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Gustav Kiepenheuer Nachf.  (Matthias Biskupek)

Das Museum für Druckkunst in Leipzig ist vergleichsweise jung – es stehen aber fünfhundert Jahre Buchdruckgeschichte und eine große Stadtgeschichte dahinter: Leipzig war lange Europas Buch-Zentrum, ein ganzes Stadtquartier im Osten hieß »Graphisches Viertel«. Das gibt es seit Dezember 1943 nicht mehr. Auf der westlichen Stadtseite, in der Nonnenstraße, wo berühmte Nachkriegsdruckereien lagen und der Reclam-Verlag noch vor wenigen Jahren seinen Sitz hatte, breitet sich heute auf mehreren Etagen eben jenes Museum für Druckkunst aus, geleitet von Susanne Richter. Daß sämtliche großen Namen der Vergangenheit von Brockhaus bis B. G. Teubner, von Baedecker bis Insel, von Reclam bis Kiepenheuer heute in Leipzig nur mehr Ausstellungsstücke sind, stimmt nachdenklich.

Eine Ausstellung »100 Jahre Kiepenheuer-Verlage (1910–2010) – Verlagsgeschichte im deutsch-deutschen Spannungsfeld« ist Anlaß, dieses Spannungsfeld kurz vorzustellen. Gustav Kiepenheuer, Verleger von Brecht und Feuchtwanger, Anna Seghers, Joseph Roth und Arnold Zweig, gehörte zu jenen Linksliberalen, die in den Zwanziger Jahren das Bild des intellektuellen Deutschland mitbestimmten. Ein Deutschland, über das Kurt Tucholsky in der Weltbühne schrieb: »Im Patriotismus lassen wir uns von jedem übertreffen – wir fühlen international. In der Heimatliebe von niemand – nicht einmal von jenen, auf deren Namen das Land grundbuchlich eingetragen ist.«

In der Ausstellung sieht man wohlvertraute Bucheinbände: die gestalterischen Meisterleistungen vor 1933, die gediegenen schwarzweißen Reihen und die bibliophilen Kunst-Stücke der Verlagsgruppe Kiepenheuer zu DDR-Zeiten, die frühen und späteren Bücher von Kiepenheuer & Witsch. Nur jene Zeit, als der Gustav Kiepenheuer Verlag ab 1993 bis immerhin 2003 als selbständiger Verlag in der Aufbau-Gruppe existierte, ist kaum im Bilde.

Dafür erzählten die Verleger, die heute das Erbe von Gustav Kiepenheuer verwalten, recht interessante Geschichten. René Strien, geschäftsführender Verleger von Aufbau, gab kritisch und ehrlich zu, man habe leider kein wirkliches Segment im Buchmarkt gefunden, das man als Gustav Kiepenheuer Verlag fortführen könne. Helge Malchow, in gleicher Funktion bei KiWi Köln, wußte immerhin über den Verleger Joseph Caspar Witsch Erstaunliches aus Zeiten von Westgut-Ostböse zu berichten. Der Bibliothekar wurde, weil SPD-Mitglied, 1933 in Köln entlassen, war aber bald schon Bibliotheksleiter in Stralsund, in Rostock und Jena. Daß er SA- und NSDAP-Mitglied geworden war, verschwieg er später wie auch seine SED-Mitgliedschaft nach 1945, als er in Thüringen immerhin der höchste Buch-Zensor war. Nachdem Witsch in Hagen den Kiepenheuer-Ableger Kiepenheuer & Witsch gegründet hatte – Gustav Kiepenheuer war inzwischen verstorben – wurde er bekennender Adenauer-Intimus, Antikommunist und CIA-Sachwalter. Nichtsdestotrotz gewann er Böll als seinen wichtigsten Autor, noch später kamen bedeutende Lyriker hinzu, Wellershoff und Wallraff mögen als weitere Namen stehen. 2002, just zum Ende des Leipziger Gustav Kiepenheuer Verlages, ging Kiepenheuer & Witsch im Holtzbrinck-Konzern auf.

Dem Leipziger Buchwissenschaftler Siegfried Lokatis, der mit seinen Studenten Entscheidendes zum Gelingen der Ausstellung beigetragen hat, blieb nach den etwas längeren Ausführungen seiner Vorredner nicht mehr viel Redezeit. Gerade er aber ist Fachmann für deutsch-deutsche Verlags- und Verlegergeschichte. Der gebürtige Essener hat sich in zahlreichen Büchern auch mit Zensurgeschichte in der DDR auseinandergesetzt, sachlich, kritisch und optimistisch (wie eine Wirtschaftskolumne zu DDR-Zeiten hieß). Derzeit arbeitet Lokatis an einem Traum: Er will in Leipzig ein komplettes Archiv für die Verlagsgeschichte der DDR schaffen. Er meint, allein die Archivbestände der in den letzten zwanzig Jahren in der Stadt geschlossenen Verlage würden einen solchen Traum jedes Buchforschers erfüllen.