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Titel052013

Bemerkungen

Wachstumsmarkt
In Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate, präsentiert sich die International Defence Exhibition (IDEX). Als »größte Messe für Staatssicherheit« im Nahen Osten wird sie von den Veranstaltern angepriesen, sie sei die ideale »Orderplattform für das gesamte Spektrum der Branche«, ein hochbeliebter Treffpunkt von Waffenfabrikanten, Militärs, Regierungspolitikern und Privatkunden. Das Angebot ist vielfältig, Gewaltbedarf auf See, in der Luft und an Land findet hier Angebote, vom Kampfhubschrauber bis zum »City-Panzer«, der Aufstände ruhigstellt. Der Nahe Osten macht der Rüstungsindustrie viel Freude, als Wachstumsmarkt für die Branche wird er gewürdigt. Die USA und die Bundesrepublik sind auf der IDEX am stärksten vertreten, als deutsche Firmen unter anderen Rheinmetall, Diehl, Cassidian, Krauss-Maffei Wegmann, Heckler & Koch und Thyssen-Krupp. Deutsche Wertarbeit, Mehrwert für deutsches Kapital. Und wenn sich in Deutschland Kritiker regen, genügt ein Verweis auf die deutschen Arbeitsplätze. Ein Highlight der bewaffneten Marktwirtschaft.

A. K.


Sicherheit durch Heiterkeit
Auf der letzten Münchner Sicherheitskonferenz wurde wieder einmal dargetan, wie gefährlich die Iraner sind. Wenn sie erst einmal die Atombombe haben, sind sie eine Bedrohung für die ganze, ihnen hilflos ausgelieferte Welt. Politiker, die nun aber diese Rolle exklusiv für sich in Anspruch nehmen und sie keinem anderen zugestehen, wollen deshalb, koste es andere, was es wolle, unter allen Umständen, erforderlichenfalls durch Krieg, verhindern, daß die Iraner sich in den Besitz der Atombombe setzen. Daß die weder eine haben, noch eine haben wollen, wie sie beteuern, kann kein Grund sein, sie nicht daran zu hindern, sich eine anzuschaffen. Saddam Hussein könnte das bestätigen. Da israeli­sche Politiker in besonderem Maße einen iranischen Atomschlag beschwören, sei auf einen bekannten israelischen Autor verwiesen, auf Ephraim Kishon. In seinem Büchlein mit dem kriegerischen Titel »ABC der Heiterkeit« schreibt er: »Atomkrieg. In Wahrheit fürchten wir uns überhaupt nicht vor dem Atomkrieg. Unser Land ist zu klein dazu. Eine auf Tel Aviv abgeworfene Atombombe würde auch Kairo und Damaskus zerstören, und deshalb wird sie nicht abgeworfen werden.« Lesen bildet.
Günter Krone


Wer draufsteht und was drin ist
Bei der Bloggerei hatte Steinbrück Pech: Einen »Obamawahlkampf« wollte der Journalist und Unternehmensberater Karl-Heinz Steinkühler mit seinem peerblog für den SPD-Kanzlerkandidaten inszenieren, finanziert von nicht nennbaren »unternehmerischen Persönlichkeiten«. Aber nach einigen Tagen war es schon vorbei mit dieser großartig angekündigten Werbemaßnahme. Die SPD habe mit derselben gar nichts zu tun, versicherte treuherzig der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel, und seines Wissens sei auch Steinbrück über peerblog nicht informiert gewesen. Als peerblog ins Netz kam, hatten Steinbrücks Pressesprecher und die SPD-Generalsekretärin noch das Gegenteil gesagt. Über die seit Jahren funktionierende Vernetzung zwischen Steinkühler, Steinbrück und dessen derzeitigem Marketingberater Hans-Roland Fäßler schwieg Gabriel sich aus, obwohl da vieles zu berichten wäre von anonymen journalistischen Kampagnen, lukrativen staatlichen Aufträgen, Vortragsvermittlungen und PR-Dienstleistungen.

Die stehen aber selbstverständlich mit der Partei nicht im Zusammenhang. »Nur wo SPD draufsteht, ist Peer drin«, verkündete Gabriel. Dann trat Peer beim bayerischen Aschermittwoch auf und »schonte«, wie die FAZ berichtete, »auch die eigene Partei nicht«. Die müsse, so habe er gefordert, »Verständnis dafür haben«, daß man mit sozialpolitischer Regierungspolitik »nicht alle begeistern könne«, jedenfalls »nicht auf den ersten Blick«. Altsozialdemokratische »leichtfüßige Verteilungspolitik« sei nicht mehr zeitgemäß. Ob die bei der Kundgebung anwesenden zukünftigen RentnerInnen das im Trubel verstanden haben? Man weiß es nicht. Möglicherweise sind sie fest in dem Glauben: »Wo Peer draufsteht, ist SPD drin.« Um welche Art von Sozialdemokratischem es sich da handelt, darüber läßt sich in Bierzelten nur mit äußerster Anstrengung nachdenken.
M. W.


Wahrheit
Was viele Politiker so liebenswert macht, ist ihr leidenschaftlicher Hang zur Wahrheit. Peer Steinbrück zum Beispiel fordert Angela Merkel auf, dem Volk endlich die Wahrheit über die europäische Krise zu sagen. Andrea Nahles entrüstet sich darüber, daß Frau Schavan bei ihrer Doktorarbeit getäuscht hat. Auch Claudia Roth ist empört. Viele andere ebenfalls. Selbstverständlich haben sie recht damit. Bei solcher Abscheu vor unredlichem Verhalten, kann man nur hoffen, daß den zahlreichen Wahrheitsfanatikern unter unseren Spitzenpolitikern nie das in der Übersetzung von Helmut Dierlamm u. a. im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienene Buch »Anklage wegen Mordes gegen George W. Bush« von Vincent Bugliosi, einem »der großen alten Männer der amerikanischen Strafverfolgung«, in die Hände fällt. Schon die Inhaltsbeschreibung auf dem Umschlag macht das Problem deutlich. Danach ist das »Buch ... eine minutiös recherchierte und durch harte Fakten untermauerte Anklageschrift gegen George W. Bush wegen Mordes an über 4.000 amerikanischen Soldaten, die im Irakkrieg starben. Es ist eine moralische Abrechnung mit einer Regierung, die nach Ansicht von Vincent Bugliosi durch die Manipulation der Justiz ins Amt kam, leichtfertig und verantwortungslos handelte, die Bürger ihres Landes täuschte und mißachtete und die Vereinigten Staaten in der Welt diskreditierte.« Man mag sich gar nicht vorstellen, wie die wahrheitsdurstigen Politikerinnen und Politiker nach solcher Lektüre über die Amerikaner herfallen würden.
Günter Krone


Meinungen und Fakten
Die »Initiative neue soziale Marktwirtschaft« läßt in ihrem Eifer, den »Markt« (das, was nicht nur sie so benennt) zu einer sozialen Wohltat zu erklären, nicht nach, und so hat sie sich nun vom Allensbacher Institut für Demoskopie eine Untersuchung erstellen lassen, wie die Deutschen sich eine gerechte Gesellschaft vorstellen.

An Umverteilung von Vermögen und Einkommen denken da die meisten gar nicht so sehr, haben die Meinungsforscher herausgefunden; ganz überwiegend werde Chancengleichheit im Bildungssystem als ausschlaggebend für soziale Gerechtigkeit empfunden. Das freut den Sprecher der sozialmarktwirtschaftlichen Initiative – dann sollten, so meint er, die Politiker doch auch bitteschön davon ablassen, »rückwärtsgewandte Umverteilungsforderungen und Steuerdiskussionen« in den Wahlkampf einzubringen.

Forschung hat gleichzeitig die Bertelsmann-Stiftung betrieben, über »soziale Mobilität«, wobei es in dieser Studie nicht um Meinungen, sondern um Fakten geht. Die Gütersloher stehen gewiß nicht im Verdacht, die Marktwirtschaft in Verruf bringen zu wollen; indes melden sie doch bedenkliche Resultate ihrer Ermittlungen: »Immer weniger Menschen in der Bundesrepublik gelingt der Aufstieg aus den unteren Schichten in die Mittelschicht. Selbst eine gute Ausbildung ist heute kein Garant für ein Leben im gesicherten Wohlstand.« Trotz »anhaltender Bildungsexpansion« verfestige und vergrößere sich die soziale Kluft.

Wie ist das möglich? Wo doch die staatstragenden Parteien unisono verkünden, wenn erst alle Kinder rechtzeitig Wirtschaftsenglisch beigebracht bekämen, sei die soziale Frage gelöst. Kann es sein, daß sich viele BundesbürgerInnen Illusionen über die Chancen für ihren Nachwuchs machen, wenn dieser die allseits proklamierte bildungsadministrative »Chancengleichheit« durchlaufen hat?
A. K.


Wieder mal bewältigt
Erzählend kann der Mann, der da »fein gekleidet und mit adliger Eleganz« vor der Zuhörerschaft im Stuttgarter Haus der Geschichte sitzt, sein Publikum in den Bann ziehen, schreibt die Berichterstatterin der Stuttgarter Zeitung, die sich an jenem ersten Sonntagmorgen im Februar zu den Wissensdurstigen gesellt hat, die »aus erster Hand erfahren wollen, wie es tatsächlich gewesen ist«. Damals vor 70 Jahren. Wo? In Nordafrika, als der schwäbische »Graf« Joseph Hubert von Neipperg Offizier in jenem Korps war, das der Schwabe Feldmarschall Erwin Rommel befehligte. Launig sei es unter dem »militärischen Glücksjäger« zugegangen, der für die Kriegführung originelle Ideen gehabt habe, so daß es »ein wahnsinnig lustiger Krieg« wurde, der eben durch das Verhalten des Marschalls noch reizvoller geworden sei. Beispiel: Bei einer dritten Attacke »sind wir aber mit unseren Panzern angerückt und haben die Engländer jämmerlich zusammengeschossen«. Lustig!

Mit der Veranstaltung verbindet sich ein dreifacher Skandal. Der erste geht auf das Konto des Hauses der Geschichte, das sich in seiner Reklame selbstredend der Aufklärung über die deutsche Vergangenheit und deren »Bewältigung« verschrieben hat, aber derlei Zeitzeugen eine Bühne offeriert. Auf Steuerzahlerkosten versteht sich. Den zweiten liefert die Reporterin der Zeitung, die sich nicht entscheiden konnte, ob ihr da eine Verharmlosung des Krieges vorgeführt wurde, und deren Kritik am Vortrag in den Satz floß: »Manche Äußerungen des Grafen sind für heutige Ohren wirklich starker Tobak.« Den dritten steuerte die Zuhörerschaft bei, die, wird im Bericht nichts ausgelassen, das Geschwätz des Mannes hinnahm, der über die Ziele dieses Krieges im Norden Afrikas wie über das Wesen des Ganzen kein Wort verloren hat. Und bis zu dem sieben Jahrzehnte später die Kunde noch nicht gedrungen war, daß es von Libyen und Ägypten ostwärts in den Nahen Osten gehen sollte und nach Palästina und dort auch zu Wohnsitzen der Juden. Das ist von den Briten und den Truppen aus dem Empire verhindert worden und nicht minder von den sowjetischen Soldaten, die Stalingrad verteidigten. Es wäre dieser 3. Februar übrigens exakt ein 70. Gedenktag für den Sieg in der Schlacht an der Wolga gewesen. Den hätte der Herr »Graf« unschwer mit seiner Biographie verbinden können. Denn dort wurden die Kräfte der Eroberer dermaßen gebunden und geschwächt, daß er Tausende Kilometer entfernt davon zu profitieren vermochte, er geriet erst auf einen aufgegebenen Posten und alsbald in US-amerikanische Gefangenschaft.
Kurt Pätzold


Blick der Güte
Die Graflex, eine schwere Großformat-Fotokamera, war in den zwanziger Jahren wegen ihrer Bildschärfe und Unverwüstlichkeit sehr beliebt. Sie war vielfältig einsetzbar. Mit ihr hat Maria Modotti ihre meisterhaften Fotos geschossen. Aus Geldmangel konnte sie sich später keine modernere Kamera leisten. Der von Wiljo Heinen herausgegebene Fotoband enthält viele dieser Aufnahmen, die in Gestaltung, Wahl der Inhalte und Bildausschnitte beachtenswert sind. Es sind Fotos, die Sensibilität, menschliche Nähe und eine außerordentlich scharfe Beobachtungsgabe zeigen. Allgemein bekannt sind »Frau mit Fahne« (1928), »Frau in Tehuantepec« (1929), »Kleiner stolzer Agrarier« (1927) und unbestritten die Symbolbilder. Die Hände einer Wäscherin und eines Bauarbeiters sprechen für sich; sie erzählen ein Schicksal. Meisterwerke der Fotografie sind auch die Aufnahmen von Pflanzen – die »Rosen« von 1924 oder die »Kaktusblüte« (1925) – und die Porträtaufnahmen von Julio Antonio Mella, dem Mitbegründer der KP Kubas, mit dem Tina Modotti liiert war und der an ihrer Seite auf offener Straße feige erschossen wurde.

Den Fotoband hat Reinhard Schultz geschaffen, die biografischen Notizen trug Christiane Barckhausen-Canale bei. Von ihr stammt auch das schon 2012 ebenfalls bei Wiljo Heinen erschienene Bändchen über die Modotti »Den Mond in drei Teile teilen«.

Tina Modotti, 1896 in Udine geboren, lernte in Italien als dreizehnjährige Fabrikarbeiterin Not und Ungerechtigkeiten kennen. Sie folgte ihrem Vater kurz vor dem Ersten Weltkrieg in die USA. Als Schauspielerin war die schöne Tina erfolgreich und wurde später Assistentin im Foto-Atelier von Edward Weston. Nach Mexiko ging sie, weil das revolutionäre Land sie begeisterte. Der Maler Diego Rivera stellte sie mit Frida Kahlo auf einem seiner »murales« (Wandbilder) dar. Die Modotti war politisch aktiv und schonte sich nicht, wurde Mitglied der KP Mexikos. Bei einem Besuch in der Leninschule in Moskau porträtierte sie Majakowski. Es existiert eine »Akte Tina Modotti«, die sie nach der (vorübergehenden) Ausweisung aus Mexiko zwang, als »gefährliche Kommunistin« in der Illegalität unter Decknamen zu leben. Mit gefälschten Papieren war sie in der Internationalen Roten Hilfe aktiv und half 1939, eine halbe Million Flüchtlinge aus Spanien über die Pyrenäen zu bringen. Ihre enge Verbindung zum revolutionären Kampf zeigt unter anderem die Aufnahme »Marsch der Arbeiter« (1926); durch eine gewollte Unschärfe entsteht der Eindruck, daß die Masse sich bewegt. Die Symboldarstellungen »Sichel, Gitarre und Patronengurt« (1927), »Sombrero mit Hammer und Sichel« und andere sind wohl am bekanntesten. Egon Erwin Kisch schrieb über Tina Modotti: »Zwar ist es der Himmel Mexikos, der Tina Modottis Fotografien Licht verlieh, doch kann man es nicht nur diesem Licht zuschreiben, daß ihrer Kamera vollkommene Gemälde entsprangen. Das Geheimnis ihrer Werke lag darin, daß sie, mit dem Blick der Güte, die Welt sichtbarer machte.« 1942 starb Tina Modotti an einem Herzfehler. Der Fotoband hat einen Ehrenplatz im Bücherschrank.
Maria Michel

»Tina Modotti. Fotografien einer Revolutionärin«, Verlag Wiljo Heinen, 96 Seiten mit 85 Fotografien, 19,90 €



Aufarbeitung zum Thema DDR
ist immer noch notwendig. Dem Satz der Herausgeberin in der Einführung des Sammelbandes kann man zustimmen. Dem von ihr formulierten Anspruch, »linke Gesichtspunkte und Analysen den Mainstream-Darstellungen entgegenzusetzen«, wird das Werk allerdings keinesfalls gerecht.

Mehrere Beiträge zur Geschichte der politischen Opposition in der DDR sind lediglich Draperie. Der Herausgeberin Anne Seeck geht es vielmehr um die subkulturelle Szene der späten DDR, in der sie selbst aktiv war. Daß die Führung des bereits angeschlagenen Staates mit den aus dem Westen durch die halbdurchlässige Mauer schwappenden Jugendkulturen nicht viel anzufangen wußte und häufig mit Repression reagierte, ist bekannt. Die Schilderungen darüber lesen sich in dem Buch als eine einzige Kette von Schikanen und Demütigungen: »Nach Schule, Ausbildung und Militärdienst drohte die Arbeit in der Industriegesellschaft.«

Laut Gesetzgebung der DDR mußte man ein Mindesteinkommen nachweisen und wurde andernfalls bei Strafandrohung auch schon mal zwangsweise in volkseigene Betriebe vermittelt oder landete gar hinter Gittern. Für Angehörige der kulturellen Avantgarde ein Problem, wie der Lyriker Bert Papenfuß in einem Interview meint. Dies zu thematisieren ist nicht falsch.

Allerdings war es bei dem gemächlichen Arbeitstempo in den meisten Betrieben und bei der peinlich genauen Einhaltung der vorgeschriebenen Arbeitszeit gar kein Problem, sich nebenberuflich kulturell zu engagieren. Es ist beispielsweise bekannt, daß Rudolf Bahro sein Hauptwerk »Die Alternative« am Schreibtisch eines volkseigenen Betriebes verfaßte. Dazu findet sich in Seecks Buch aber gar nichts.

Ebenfalls nicht erwähnt wird, daß die Bevölkerung Neufünflands ab 1990 massiv von Arbeitsmöglichkeiten »befreit« wurde. Millionen Menschen fanden sich plötzlich unverschuldet am Rande eines sozialen Abgrundes wieder. Die Klage, daß man in der DDR zur Arbeit gezwungen wurde, dürfte in den Ohren der zum Teil noch heute von den Folgen Betroffenen wohl eher wie Hohn klingen. Für die Herausgeberin sind das aber alles »Ostalgiker«, die man erbarmungslos abwatschen muß.

Gut ist das Buch, wo es verschiedene Biographien dokumentiert. Der größte Teil der subkulturellen Szene der DDR verschwand in den späten 1980er Jahren in Richtung Westen, wo die meisten Leute aber schnell Opfer neoliberaler Kahlschlagpolitik wurden. Den neu geschaffenen Realitäten gegenüber erwiesen sich die schon in der DDR Unangepaßten meist erst recht nicht gewachsen. Im Buch wird eines aus der DDR ausgereisten Punks gedacht, der sich in einer Neuköllner Sozialwohnung einsam totsoff. Ein anderer endete als rauschgiftsüchtiger Vatermörder im gesamtdeutschen Knast. Glück hatte noch ein ehemals bekannter Oppositionspolitiker, der heute im Randgebiet Berlins eine Kneipe betreibt.

Die Herausgeberin versteht Repression offensichtlich ausschließlich als Unterdrückung durch eine Staatsbürokratie; der viel effizientere Terror der Marktbedingungen wird von ihr nicht wahrgenommen. Die DDR-Wirtschaft ist bei ihr »absurd«, der ganz normale kapitalistische Irrsinn jedoch keiner Erwähnung wert.

Nach eigenen Angaben siedelte Anne Seeck 1989 aus der DDR nach Westberlin um und ist in Erwerbsloseninitiativen aktiv. Wieso sie im Zeitalter der »Hartz«-Gesetze ständig auf den mittlerweile verschwundenen zweiten deutschen Staat einprügelt, der durch seine pure Existenz den neoliberalen Durchmarsch wohl eine kurze Zeit lang ausgebremst hat, ist schwer zu erklären. Vermutlich, weil es einfach und gefahrlos ist. Die DDR kann sich nicht mehr wehren.
Gerd Bedszent

Anne Seeck (Hg.): »Das Begehren, anders zu sein. Politische und kulturelle Dissidenz von 68 bis zum Scheitern der DDR«, Unrast Verlag, 304 Seiten, 18 €



Der Dieb und die Hure
Der Dieb Peter war einst ein höherer FDJ-Bezirksfunktionär. Die Hure Solveig arbeitete früher als Redakteurin bei einer Zeitung, wo sie ein Porträt über Peter geschrieben hatte. Nicht ganz zufällig treffen sie sich wieder auf einer Ostseefähre. Das Schiff ist sozusagen ihr jetziger Arbeitsplatz. Detailliert läßt der 1953 in Dessau geborene Eckhard Mieder seine Protagonisten erzählen: Wie das alles so gekommen ist. Wie man sich als Schiffsdieb fühlt. Was man beachten muß, um nicht entdeckt zu werden. Welche Philosophie hinter diesem Leben steht. Es ist Peters letzte Nacht auf der Fähre, denn er wird erstochen, und an Solveig ist es dann, ihren Teil zu erzählen. Zwei ungewöhnliche Schicksale – eine ungewöhnliche Novelle. Ein bißchen läßt Stefan Zweig grüßen. Eckhard Mieder problematisiert zugespitzt im Spektakulären beider Schicksale Lebensgefühl und Befindlichkeit so manches Ostdeutschen. Den Glauben an die Verbesserung der Welt mußten sie aufgeben. Illusionslos haben sie sich den neuen Spielregeln angepaßt, ohne sich selbst aufzugeben. Eine irre Geschichte, souverän erzählt.
Christel Berger

Eckhard Mieder: »Auf der Fähre«, Novelle, Edition Schwarzdruck, 135 Seiten, 15 €



Zuschrift an die Lokalpresse
Der Heilige Vater fühlt sich alt und schwach und gibt seinen Heiligen Stuhl ab. Einfach so! Ohne Aberkennung des Doktorgrades, ohne Sexskandal, ohne Korruptionsvorwürfe! Na gut, einige seiner Mitarbeiter haben sich in einigen Internaten bei der Vermittlung der Lehre pädagogisch wohl etwas zu weit vorgewagt, bei der Beförderung von Holocaust-Leugnern war Seppl Ratzinger vielleicht etwas zu großzügig, und seine internen Akten waren auch nicht sicherer als die Nazi-Unterlagen beim Verfassungsschutz, aber nun gleich so was! Und noch dazu unmittelbar vorm Aschermittwoch! Aber der Papst hat ja alles erklärt, und zwar lateinisch, weil das eine besonders logische Sprache ist. Und die Zustimmung seines Disziplinarvorgesetzten hatte er im Zwiegespräch schon vorher eingeholt. An unserem Papst sollten sich mal Politiker ein Beispiel nehmen, die trotz jahrelanger Kritik an ihren Sesseln kleben! – Klara-Franziska v. Pappenheim (80), Diseuse, 69253 Heiligkreuzsteinach
Wolfgang Helfritsch