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Titel0510

Über Krieg und Frieden reden  (Eckart Spoo)

Uri Avnery berichtet aus Israel, daß sich dort »Menschen mit Gewissen« für viele edle Aufgaben engagieren: für soziale Gerechtigkeit, für die Trennung von Religion und Staat, für die Rechte von Schwulen und Lesben, für die Zukunft des Planeten – aber nicht für den Frieden. Er schreibt: »Der nicht enden wollende Krieg schafft eine Realität von Besatzung und Unterdrückung, von Tod und Zerstörung, moralischer Degeneration und allgemeiner Brutalität. Kann in solch einer Situation irgendein Ideal realisiert werden? Können Flüsse und Wälder, Vögel und Leoparden gerettet werden, wenn Wohnviertel mit weißem Phosphor bombardiert werden?«

Frieden, schreibt Avnery, »ist zu einem unanständigen, obszönen Wort geworden. Eine ehrbare Person möchte nicht in Gesellschaft mit ihm gesehen werden … Die Leute machen fast akrobatische Übungen, um dieses Wort zu vermeiden … Die Dinge sind an einen Punkt gekommen, wo sogar Friedensbewegungen Angst haben, das Wort in ihren politischen Statements zu erwähnen. Auch sie suchen nach Ersatzwörtern.« Und er zitiert den israelischen Journalisten Gideon Levy, der neulich in einer Fernseh-Talkshow bemerkt habe, die gegenwärtige Knesset habe kein einziges jüdisches Mitglied mehr, für das der Frieden das wichtigste Ziel sei.

Mich fror, als ich das las.

Der berühmte südafrikanische Jurist Richard Goldstone, den die UNO mit einem Bericht über das Massaker in Gaza vor einem Jahr beauftragt hatte (damals warf die israelische Luftwaffe Bomben mit weißem Phosphor ab), wird in Israel diffamiert und nicht gehört. Man will von dem, was den Palästinensern angetan wurde, möglichst gar nichts hören. Und das gilt nicht nur in Israel, sondern scheint sich auch in anderen Ländern durchzusetzen. Auch in Deutschland. Hier war der US-amerikanische Historiker Norman Finkelstein eingeladen worden, über Gaza zu sprechen. Die Berliner Trinitatis-Gemeinde zog ihre Raum-Zusage zurück, die Rosa-Luxemburg-Stiftung desgleichen. Ähnlich war es voriges Jahr in München dem israelischen Autor Ilan Pappe ergangen. Innerhalb der Linkspartei empörten sich Mandatsträger über diejenigen Kollegen, die sich nach einer auf Krieg gegen den Iran einstimmenden Rede des israelischen Staatspräsidenten nicht an stehenden Ovationen beteiligen mochten und deswegen des Antisemitismus bezichtigt wurden. Unkritisch verbreiten etliche Politiker dieser Partei Parolen wie die, der iranische Präsident Ahmadinedschad fordere die Vernichtung der Juden. Und Bild hetzt: »Der Irre von Teheran entsetzt die Welt. Der Irre von Teheran hat jetzt Pläne für Atomsprengköpfe. Der Iran will die Bombe! Um jeden Preis!« Dieselben Schlagzeilen wie vor sieben Jahren gegen den »Irren von Bagdad«, dieselben Lügen.

Mich friert.

Ich erinnere mich, wie ein alter Bekannter, ja Freund, ein sozialdemokratischer Pfarrer, 1999 diese damals noch ganz neue Zeitschrift mit der Begründung abbestellte, er wolle sich das, was wir – fast als einzige – über den Krieg berichteten, »nicht länger antun«.

Die mächtige Kriegspropaganda weckte damals und weckt heute keine Kriegsbegeisterung, aber sie schüchtert viele »Menschen mit Gewissen« ein. Das ist gefährlich. Wir müssen über den Frieden reden. Und über die, die tatsächlich atomar gerüstet sind. Und über die Opfer der Kriege. Daß viele Abgeordnete der Linkspartei – einige waren sich zu fein – bei der Bundestagsabstimmung über die Verlängerung und Ausweitung des Kriegs gegen die Taliban (über die wir aus den Konzernmedien nahezu nichts erfahren) Schilder mit den Namen der Todesopfer des Massakers in Kundus hochhielten, erwärmte mich für einen Moment wie ein Sonnenstrahl.