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Titel419

Bemerkungen

Der deutsche Wal

In der Postfiliale lasse ich mir 45er Briefmarken geben, ein »Markenset«. »Selbstklebend, praktische Vorratsgröße, 10 x 0,45 €«, lese ich auf der Rückseite. Auf der Vorderseite befinden sich zehn identisch aussehende Briefmarken: Ein Wal, von links kommend, strebt nach rechts. Linksseitig, in Blockbuchstaben: »GEFÄHRDETE DEUTSCHE WALART. DER SCHWEINSWAL«.

 

Eine deutsche Walart?

 

Nach Angaben der Gesellschaft zur Rettung der Delphine (GDR), die, naheliegend, ihren Sitz in München hat, kamen die Schweinswale vor mehr als 100 Jahren »häufig in den großen Flüssen wie Elbe, Weser und Ems vor. Dann verschwanden die 1,5 Meter großen Tiere mehr und mehr als Folge der verschmutzten Flüsse.« (www.welt.de).

 

So weit, so traurig.

 

Aber eine deutsche Walart? Doch eher »die einzige in Deutschland heimische Walart« (ebenda). Der Gewöhnliche Schweinswal, des Öfteren auch als »Kleiner Tümmler«, »Braunfisch« oder »Meerschwein« benannt, lebt, wie mir das WWF-Artenlexikon verrät, wenn er nicht im Überlebenskampf die Menschen flieht, vorrangig an der östlichen Atlantikküste von Nordafrika (Senegal, Mauretanien, Marokko), entlang der gesamten europäische Küstenlinie bis hin zu den Küsten von Spitzbergen inklusive der Nordsee und Ostsee sowie an der Ost- und Westküste Nordamerikas und der Pazifikküste_Asiens (https://www.wwf.de).

 

Der Braunfisch wird nur selten ohne einen deutschen Pass angetroffen. So ist er gesinnt. Zunehmend wird er zu einem Braunfisch ohne Raum.

 

Andreas Stahl

 

 

 

Nord/LB: Nochmal gutgegangen?

Vielleicht haben die 3000 von ver.di gesammelten Unterschriften, Demons-trationen und andere Aktivitäten ja doch geholfen: Die niedersächsische Landesregierung jedenfalls, die gleichzeitig Mehrheitseigner der notleidenden Nord/LB ist, hat Anfang Februar verkündet, die Angebote »zweier Finanzinvestoren … zunächst zurückzustellen«. Damit wird nur noch die von Land und den Sparkassenorganisationen in Hannover und Berlin bevorzugte Lösung einer gemeinsamen Kapitalstärkung für die Bank weiterverfolgt. Ihr öffentlich-rechtlicher Charakter bliebe damit gewahrt.

 

Das sind gute Nachrichten – die Hereinnahme privater Investoren hätte für die gesamte Sparkassengruppe unkalkulierbare Folgen gehabt.

 

Eine Reihe Hürden sind noch zu nehmen – nicht zuletzt die Genehmigung der Kapitalerhöhung durch die europäische Bankenaufsicht. Angesichts der Größe des Kapitalbedarfs (rund 3,6 Milliarden Euro) sind eine Fülle Details zu regeln, bis die Vereinbarungen unterschriftsreif sind. Dazu gehören die Verhandlungen um die Sicherung möglichst vieler Arbeitsplätze. Vor der Gewerkschaft ver.di und allen anderen, die das öffentliche Bankensystem in Deutschland verteidigen, liegt also noch viel Arbeit – aber bis jetzt sieht es nach einem »nochmal gutgegangen« aus.

 

                   Manfred Sohn

 

 

 

Medizinismus

Ein Arzt, der gut seinen Job verrichtet,

wird niemals den Hippokrates verraten.

Er fühlt sich seinen Patienten verpflichtet,

ganz besonders den privaten.

Günter Krone

 

 

 

Game over?

Dieses Buch wird von ganz unterschiedlichen Stimmen als »großer Wurf« und »Weckruf«, als eindrucksvoll und flott geschrieben, als Buch, das »Debatten auslösen« wird, gepriesen – von Günter Wallraff über Greenpeace bis hin zur FAZ. Der Titel »Game over. Wohlstand für wenige, Demokratie für niemand, Nationalismus für alle – und dann?« deutet schon unsanft darauf hin, um was es dem Verfasser geht.

 

Hans-Peter Martin, langjähriger Auslandskorrespondent des Spiegel und 15 Jahre lang unabhängiges österreichisches Mitglied des Europäischen Parlaments, ist Mitautor der früheren Bestseller »Bittere Pillen« und »Die Globalisierungsfalle«. Auch im vorliegenden Buch geht es ihm um wirklich große Fragen, Probleme und Themen – anschaulich beschrieben und schonungslos analysiert, nachvollziehbar belegt mit Daten, Tabellen und Schaubildern. Für viele sicherlich ein schockierender Blick in den Abgrund – manchen vielleicht zu pessimistisch und ausweglos. Doch gegen Resignation und Fatalismus versucht Martin im letzten Teil seines Buches anzuschreiben und seine Leserinnen und Leser zu motivieren, sich politisch zu engagieren und die Utopie einer »großen, glaubwürdigen Teilhabe« mit zu entwerfen.

 

»Game over« behandelt zahlreiche internationale und nationale Entwicklungsstränge und Konfliktfelder und macht dabei brisante Zusammenhänge deutlich. Nur einige Stichworte: Handels- und Rohstoffkriege, Aufrüstung und Militarisierung der Gesellschaft, drohender neuer Finanzcrash, Klimawandel und -katastrophen, Fluchtursachen und Migrationsdruck, Zerfall der EU angesichts eines europäischen Trends zu Neonationalismus, Ausgrenzung und autoritären »Lösungen«, Digitalisierung und Cyberattacken, staatliche und kommerzielle Überwachung zulasten persönlicher Freiheiten, extreme soziale und ökonomische Ungleichheit, unbezahlbares Wohnen in Großstädten und Ballungszentren – die Liste der Zumutungen und Grausamkeiten bis hin zum Verlust von Demokratie und Bürgerrechten ließe sich noch länger fortsetzen. Etliche dieser Entwicklungen und Probleme befördern in den Bevölkerungen Europas starke (Abstiegs-)Ängste und Unsicherheit, Neonationalismus, Rassismus und Abschottungsreflexe. Martin hinterfragt in seiner Analyse so manche gängigen politischen, auch linken Gewissheiten, Einordnungen und Vorurteile – und bürstet sie gegen den Strich.

 

Die von Martin angesprochenen Zukunftsfragen sind, so sagt er selbst, längst brisante Gegenwartsfragen, denn die Zukunft hat bereits begonnen, und Probleme harren ihrer Lösungen, die keinen Aufschub mehr vertragen. Der Autor liefert auch Alternativvorschläge für die Zukunft, die er in einer »ökosozialen Marktwirtschaft« sieht: »Wer die westlichen Gesellschaften in ihrer betörenden Vielfalt retten will, muss jetzt an die Wurzeln gehen. Was wäre in der derzeitigen Gemengelage vernünftiger, als utopisch zu denken?«. Der Ausweg könne nur in einem »glaubwürdigen Teilen« bestehen – »sozial, digital, ökonomisch und politisch«. Hans-Peter Martin hofft nach »Game Over« für das westliche Zivilisationsmodell, das schon so lange auf Kosten anderer lebt, auf ein »Next Game« – in Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit. Hoffen wird da wohl nicht reichen.

 

                      Rolf Gössner

 

Hans-Peter Martin: »Game over. Wohlstand für wenige, Demokratie für niemand, Nationalismus für alle – und dann?« Penguin. Random House, 384 Seiten, 24 €

 

 

 

Kurz notiert

Jede Generation muss das Rad neu erfinden, wenn sie nicht zu Fuß gehen will.

 

*

 

Intelligenz ist eine krankhafte Abweichung von der Dummheit, die zum Glück leicht geheilt werden kann.

 

*

 

Wer die Wahrheit liebt, wird sie nie bloßstellen.

 

*

 

Mancher lernt nur aus seinen Fehlern, indem er sie wiederholt.

 

*

 

Auch ein weiser Narr ist kein Philosoph.

 

Norbert Büttner

 

 

 

 

Sächsische Provinz

Ein junger Mann, geboren 1994, legt ein Romandebüt vor, das haargenau in aktuelle Debatten passt und doch keine nur politische Antwort ist, sondern ein bemerkenswert eigenständiges Stück Literatur. Lukas Rietzschel beschreibt den Lebensweg zweier Brüder in den Jahren von 2000 bis 2015. Sie leben in der ostsächsischen Provinz: Vater Elektriker, Mutter Krankenschwester, Einfamilienhaus, nach der Wende gebaut. Normaler Familienalltag, ein bisschen langweilig, ein bisschen spießig. Auch die Klassenkameraden kennen es nicht anders.

 

»Immer das Gleiche«, heißt es, aber sofort danach schließt sich an: »Und alles geht vor die Hunde.« Der Waggonbau und das Schamottewerk, die Bushaltestelle und später die Schule, die Ehe der Eltern und auch das Haus, der Stolz des Vaters.

 

Rietzschel erzählt langsam, genau, versteckt die Details in den Fluss des Erzählens, darunter auch Einzelheiten von allgemeinem unterschwelligem Rassismus, von Hilf- und Sprachlosigkeit. Lange schlägt da niemand mit der Faust, bis der Frust eskaliert und aus den kleinen netten Jungs Rassisten und nun auch Schläger geworden sind. Der ältere der beiden hält sich raus. Aber das ist auch die einzige Alternative, die Rietzschel anbietet.

 

                          Christel Berger

 

Lukas Rietzschel: »Mit der Faust in die Welt schlagen«, Ullstein, 319 Seiten, 20 €

 

 

 

Kleider machen Leute

Über den allseits beklagten Werteverfall in der Justiz ist in Ossietzky schon mehrfach geschrieben worden. Manches davon ist »hausgemacht«. Vor 30 Jahren wusste man noch, wie ein Richter oder der Direktor eines Gerichts aussieht oder hatte eine gewisse Vorstellung, wie er aussehen könnte. Es gab so etwas wie eine ungeschriebene Kleiderordnung. Nun bin ich gewiss niemand, der Menschen nach ihrem Äußeren beurteilt. Eine solche Oberflächlichkeit verbietet sich in jeder Hinsicht. Wenn ich eines in über 30 Jahren Tätigkeit als Strafverteidiger gelernt habe, dann dass Mörder selten wie Mörder und Räuber selten wie Räuber aussehen … Man versetze sich aber in die umgekehrte Betrachtungsweise: Welcher Angeklagte will wirklich einen Richter oder eine Richterin vor sich sitzen haben mit ausgewaschenen oder gar modern durchlöcherten Jeans, T-Shirt (gegebenenfalls noch mit Aufschrift) oder bis zum dritten Knopf geöffnetem Hemd, so dass das Brusthaar des Mannes erkennbar wird? Bei einem solchen Anblick drohen die Konturen zum »Zuhälter vom Kiez« leicht zu verwischen. Nun muss man das gewiss nicht in Mord- und Raubprozessen vor Landgerichten befürchten. Bei kleinen Amtsgerichten nimmt man es allerdings hier und da nicht immer so genau mit der Anzugskultur. Da kann es einem schon mal passieren, dass ein Haftbefehl in einem ausgewaschenen Pullover verkündet wird oder der Richter – vorzugsweise im Sommer – kurze Hosen zur schwarzen Robe trägt und beim Hervortreten vom Richtertisch die nackten Unterschenkel am Ende derselben zu Tage treten. Nun könnte man sagen: Egal, Hauptsache, der Beschuldigte wird fair behandelt und das Recht richtig angewendet. Das scheint mir doch zu kurz gedacht. Es gibt öffentliche Berufe, die erfordern ein gewisses Erscheinungsbild, um Autorität und vor allem auch Vertrauen zu erzeugen. Wer das unterschätzt, sollte sich die These vorlegen, dass es keine zweite Chance für einen ersten Eindruck gibt. Sieht mein Richter äußerlich »unaufgeräumt« aus, wird man schnell den Eindruck gewinnen, er sei es auch innerlich und mithin die Sache betreffend. Spätestens an dieser Stelle wird erkennbar, was neben vielen anderen Faktoren dem Ansehen der Justiz schadet. Wenn wir von Rechtspflege sprechen, sollte auch der dafür zuständige Mann »gepflegt« sein und nicht durch ein zerknittertes Jackett und Stoppelbart den Verdacht einer durchzechten Nacht aufkommen lassen. Ein Amtsgerichtsdirektor sollte, wenn er über den Gerichtsflur geht, nicht den Anschein erwecken, er befinde sich gerade im Urlaub und schaue nur mal schnell herein. Keine Bank und keine Versicherung würde einem ihrer Mitarbeiter so Umgang mit Menschen gestatten. Was dort geradezu Usus ist, sollte doch bitte auch für Vertreter der dritten Gewalt im Staate gelten.                    

 

Ralph Dobrawa

 

 

 

Zuschrift an die Lokalpresse

Die Post will wiederholt (ich weiß nicht genau, zum wievielten Male) die Beförderungsgebühren kräftig erhöhen. Wie in der Presse mitgeteilt wird, allerdings zu einem späteren Zeitpunkt als zuvor angedroht. Vor allem soll das Briefporto davon betroffen sein. Ein Brief soll 90 Cent kosten, so dass beispielsweise das Versenden einer Gratulation zum Frauentag oder zu einer Geburt ein Privileg Gutbetuchter werden könnte. Hinzu kommt, dass der Ankauf von Postwertzeichen in einer mit einem Friseurgeschäft, einem Getränkeladen oder einem Bestattungsbüro gekoppelten Filiale vor allem für ältere und noch nicht durchdigitalisierte Mitbürger viel Spürsinn und eventuell ein höheres Fahrgeld erfordert. Die Senioren könnten der Kostenexplosion allerdings zuvorkommen, indem sie Grüße und Glückwünsche für mehrere Jahre noch vor der nächsten Gebührensteigerung aufgeben. Ich mache das schon seit längerer Zeit so, denn noch habe ich die wichtigsten Geburtstage von Verwandten und Freunden im Kopf. – Erwin Zausel (82), Rentner, 15848 Postbrücke 

 

Wolfgang Helfritsch