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Titel0410

»No pasaran« in Dresden  (Heinrich Fink)

6.500 Nazis sammelten sich am 13. Februar im Bahnhofsareal Dresden-Neustadt, eine bedrohliche Menge, die mit der Absicht demonstrieren wollte, die Bombardierung Dresdens und anderer deutscher Städte als »Bombenholocaust« darzustellen und die Deutschen zu Opfern des Zweiten Weltkriegs zu erklären. Um diese Verfälschung der Geschichte zu verhindern, folgten 12.000 junge und alte Antifaschisten dem Aufruf, sich den Nazis entgegenzustellen. Acht Stunden dauerte ihre Sitzblockade, bis sie um 17 Uhr erleichtert zu ihren Bussen gehen konnten: »Geschafft!« Die Nazis hatten das Bahnhofsareal nicht verlassen können, weil die Polizei ihre Aufgabe, sie vor den Gegendemonstranten zu schützen, ernst genommen hatte. Die alte Losung aus dem Spanischen Bürgerkrieg »No Pasaran! Sie kommen nicht durch!« bestärkte den Widerstand an diesem Tage in Dresden. Den Nazis, die als zugelassene Partei NPD im Sächsischen Landtag sitzen, sollten nicht auch noch die Straßen der Stadt für bundesweit wirkende Propaganda überlassen werden. Darüber war man sich – bei allen Meinungsverschiedenheiten – einig: Den Nazis durfte kein Aufmarsch gelingen, schon gar nicht am Tage der Erinnerung an die 25.000 Toten vom 13. Februar 1945.

Auf dem Albertplatz, auf dem auch ich mich befand, versuchte die Polizei immer wieder, die Blockierer davon zu überzeugen, daß wir unrechtmäßig versammelt seien und daß sich unsere Menge deshalb aufzulösen habe. Wir antworteten: »Wir bleiben hier und lassen die Nazis nicht durch!« Damit protestierten wir auch gegen das gerade vom Sächsischen Landtag novellierte Versammlungsgesetz, nach dem auf bestimmten Plätzen und Straßen Dresdens nicht mehr demonstriert werden darf. Viele Transparente mit Protestlosungen zu Hartz IV, Bildungsnotstand, Kinderarmut, aber auch mit der Forderung nach dem Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan gaben Ausdruck vom politischen Klima in Deutschland. Buntbekleidete Trommlergruppen schlängelten sich erfolgreich durch die Straßen, obwohl sie immer wieder von der Polizei aufgehalten wurden. Viele Politiker der Linkspartei wurden öffentlich diskutierend gesehen, aber die antifaschistischen Demonstranten erlebten auch Unterstützung aus anderen Bundestags- und Landtagsfraktionen – ein ermutigender Impuls für dringend notwendige Initiativen gegen die NPD.

Mich beeindruckte die heitere Stimmung in der Menge – trotz der Kälte und der bis zuletzt anhaltenden Befürchtung, daß der Nazi-Aufmarsch doch noch stattfinden würde. Lautsprecher-Informationen von den anderen Blockadeplätzen lösten immer lauten Jubel aus. Da die Nazi-Demonstration bis 17 Uhr genehmigt war, erreichte die Gegendemonstration erst zu diesem Zeitpunkt ihr Ziel. Die Polizei verkündete, die Nazi-Demo sei nun abgesagt. Die Nazis sollten sich entfernen, weil die Polizei angesichts der großen Mehrzahl an Gegendemonstranten die Sicherheit nicht gewährleisten könne.

Fernab der Konfrontation mit den Neonazis in Dresden-Neustadt gedachten 15.000 wohlmeinende Bürger in einer Menschenkette am Altmarkt der Toten. Es muß sich nun zeigen, ob die Kette auch im politischen Alltag hält, wenn die NPD-Fraktion im Landtag die Demokraten weiter herausfordert. Vorrangig muß den Verletzten und Inhaftierten geholfen werden, und es bleibt zu klären, wie in den Wochen vor dem 13. Februar von staatlicher Seite versucht worden war, die Blockade und schon den Aufruf zu ihr zu kriminalisieren – einschließlich Wohnungsdurchsuchungen und Beschlagnahme von Computern. Eins steht fest: Ohne die sorgfältig vorbereitete und durchdachte Blockade hätte der Nazi-Aufmarsch stattgefunden. Sie, nur sie, hat ihn verhindert.

Heinrich Fink ist Sprecher der VVN/Bund der Antifaschisten.