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Titel0512

Eine eigentlich überflüssige Wahl  (Sergej Guk)

Das noch amtierende Staatsoberhaupt Dmitrij Medwedew führt ein Schattendasein. De-facto-Präsident ist Premier Wladimir Putin. Selbstsicher und siegesbewußt agiert er in den meisten Fernsehnachrichten, erteilt seiner Schar von Vertrauten Anweisungen, genießt das Bad in der Menge, geißelt korrupte Beamte und droht ihnen, tadelt ethnischen Nationalismus und verspricht Stabilität.

Im modernen Rußland macht das Fernsehen Könige. Die Printmedien sind zweitrangig geworden. Die meisten Menschen können es sich finanziell nicht leisten, Zeitungen zu abonnieren. Der Bildschirm aber befindet sich fest in den Händen der Obrigkeit. Die magere Opposition hat dort keinen Zutritt.

Keinen? Ich übertreibe wohl ein bißchen. Vor einigen Tagen tauchten in den Fernsehnachrichten einige vergessene Gesichter auf. Zum Beispiel der Wirtschaftsberater Andrej Illarionow, ein früherer Mitstreiter Putins. Seit der Trennung vor acht Jahren war er für die Staatsmedien eine unerwünschte Person. Ganze 80 Sekunden ließ man ihn jetzt reden. Seine scharfe Kritik an Putin, die Aufforderung zum Rücktritt, die Äußerungen über die gefälschten Wahlergebnisse, die annulliert werden müßten, der Aufruf zu verstärkter Opposition – all das wurde wegzensiert. Das Gleiche geschah mit einer Stellungnahme des Schachweltmeisters Garry Kasparow: Von 15 Minuten blieben 20 Sekunden übrig, die, wie sich Kasparow beschwerte, nicht erkennen ließen, daß hier ein Oppositioneller sprach. So sei eine freie öffentliche Diskussion vorgetäuscht worden, sagte ein anderer Oppositioneller, Wladimir Ryschkow, der Putin selber dafür verantwortlich machte.

Das Tandem Medwedew – Putin hat die Regie für die bevorstehende Präsidentenwahl kräftig vermasselt, als es ganz offiziell erklärte, sie beide hätten unter sich entschieden, der nächste Präsident solle Putin sein. Als wären sie die einzigen Wahlberechtigten und das Volk hätte nur die Aufgabe, das Maul zu halten und weiter zu dienen. Ihre spätere Versicherung nach einer Welle der öffentlichen Empörung, selbstverständlich liege die Entscheidung bei der Wählerschaft, beseitigte den Mißklang nicht.

Dennoch erlitt Putin durch diese Entgleisung kaum Schaden. Ernstzunehmende Konkurrenten hat er nicht. Weder der Vorsitzende der Kommunistischen Partei, Gennadij Suganow, noch das Großmaul Wladimir Schirinowskij noch der frühere Vorsitzende des Föderationsrats, Sergej Mironow, oder der Tycoon Michail Prochorow können mit ihm Schritt halten. Die ersten drei haben ihr Image als Oppositionelle schon seit langem eingebüßt und sich ins System integriert, wo sie sich wohl fühlen. Und die Milliardäre sind im Volk nicht beliebt. Die wirklich aktive Opposition bietet ein buntes Bild von Splittergruppen und genießt keine nennenswerte Unterstützung in der Gesellschaft.

Mit dermaßen überwältigender Unterstützung wie bisher kann Putin jedoch nicht mehr rechnen. An seine Versprechungen – Korruption zunichte zu machen oder die Rohstoffwirtschaft in eine moderne High-Tech-Gesellschaft zu verwandeln – glauben nicht viele. Diese Probleme stellten sich vor zwölf Jahren, als er Präsident wurde, nicht minder scharf als heute, und niemand hinderte ihn inzwischen an Versuchen, sie zu bewältigen. Aber außer Aufrufen, derer man bald überdrüssig wurde, folgte nichts. Nur die Korruption uferte noch weiter aus. Kürzlich versprach Putin, eine Luxussteuer einzuführen, Näheres fiel dem Premier dazu aber nicht ein. Fast hätte er mutig gewirkt, als er einmal den Satz riskierte, die Sache mit dem in den Zeiten der Wirren ungerecht erworbenen Staatsvermögen solle »irgendwie« in Ordnung gebracht werden. Aber sofort beruhigte er die Oligarchen: keine Beschlagnahme, um Gottes willen. Statt der gerechten Gesellschaftsordnung bietet uns Putin einen Ersatz an: Wahl der Gouverneure oder Erleichterungen bei der Zulassung neuer politischer Parteien.

Die Gunst der Wähler kann man nicht unbedingt verdienen. Man kann sie aber kaufen. Einige Monate vor dem Urnengang ging es los: üppige Lohnerhöhungen für Polizei und Militär, die Stützpfeiler des Regimes. Bescheidenere, aber auch nicht zu verachtende Gehaltszulagen für Lehrer, Ärzte, andere Angestellte. Nicht vergessen wurden die Studenten und Rentner: ein paar hundert Rubel im Monat (Preis für ein Kilo Fleisch) wurden auch ihnen spendiert.

Doch die Wahlgeschenke allein reichen nicht aus. Die Propagandamaschinerie wurde hochgefahren, um einige simple, aber wirksame Schreckensvisionen zu verbreiten. Zum Beispiel: Die Oppositionellen mit ihren Kundgebungen seien die vom Westen finanzierte fünfte Kolonne, die eine »Orangenrevolution« ukrainischer Art vorbereiteten, womit vor allem – nicht ohne Erfolg – Aversionen in der Provinz gegen das »fette Moskau« genährt werden.

In den Industriestädten im Ural und anderen Regionen wurden Kundgebungen zu Putins Unterstützung organisiert. Der Kreml erinnerte sich plötzlich an die sonst längst vergessene »Arbeiterklasse«. Die Menschen wurden mit Sonderzügen und Bussen zu den Veranstaltungen transportiert, wo dann einige Redner hysterisch drohten, den oppositionellen »Clowns« den Hals zu brechen. Auch die Intelligenz wurde mobilisiert: bekannte Regisseure, Schauspieler, Sänger, Politologen, Journalisten, die als vertrauenswürdig galten. Sie müssen nun die Öffentlichkeit von der Qualität ihres Kandidaten überzeugen und sich unangenehmen Fragen stellen. Hochwirksam ist auch die Schreckensvision, ohne Putin würde es noch schlimmer. Laut den jüngsten Meinungsumfragen will die Mehrheit keine »neue Perestroika«, keinen Umbruch. Das bekannte Übel ist sicherer. Die Wahl ist eigentlich überflüssig, denn alles ist im voraus entschieden.