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Titel042013

Demokratie in der Praxis  (Elke Steven)

Sachsen ist inzwischen bundesweit bekannt, wegen seines »besonderen« Verhältnisses zur Demokratie. Einseitige Ermittlungen und Verfolgung von Nazigegnern, Mißachtung von Datenschutz, konstruierte und verdeckte Ermittlungen nach § 129 StGB (Bildung krimineller Vereinigung) prägen den Umgang der Stadt Dresden mit den Protesten gegen Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus von NPD und Kameradschaften. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse sprach 2011 von »sächsischer Demokratie«. Polizei und Polizeigewerkschaft klagten daraufhin, Thierse habe damit Sachsens Polizisten beleidigt. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Verleumdung.

Auch in diesem Februar steht wieder der Aufmarsch der Nazis zum 13. Februar an, dem Gedenktag der Bombardierung Dresdens. Richter Hans-Joachim Hlavka begründete nun kurz vor diesem Datum ein haarsträubendes Urteil damit, daß die Bevölkerung in Dresden es satt habe, von Demonstrierenden besucht zu werden. Die Auflagen der Stadt Dresden für eine Demonstration am 2. Februar 2013, auf der ein öffentliches Blockadetraining stattfinden sollte, machen deutlich, daß einzig das Versammlungsrecht der »Minderheit« aus NPD und Kameradschaften in Dresden geschützt werden soll.

Im Jahr 2011 hatte die Polizei die Teilnehmer am Aufmarsch von NPD und Kameradschaften auf die Südseite der Elbe, die Gegendemonstrierenden auf die Nordseite der Elbe verbannen wollen. Die Gegendemonstrierenden aber forderten ihr Recht, in Sicht- und Hörweite ihren Protest vorbringen zu können. Eine polizeiliche Sortierung nach Gesinnung auf die Elbseiten funktionierte nicht. In der Südvorstadt waren viele Gruppen unterwegs, die ihren Protest gegen die braunen Rassisten zum Ausdruck bringen wollten.

Am Mittwoch, dem 16. Januar 2013, verhandelte das Schöffengericht des Amtsgerichts Dresden über die Anklage gegen einen 36jährigen Familienvater aus Berlin. Er wurde wegen Körperverletzung, besonders schwerem Landfriedensbruch und Beleidigung zu einer Haftstrafe von einem Jahr und zehn Monaten ohne Bewährung verurteilt. Er soll am 19. Februar 2011 in der Südstadt von Dresden ein Megafon in seinen Händen gehabt haben. Filmisch belegt ist, daß ein großer Mann mit Megafon dazu aufrief, »nach vorne zu kommen«. An dieser Stelle haben damals Demonstrierende eine Polizeiabsperrung durchbrochen. Ob der Angeklagte mit dem verschwommen gefilmten Mann identisch ist, konnte nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Ob die Aufforderung »kommt nach vorne« ein Aufruf zu Gewalt gegen Polizeibeamte und zum Durchbrechen einer Polizeikette ist, muß fraglich erscheinen. Dem Angeklagten wurde nicht vorgeworfen, selbst Gewalttätigkeiten begangen zu haben. Es ging »nur« um Rädelsführerschaft. Trotzdem verurteilte der Richter zu einer solch hohen Strafe ohne Bewährung und machte deutlich, daß das Urteil auch das Ziel hat, andere von der Teilnahme an Demonstrationen abzuschrecken. Die Staatsanwaltschaft setzte noch eins drauf. Sie legte kurz danach Berufung gegen das Urteil ein, da »das Strafmaß (...) dem Unrechtsgehalt der Tat und der Persönlichkeit des Angeklagten nicht gerecht« werde.

Verständlicherweise sorgte dieses Urteil für Empörung bei Demokraten und Demokratinnen. Wer kann sich noch trauen, während einer Demonstration ein Megafon in die Hand zu nehmen, wenn dieses so einfach zu einer Tatwaffe umgedeutet werden kann. Das Verfahren gegen Pfarrer Lothar König, der mit seinem Lautsprecherwagen und Musik »zu Gewalt angestachelt« haben soll, steht im März 2013 an. Und auch dem Geschäftsführer der Berliner VVN/BdA wird besonders schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen. Mit einer Fahne habe er Menschenmengen in Dresden Orientierung gegeben.

Die strafrechtliche Verfolgung der Protestierenden hat ansonsten bisher wenig Erfolg gebracht. Die Strafverfahren gegen TeilnehmerInnen von Sitzblockaden verliefen im Sande. Verfahren gegen Abgeordnete der Linken, die wegen »Rädelsführerschaft« bei den Protesten im Jahr 2010 belangt werden sollten, mußten eingestellt werden. Die polizeilichen Durchsuchungen von mehreren Räumen am Abend des 19. Februar 2011 wurden gerichtlich für rechtswidrig erklärt. Die Datensammlungen mittels Funkzellenabfrage werden vom Datenschutzbeauftragten als rechtswidrig eingestuft, der Rechtsstreit dauert an.

Am selben Tag erging auch ein anderes Urteil in Dresden. Fünf Mitglieder der verbotenen Gruppe »Sturm 34« waren angeklagt. »Sie hatten Menschen terrorisiert, geschlagen und bedroht, Restaurants verwüstet, Massenschlägereien angezettelt und öffentlich erklärt, sie würden »ausländerfreie Zonen« schaffen (FR, 21.1.2013). Bei ihrer Festnahme fand die Polizei Waffen, Masken und Helme. Am 16. Januar 2013 wurde über eine Berufung gegen ein mildes Urteil gegen sie verhandelt. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, daß eine Geldstrafe und Bewährung für diese Straftaten ausreiche.

Länger schon sind andere Verfahren anhängig. Ein Betreuer des Fußball-klubs Roter Stern veröffentlichte das Bild eines Fußballspielers vom SV Lipsia Eutritzsch, der ungeniert seine Hakenkreuztätowierung am Oberarm, ergänzt von den Buchstaben W und P (für White Power), zur Schau stellte. Die Anklage gegen den Nazi-Tätowierten wurde durch die Leipziger Staatsanwaltschaft schnell eingestellt. Es sei nicht ersichtlich, daß viele Personen das Hakenkreuz gesehen hätten. Stattdessen wurden Ermittlungen gegen den Fotografen, der das Bild veröffentlicht hatte, aufgenommen – wegen des Vorwurfs der Persönlichkeitsrechtsverletzung und wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86 a StGB). Gegen eine Zahlung von 250 Euro hätte auch dieses Verfahren eingestellt werden können. Dem stimmte der Betreuer vom Roten Stern jedoch nicht zu. Und weil zwei der Fußballspieler dieses Vereins aussagten, daß auch sie das Hakenkreuz gesehen hätten, mußte auch das Verfahren gegen den Tätowierten wieder aufgenommen werden (taz, 25.1.2013).

Ein wenig Hoffnung auf deutsche Gerichtsbarkeit bleibt. Das Bundesverfassungsgericht entschied im Januar 2013, daß eine Mutter, die aus der rechten Szene ausgestiegen ist und sich vor dieser verstecken muß, dem Vater das Umgangsrecht mit ihren Kindern verweigern darf. Das OLG Dresden hatte dagegen im Juli 2012 entschieden, daß der gewalttätige Vater ein Umgangsrecht habe. Von der militanten und gewalttätigen rechten Szene gehe keine maßgebliche Bedrohung aus.