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Titel042013

NPD-Verbot bleibt auf der Agenda  (Ulla Jelpke)

Im Dezember beschloß der Bundesrat, einen Antrag für ein neues NPD-Verbotsverfahren zu stellen (s. auch Ossietzky 3/13). Bundestag und Bundesregierung müssen nun entscheiden, ob sie wie beim ersten, an der damaligen Durchsetzung der Parteigremien mit Verfassungsschutzagenten gescheiterten Verbotsantrag 2002 mitziehen wollen. Doch die langjährigen Skeptiker, Zweifler und Gegner eines NPD-Verbotsverfahrens wittern nach der niedersächsischen Landtagswahl Morgenluft. In Niedersachsen sackte die NPD am 20. Januar von 1,5 Prozent im Jahr 2008 auf ein Ergebnis von nur noch 0,8 Prozent ab und bekommt damit nicht einmal die Wahlkampfkosten vom Staat erstattet. »Der Wahlausgang in Niedersachsen zeigt: die NPD ist eine sterbende Partei«, kommentierte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) das Ergebnis. Das schlechte Abschneiden der NPD »ist ein Beweis dafür, daß wir kein Verbotsverfahren brauchen«, meint sein Parteifreund, der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Hans-Peter Uhl – seit langem ein Gegner eines neuen NPD-Verbotsverfahrens. Um eine Partei zu verbieten, müsse sie eine ernsthafte und relevante Gefahr für den Rechtsstaat darstellen, meint CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach. Das sei bei einem NPD-Stimmenanteil von nur 0,8 Prozent nicht leicht nachzuweisen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Jörg van Essen, sowie sein grüner Amtskollege Volker Beck warnen vor einer Aufwertung der NPD durch ein neues Verbotsverfahren, das – so Beck – die Nazipartei »aus dem Reich der Halbtoten zurückholen« möchte.

Diese Argumente gegen ein Verbotsverfahren sind nicht neu und lassen sich schon gar nicht allein mit der Niedersachsenwahl belegen. Auch das vorangegangene niedersächsische Wahlergebnis der NPD von 1,5 Prozent war meilenweit von der Fünfprozenthürde entfernt, so wie die NPD bei Landtags- und Bundestagswahlen im Westen der Republik seit Ende der 1960er Jahre schon keine Erfolge oder auch nur Achtungserfolge einstreichen konnte. Zu fragen ist außerdem, wieweit allein der Beschluß des Bundestages zur Einleitung eines neuen Verbotsverfahrens in den Augen der Wähler soweit zur Ächtung der NPD beitrug, daß die Unterstützung am Wahltag deutlich zurückging.
Als halbtote oder sterbende Partei erscheint die NPD nur durch den Tunnelblick westdeutscher Politiker aus dem Raumschiff Bundestag. Ganz anders stellt sich die Situation in der mecklenburgischen Provinz oder in sächsischen Kleinstädten da. In Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen ist die NPD bereits in zwei aufeinanderfolgenden Wahlperioden in Fraktionsstärke in die Landtage eingezogen, hier verfügt sie über eine Vielzahl von Kommunalmandaten. In Graswurzelarbeit macht sich die NPD im den Kommunen breit, ihre Kader finden sich in Elternbeiräten und bei der freiwilligen Feuerwehr, sie erreichen die Jugend als Fußballtrainer oder Fahrlehrer. Kurz gesagt: Hier gilt die NPD als eine normale Partei, die dementsprechend in Teilen der Bevölkerung verankert ist.

Eine Gefahr für den Rechtsstaat insgesamt stellt die NPD derzeit sicherlich nicht da; das tat sie in der Vergangenheit auch nicht. Doch nach dieser Logik könnte auch die NSDAP wieder legalisiert werden, würde die originale Nazipartei wohl auch kaum mehr Unterstützung durch die Bevölkerung bekommen als ihre Kopie in Form der NPD. Allerdings stellt die NPD eine ganz konkrete Gefahr für viele Menschen da, die als Migranten, Linke und Antifaschisten, Juden oder Muslime, aber auch Behinderte oder Obdachlose aus der von der NPD angestrebten »völkischen Gemeinschaft« herausfallen. Das nach wie vor praktizierte Konzept der »national befreiten Zonen« – also der Errichtung von Angstzonen für Andersdenkende oder Andersaussehende in Kleinstädten oder Stadtteilen –geht auf ein Strategiepapier des NPD-Studentenverbandes Anfang der 90er Jahre zurück. In solchen Angstzonen ist der Rechtsstaat tatsächlich außer Kraft gesetzt, Antifaschisten und Migranten werden durch Drohungen und offene Gewalt zum Verlassen dieser Bezirke gezwungen.

Seit der Wiedervereinigung wurden nach unterschiedlichen Statistiken und Recherchen etwa des Tagesspiegel und der Amadeu-Antonio-Stiftung zwischen 160 und 180 Menschen aufgrund rechts- oder fremdenfeindlich motivierter Gewalttaten getötet. Die Bundesregierung erkennt allerdings nur 63 dieser Toten als Opfer von rechter Gewalt an. Wenn Obdachlose von betrunkenen Nazischlägern aus sozialdarwinistischen Motiven totgeschlagen oder in Dortmund ein antifaschistischer Punk von einem jugendlichen Neonazis erstochen wurde, fallen diese Morde aus der amtlichen Statistik. Würde tatsächlich das ganze Ausmaß rechter Gewalt offengelegt und von der Bundesregierung anerkannt, müßte durchaus von einer Gefährdung des Rechtsstaates gesprochen werden. Zwar waren die Täter wohl in den wenigsten Fällen Mitglieder der NPD, und sie handelten auch nicht im Parteiauftrag. Doch die Nazipartei trägt mit ihrer fremdenfeindlichen Hetze ganz wesentlich zu einem Klima bei, in dem solche Gewalttaten als legitimes Mittel erscheinen. Die dem Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung vorliegende Materialsammlung mit Belastungsmaterial für ein neues NPD-Verbotsverfahren beweist zweifelsfrei die rassistische und fremdenfeindliche Ausrichtung der NPD. Im Zentrum ihrer politischen Konzepte steht die Herstellung einer Volksgemeinschaft durch den Ausschluß, die Entrechtung und Vertreibung aller nicht in dieses Bild passenden Menschen. Schließlich ist ein enges Zusammenspiel zwischen der NPD und den gewalttätigen »freien Kameradschaften« auszumachen, die immer wieder bei Aufmärschen unter dem Schutz des Parteienprivilegs der NPD agieren und im Gegenzug als Wahlkampfhelfer oder Saalschutz für die NPD auftreten. Dies ist nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern der Fall, wo Kameradschaftsaktivisten zugleich als Parteifunktionäre firmieren. Auch zwischen den drei im vergangenen August vom nordrhein-westfälischen Innenministerium verbotenen Nazikameradschaften im Ruhrgebiet und der NPD gab es vielfache Beziehungen bis hin zu Doppelmitgliedschaften. Im Büro des Nationalen Widerstands Dortmund fanden sich Hunderte NPD-Plakate, NPD und Kameradschaften hatten gemeinsame Veranstaltungen durchgeführt, und nach dem Verbot eilte NPD-Chef Holger Apfel demonstrativ nach Dortmund, um den »Kameraden« seine Unterstützung zu zeigen.

Wenn wir das Für und Wider eines Verbotsverfahrens abwägen, dürfen wir die NPD nicht isoliert von der übrigen Naziszene und schon gar nicht reduziert auf ihre Wahlergebnisse betrachten. Um das Belastungsmaterial für ein NPD-Verbotsverfahren hier wasserdicht zu machen, müßte die zentrale Stellung der NPD innerhalb der Naziszene, ihre Verbindung zu Gewalttätern und Kameradschaften noch wesentlich schärfer herausgearbeitet werden als bislang geschehen. Das ist – neben der Garantie der V-Leute-Freiheit des Materials – eine Voraussetzung für ein erfolgreiches NPD-Verbotsverfahren.