostigen Pötte uninteressant: Niemand würde sich als ihr Eigner deklarieren und Lösegeld dafür zahlen. Somalische Polizei brauchen die Giftschiffer erst recht nicht zu fürchten. Unbill droht ihnen weder seitens der US- und der NATO-Kriegsschiffe noch gar von unseren Blauen Jungs von der Bundesmarine. Die jagen am Horn von Afrika entweder Terroristen (unter dem Namen Operation Enduring Freedom) oder Piraten (Operation Atalanta). Giftmüllverklappen in somalischen Gewässern ist für sie weder Terrorismus noch Seeräuberei.

Fangflotten aus aller Welt haben die ostafrikanische Fischereiwirtschaft ohnehin längst ruiniert. Derzeit konkurrieren sie die westafrikanische nieder. Hier sehen wir eine der vielen äußeren Ursachen afrikanischer Armut und Völkerwanderung nach Norden. Doch an den europäischen Außengrenzen, im Mittelmeer und im Atlantik, werden die Flüchtlinge gewaltsam gestoppt und kommen dort vielfach zu Tode. Tausende Afrikaner aus dem Meer zu ziehen, ist nicht profitabel. Tausende Tonnen Thunfisch rentieren sich.