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Titel414

Kulturdebatte in Frankfurt am Main  (Reiner Diederich)

Es gab einmal eine Zeit, in der statt »kulturell« gerne »soziokulturell« gesagt wurde, um damit zu zeigen, daß man nicht an einem verstaubten bildungsbürgerlichen Kulturbegriff festhalten wollte. Das war auch die Zeit, in der Hilmar Hoffmann, damals sozialdemokratischer Kulturdezernent in Frankfurt am Main, die Parole »Kultur für alle« ausgab. Die Institutionen kultureller Bildung – Theater, Museen, Kunsthallen – sollten sich für Menschen aus den unteren Schichten öffnen, was im Idealfall nicht nur Bemühungen um »Vermittlung«, sondern auch die Wahl anderer Themen und Zugänge bedeutete.

Wenn heute jemand daran erinnern oder anknüpfen möchte, kann es ihm passieren, daß er als »Steinzeit-Sozialdemokrat« bezeichnet wird. So die Schriftstellerin Eva Demski über den Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD), der sich mit fünf Thesen zur Kulturpolitik auf das glatte Parkett der schwarz-grün regierten Mainmetropole begeben hatte. Der Schriftsteller Matthias Altenburg, auch unter dem Namen Jan Seghers als Krimi-Autor bekannt, dekretierte in der F.A.Z.: »Kunst ist Kunst« und tat die alte Formel »Kultur ist, wie der ganze Mensch lebt und arbeitet« als Inbegriff des Gestrigen ab.

Längst überholt müßten dann auch Aussagen wie die folgenden sein: »Ich bin einverstanden damit, daß meine Kunst Zwecke hat. Ich will wirken in dieser Zeit.« (Käthe Kollwitz) – »Kunst ist nicht dazu da, Wohnungen zu verschönern.« (Picasso) – »Das Ziel des erweiterten Kunstbegriffs ist die Befreiung der Arbeit.« (Joseph Beuys)

Womit hatte der Oberbürgermeister die Frankfurter Kulturschaffenden denn so vergrätzt? Die erste seiner Thesen trägt die zweifellos interpretationsbedürftige Überschrift: »Kultur ist Teil der Sozialpolitik.« Der erste Satz dieser These lautet aber unmißverständlich so: »Ich gehe von einem sozialen Kulturbegriff aus.« Daraus machten seine Gegner, Feldmann wolle die Kultur zu einer »Funktion der Sozialpolitik« (Kulturdezernent Felix Semmelroth, CDU) machen und damit ihrer Selbständigkeit berauben. Dabei findet er nur »einen Kulturbegriff nicht ausreichend, der sich aus einem elitären Kunstverständnis speist«.

Da fühlen sich in Frankfurt vermutlich auch diejenigen getroffen, denen die in diesem Jahr erneut erhöhten Eintrittspreise der Museen und die Streichung von Fördermitteln für kleine kulturelle Initiativen kein Problem sind. Denn die aus Steuermitteln hoch subventionierten Plätze in der Oper und im Schauspielhaus können sie sich ja noch allemal leisten. Und höhere Steuern für eine bessere Kultur- und Sozialpolitik kommen für sie schon überhaupt nicht in Frage.

Leider erwähnte Feldmann die immer ungleichere Einkommens-, Vermögens- und Steuerverteilung in seinen Thesen nicht. Stattdessen setzte er sich mit einer häßlichen Metapher vollends in die Nesseln, so daß sein Parteifreund Hilmar Hoffmann, auf den er sich gerne berufen hätte, sich schleunigst von ihm distanzierte. Feldmann bezeichnete nämlich Kulturpolitik als umso erfolgreicher, »je mehr sie sich als Schmiermittel sozialer Infrastruktur, Wirtschaftsförderer und Integrationsmotor« begreife. Viele verstanden das so, als hätte er Kunst und Kultur selbst mit Schmieröl vergleichen wollen – unerhört!

Wieviel vornehmer klingt es doch, wenn man von ihnen, wie es Kulturpolitiker und Vertreter der Wirtschaft mit Vorliebe tun, als »weichen Standortfaktoren« spricht, die in der Konkurrenz der Kommunen und der Konzerne untereinander eine immer größere Rolle spielen. Und wieviel schöner als »Schmiermittel« klingt doch »Sponsoring«!

Der Aufschrei gegen mißverständliche oder mißglückte Formulierungen in den kulturpolitischen Thesen des Frankfurter Oberbürgermeisters wäre glaubwürdiger gewesen, wenn sich die Betreffenden auch kritisch mit den heutigen Formen einer kommerzialisierten Eventkultur und mit den nach wie vor wirksamen sozialen Ausschließungsmechanismen im Kulturbetrieb befassen würden.

Christian Thomas bezeichnete die Positionen vieler Feldmann-Gegner in einem Artikel in der Frankfurter Rundschau zu Recht als »zweckgebundene, parteipolitische Heuchelei« und lehnte die von ihnen propagierte Gleichsetzung von Kultur mit Kunst ab. Aber dann schlug er sich doch auf die Seite derer, die meinen, eine Kritik an der heutigen »Elite- und/oder Hochkultur«, wie sie Feldmann übe, sei selbst nur das Ergebnis eines Ressentiments, das aus dem linken politischen Spektrum stammt und sich aus Unkenntnis speist. Selbst wenn das zutreffen würde, blieben berechtigte Fragen an die Kulturpolitik und an die sozialen und kulturellen Entwicklungen in einer Stadt wie Frankfurt am Main.

Dazu ein kleines, aber bezeichnendes Beispiel: Vermutlich werden 200.000 Besucherinnen und Besucher die Dürer-Ausstellung des Frankfurter Städel gesehen haben, wenn sie zu Ende ist. Kunst für die Massen – keine Spur von Elitekultur also? Spricht man mit denen, die aus der Ausstellung kommen, so haben sie nichts über Dürers Haltung zu den Bauern und zum Bauernkrieg erfahren. Kein Wunder: Die betreffenden Grafiken des »deutschen Meisters« (Städel) fehlen und Hinweise in den Texten gibt es auch nicht. Stattdessen kann man auf einer großen Schrifttafel über Dürers Verhältnis zur damaligen Elite lesen: »Künstler und Kaiser befanden sich in einer Win-win-Situation.«

Als sich eine Gruppe – unangemeldet und ohne den von der Städel-Administration verlangten Aufpreis von 40 Euro für »Fremdführungen« bezahlt zu haben – über Dürers Apokalypse-Zyklus unterhält, wird sie von einer Mitarbeiterin des Hauses – vergeblich – aufgefordert, sich sofort »bei der Security« zu melden und mit dem technischen Equipment für Einbahn-Kommunikation (ein Mikro für die Führungskraft und Kopfhörer für die anderen) ausrüsten zu lassen. Später antwortet die Dame auf die Frage, ob man sie überhaupt bei ihrer Führung einiger weniger Personen gestört habe: »Wissen Sie denn, wen ich da bei mir hatte? Das waren Leute von einem großen potentiellen Sponsor – von KPMG.« Ihre Augen leuchten dabei auf.

Soviel zur »Win-win-Situation« im heutigen Kulturbetrieb einer Stadt wie Frankfurt am Main.