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Titel417

Gorleben: 40 Jahre und kein Ende in Sicht  (Wolfgang Ehmke)

Wer hätte das gedacht: Es gibt ihn – den erfolgreichen Widerstand! Zäher, phantasievoller Protest hat dazu geführt, dass nicht alle Blütenträume von Ernst Albrecht in Erfüllung gingen. Am 22. Februar 1977 hatte sich die niedersächsische Landesregierung (CDU) entschieden, in Gorleben ein gigantisches Atommüllzentrum, ein Nukleares Entsorgungszentrum (NEZ), zu errichten – auf zwölf Quadratkilometern, in einer menschenleeren Ecke, gut abzusperren gegen Proteste, im Nordosten Niedersachsens, in Lüchow-Dannenberg, das wie ein Dreieck in das Gebiet der DDR hineinragte. Kolportiert wird das Vorurteil, es sei der »dümmstbesiedelte« Flecken in Niedersachsen gewesen. Das ist Geschichte! Beides!

 

Eine Wiederaufbereitungsanlage, eine Brennelementefabrik, diverse oberirdische Pufferläger – auch sie sind Geschichte. Und ich denke, das politische Lavieren des damaligen CDU-Ministerpräsidenten Albrecht hat mit dazu beigetragen, dass doch recht schnell jenes NEZ ad acta gelegt wurde. Zunächst hatte Albrecht Gorleben praktisch aus dem Hut gezaubert und andere Standorte – Weesen-Lutterloh, Lichtenhorst und Wahn – dafür einfach gestrichen. Nach den sofort aufflammenden Protesten und unter dem Eindruck eines internationalen Symposiums ruderte er jedoch zurück: Gorleben sei »technisch« zwar machbar, politisch aber nicht durchsetzbar. Albrecht schlug dann allerdings vor, die gleiche Anlage im Westkreis, in Dragahn, zu errichten. Auch das ist Geschichte!

 

Dieses Hin und Her, dieser Glaubwürdigkeitsverlust hat die Menschen empört und skeptisch gestimmt. Nicht zuletzt der Umgang mit den Einheimischen. Man war einfach nur »dagegen«, wurde aber beobachtet, ausspioniert, kriminalisiert. Man wollte das »Ding da« nicht, sah aber plötzlich, dass es um Profit, staatliche Willkür und Verlust an Demokratie ging, wenn der Atomstaat sein wahres Gesicht zeigte. Gorleben hat Generationen elektrisiert und politisiert.

 

Dass die Industrie am Ende eine Wiederaufarbeitungsanlage – auch im bayrischen Wackersdorf – selbst nicht mehr errichten wollte, ist noch eine ganz andere Geschichte. Ein »Entsorgungsbeitrag« wäre die Anlage ohnehin nicht geworden, es ging um das Extrahieren des waffenfähigen Plutoniums aus abgebrannten Brennelementen oder die Beimischung des Plutoniums bei der Fertigung von Brennelementen. Es ging um nukleare Teilhabe. Am Ende hat die Energiewirtschaft diesen »Entsorgungspfad« aus Kostengründen selbst kassiert. Wackersdorf ist schon lange Geschichte, der Plutoniumbunker in Hanau wurde 2005 endgültig geräumt. Fast unbemerkt von den Chronisten wurde damit auch das Ende der atomaren Träume von Franz Josef Strauß (CSU) besiegelt, des ersten Atomministers der Bundesrepublik (1955/56).

 

Was blieb, war für die Region rund um Gorleben heftig genug: die Verabredung zwischen Albrecht und Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) aus dem Jahr 1979, trotzdem den Salzstock Gorleben zu erkunden und Zwischenlager zu errichten – da ging es vor allem um den Entsorgungsnachweis, der für die Genehmigung von Atomkraftwerken gefordert war. Ohne Entsorgungsnachweis, so befanden damals Verwaltungsrichter in Schleswig, wäre Ende im Gelände. In den Wind geschlagen wurden die alarmierenden Ergebnisse der Tiefbohrungen, durch die klar war: Dieser Salzstock hat Wasserkontakt. Das war 1983, und es wurde trotzdem gebaut. Das beschäftigt uns noch immer!

 

Und auch mit den konkreten Hinterlassenschaften der Verabredung müssen wir uns heute noch herumplagen. Fässer, die schon nach wenigen Jahrzehnten Zwischenlagerung rosten, 113 Castoren, von denen niemand weiß, welche Schwierigkeiten bei einer Dauerlagerung noch auftreten, eine Pilot-Konditionierungsanlage, die genehmigt ist, aber nicht genutzt wird, und ein Endlagerbergwerk, das in einen Dornröschenschlaf verfallen ist.

 

Ja, wir können stolz sein, aber wir können nicht wirklich zufrieden sein und auf Stand-by schalten. Stolz können wir sein, weil die Massenproteste und der beharrliche, bunte und von vielen Menschen im Wendland und von Freund_innen von außerhalb getragene Widerstand mit dazu beigetragen haben, dass am Ende nach den Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima ein politisches Umsteuern –weg von der Atomkraft, hin zu den regenerativen Energien – vollzogen wurde. Und das unter einer CDU/FDP-Regierung, die kurz zuvor noch die Laufzeiten der Reaktoren verlängert hatte. Wir können auch stolz sein, dass es heute um den Klimaschutz geht. Längst stehen nicht nur Atomkraftwerke, sondern auch Kohlekraftwerke zur Disposition. Was wurden wir verspottet, als im Hüttendorf 1004 sich vor über 35 Jahren ein Windrad drehte. Diese Ökospinner! Wir können stolz sein, dass kein weiterer Castor in Gorleben eingelagert werden soll und damit der Druck zur Realisierung des Endlagerprojekts abgeschwächt wurde.

 

Was fehlt, ist eine echte Entschuldigung für die politischen Beschimpfungen als Chaoten, als dreckiges Pack und für all die anderen verunglimpfenden Bezeichnungen – und für die Kriminalisierung. Was fehlt, ist das parteiübergreifende Eingeständnis, dass Gorleben ein Fehler war.

 

Höllisch wachsam, müssen wir bleiben, um zu sehen, ob parteipolitische und Länderegoismen nicht doch dazu führen, dass Gorleben aus dem Dornröschenschlaf wiedererweckt wird. Was fehlt ist, dass sich die historische Wahrheit, dass Gorleben als Endlager nie geeignet war, wirklich durchsetzt. Der Widerstand darf nicht einschlafen, nur die Arbeitsfelder haben sich verschoben: Immer häufiger ist Expertise gefragt. Aber wenn die Zeichen wieder auf Sturm stehen, dann ist klar: Auf der Straße sieht man sich wieder.