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Körpermißachtungsbewußtsein  (Hans Krieger)

Nackt malt sie sich, die alte Dame, und das ist jenseits der 80 einigermaßen mutig. Frontal dem Betrachter zugewandt, steht sie breitbeinig über einem Leichtmotorrad; die Hände umklammern die Lenkstange, der Mund ist trotzig verbissen, als wolle sie sagen: »Na und?« Maria Lassnig war 81, als sie dieses Bild malte; »Landmädchen« lautet ironisierend der Titel. Auf einem anderen Bild aus dieser Zeit hält die nackte Malerin zwei Pistolen in den Händen; den Lauf der einen preßt sie an die Schläfe, mit der anderen zielt sie auf den Betrachter. Titel: »Du oder ich.« Jetzt ist Maria Lassnig 90 und erlebt eine große Werkschau mit Arbeiten aus der letzten Dekade in Münchens Städtischer Galerie – im sogenannten »Kunstbau«, einem aufgelassenen U-Bahn-Stollen, denn das Haupthaus, die Lenbach-Villa, wird gerade aufwendigst umgebaut.

Die Pose als motorisiertes, aber splitternacktes Landmädchen, das Kokettieren mit Selbstmord oder Mord – das sind plakative Gags. Jenseits davon könnte das malerische Interesse beginnen. Wie erlebt eine altgewordene Malerin die Hinfälligkeit ihres Leibes? Offenbar gar nicht. die verspannte Schlaffheit der Arme ist nicht Ausdruck erlahmender Lebenskraft, sondern bloß das Ergebnis einer achtlos fahrigen, grobschlächtigen Malweise, die recht klischeehaft den noch prallen Busen modelliert und die runzellos glatte Haut großflächig in Rosa-, Ocker- und Olivetönen schillern läßt. So ähnlich wurden einst Kinoplakate gemalt, als Kinoplakate noch gemalt wurden. Man erinnert sich an die großen Körpererforscher unter den Malern und Zeichnern, von der Renaissance bis zu Schiele und Janssen, die mit hingebender Besessenheit und hochsensibler Strichführung den Artikulationen des Gliederbaus, den Höhlungen und Wölbungen des Fleisches, den Falten und Schründen der Haut nachgespürt haben, und ist erstaunt. Denn bekannt geworden ist Maria Lessnig einst mit »Körperbewußtseinsbildern«, mit »Body awareness pictures«, wie sie das in ihren New Yorker Jahren nannte. Von Körperbewußtsein, also von durchfühlter, bewußt durchlebter Körperlichkeit ist hier nichts zu spüren, erst recht nicht, bei aller exhibierten Nacktheit, von Sinnlichkeit.

Verwundert nimmt man zur Kenntnis, daß der Kurator der Ausstellung, Matthias Mühling, die geradezu »altmeisterliche« Maltechnik der Künstlerin rühmt und auf ihre besondere Kunst der Verschränkung von Figur und Raum nur darum nicht näher eingeht, weil darüber schon Museumschef Helmut Friedel einen großen Katalogbeitrag geschrieben hat. Das Verhältnis von Figur und Raum sieht so aus, daß die Figur im Leeren schwebt; für den Hintergrund ist die Leinwand monochrom zugestrichen oder grundierungslos weiß geblieben. Nirgendwo hat Maria Lassnig die gesamte Malfläche gestaltend durchstrukturiert, Figur und Umfeld miteinander verwoben. Bleiben also, mal witzig, mal schockierend, die inhaltlichen Signaleffekte (beispielsweise gibt es, passend zur kirchlichen Mißbrauchsaffäre, auch den »Kinderschänder«) und manchmal die Irritationen abenteuerlich zerquetschter Formen.

Maria Lassnig ist berühmt. Sie war auf der documenta, hat Österreich auf der Biennale in Venedig vertreten, wurde 2008 in London als die »Entdeckung des Jahres« gefeiert. Sie gilt als politische Künstlerin und als bildnerische Vorkämpferin der Frauenemanzipation. In München zu überprüfen bis zum 30. Mai.