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Die mobile Freiheitsstatue  (Ralph Hartmann)

Eine Statue ist nach allgemeinem Verständnis ein Standbild, ein feststehendes Bildwerk eines Menschen, zuweilen auch eines Tieres. Doch es gibt Ausnahmen. Die deutsche Statue, genauer die »deutsche Freiheitsstatue« – nach eigenem Bekenntnis: Guido Westerwelle – ist anders. Sie ist beweglich, ja äußerst mobil. Seit der FDP-Vorsitzende Bundesaußenminister der Bundesrepublik Deutschland ist, trägt er auf seinen zahlreichen diplomatischen Blitzreisen die Freiheitsfackel durch die Welt und fordert da, wo es ihm opportun erscheint, Freiheit und die Einhaltung der Menschenrechte; natürlich vor allem in China und in Rußland, aber auch zum Beispiel in Saudi-Arabien. In dieser absoluten Monarchie beschränkte er sich jedoch auf eine Kritik an der Todesstrafe, denn ansonsten gibt es in diesem Gottesstaat, in dem der Heilige Koran die Verfassung und die Scharia die primäre Gesetzesquelle ist, in puncto Menschenrechte nichts zu mäkeln.

Honduras hat er noch nicht persönlich aufgesucht, aber dafür haben maßgebende Sprecher seiner Partei und der Friedrich-Naumann-Stiftung den Putsch mit seinen zahllosen politischen Morden und schweren Menschenrechtsverletzungen begrüßt und unterstützt.

Wie kritikwürdig ist dagegen die Lage in China. Im Gespräch mit seinem Amtskollegen Yang hat sich der deutsche Außenminister – öffentlich und unmißverständlich – für die Einhaltung der Menschenrechte eingesetzt und betont, daß das Eintreten für Menschenrechte, Minderheiten, Presse- und Meinungsfreiheit »ein wichtiges Anliegen deutscher Außenpolitik« sei. Einige deutsche Blätter meinten gar, er habe mit den Chinesen Fraktur gesprochen. Die »deutsche Freiheitstatue« ist eben in dieser Frage konsequent und bleibt seinen eigenen Prinzipien treu.

Noch lange bevor Westerwelle Chef des Auswärtigen Amtes geworden war, 2004, hatte er im Bundestag voller Pathos erklärt: »Die Sache der Menschenrechte ist für uns keine Handelsware. Die Menschenrechte sind für alle in der Welt verbindlich ...«

Sowas hört sich immer gut an! Aber wie verbindlich sind die Menschenrechte in der Bundesrepublik?

Sucht man in Archiven oder im Internet nach dem Eintreten des liberalen Spitzenmannes für die Einhaltung der Menschenrechte in der BRD, so wird man trotz aller Mühe nicht fündig. Offenkundig ist für ihn in seinem Heimatland alles in bester Ordnung und die 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossene Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in all ihren Punkten schönste gesellschaftliche Realität. Zwar müßte er als Vorsitzender einer Partei, die sich liberal, also freiheitlich nennt, wissen, daß diese Grundsatzerklärung durch die 1966 abgeschlossenen Internationalen Pakte über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt) flankiert und für alle Unterzeichnerstaaten, und damit auch für die Bundesrepublik, verbindlich wurde.

Dem neuen Herrn Außenminister scheint das aber nicht geläufig zu sein, denn sonst würde er sich international – gegenüber ausgewählten Ländern – nicht so aktiv für die Respektierung der Menschenrechte engagieren und sich zu Hause in dieser Grundsatzfrage äußerste Zurückhaltung auferlegen. Von einem Außenminister dürfte es doch nicht zuviel verlangt sein, einmal in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zu blicken und zum Beispiel den Artikel 23 zu studieren. Hier heißt es:
»Erstens: Jeder hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit. Zweitens: Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Drittens: Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere soziale Schutzmaßnahmen.«

Wie traurig es um die Umsetzung dieser Rechte in der Bundesrepublik bestellt ist, weiß man spätestens seit Agenda 2010 und Hartz IV. Die FDP und Westerwelle persönlich haben an diesem sozialen Kahlschlag mitgewirkt: Die Menschenrechte der Arbeitslosen, Hartz-IV-Empfänger, Niedriglöhner, Leiharbeiter wurden demontiert und die Noch-Arbeitsplatzbesitzer einem permanenten Druck ausgesetzt. Aber nicht genug damit. Während Westerwelle in einigen Ländern die Menschenrechtstrommel schlägt, bläst er im eigenem Land zu neuen Attacken auf den Lebensstandard der meisten Bundesbürger und auf das schon schwer angeschlagene Solidarprinzip im kranken Gesundheitssystem. Neuerdings schlägt er dabei, geplagt von den rapide gesunkenen Umfragewerten für seine Partei, eine besonders schrille Tonart an. Mit Blick auf die Debatte über das jüngste, vielseitig auslegbare Karlsruher Hartz-IV-Urteil spricht er gar von »sozialistischen Zügen«, und allein schon in er Möglichkeit einer Erhöhung der Bezüge sieht er die Gefahr einer »spätrömischen Dekadenz«. Mit anderen Worten: Das Vaterland ist in Gefahr. Wie seinerzeit dem Römischen Reich droht nun der Bundesrepublik der Untergang. Ginge es jedoch nach ihm, dann würde der »Leistungsgedanke« durch Steuersenkungen für Unternehmer, Vermögende und Besserverdienende obsiegen, und die sozialen Menschenrechte der Mehrheit der Bevölkerung würden noch schneller und rücksichtsloser beschnitten. Um so freudiger aber läßt er sich im Inland als Menschenrechtskämpfer im Ausland darstellen.

Es gehört zur Pflicht eines Außenministers, für die Einhaltung der unveräußerlichen und unteilbaren Menschenrechte einzutreten, überall und nach den gleichen Maßstäben. Doch Westerwelle blickt nur einäugig in die Ferne und übersieht, wie viel es vor seiner eigenen Tür zu tun gäbe, denn da liegt Dreck genug. Aber offenkundig weiß er nicht einmal, wie er dabei den Besen halten, geschweige denn bewegen soll.

Letztlich ist er eben doch ein Standbild, befestigt auf seinem meterhohen Dünkel, eben die »deutsche Freiheitsstatue«.