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Titel514

Der kriegspflichtige Untertan hat zu gehorchen  (Hartwig Hohnsbein)

Am 28. Juni 1914 erschoß der 19jährige Gavrilo Princip, ein Serbe, in Sarajevo das österreichische Thronfolgerpaar.

Als Wilhelm II., Deutscher Kaiser und König von Preußen, am 3. Juli den Bericht seines Wiener Botschafters Heinrich von Tschirschky über die Vorgänge in Sarajevo und die Stimmungslage in Wien in Händen hielt, da schrieb er, hellwach wie er immer war, wenn es ums Kriegsführen ging, an den Rand der Mitteilung, in Wien bestünde der Wunsch, »es müsse einmal gründlich mit den Serben abgerechnet werden«, die Parole: »Jetzt oder nie« und forderte unmißverständlich: »Mit den Serben muß aufgeräumt werden, und zwar bald!« Von deutscher Seite aus waren damit die Weichen auf Krieg gestellt (zit. aus: Willibald Gutsche: »Der gewollte Krieg. Der deutsche Imperialismus und der 1. Weltkrieg«, 1984).

Dafür glaubte der Kaiser gut vorbereitet zu sein. Das glaubten auch seine beiden stärksten Stützen im Reich: das Militär und die evangelische Kirche. Das Militär, dessen Oberster Kriegsherr er war, glaubte mit dem »Schlieffenplan« eine Garantie für einen schnellen Sieg über Frankreich, den »Erbfeind«, zu haben. Die evangelische Kirche, der der Kaiser in Preußen als ihr »Summus Episcopus« befehlen konnte wie seiner Armee und deren Repräsentanten – Pastoren wie Konsistorialräte – seinen Weisungen blindlings folgten, glaubte an seine überirdische Weisheit. Galt er ihr doch als »Gottes Stellvertreter«.

Am 28. Juli erklärte Österreich Serbien den Krieg, am 1. August Deutschland Rußland und am 3. August ging die deutsche Kriegserklärung an Frankreich. Mit »überbordendem Nationalismus« – so formuliert es Detlef Bald im Friedensjournal 1/14 – trieben die evangelischen Prediger ihre »Pfarrkinder« nun in das große Schlachten, mit Worten, die sie in ihrer Ausbildung gelernt hatten: »Auf Befehl der Obrigkeit, des Kriegsherrn, tritt das Volk unter die Waffen ›mit Gott, für König und Vaterland‹ ... Ob ein Krieg gerecht oder ungerecht ist, das zu entscheiden ist Sache der Obrigkeit (des Kriegsherrn), die von Gott das Recht und die Pflicht zur Kriegsführung hat, daher auch allein die Verantwortung trägt. Der kriegspflichtige Untertan hat zu gehorchen; für das Blut, das er vergießt, ist er nicht verantwortlich«. (s. »Religionsbuch für evangelische Präparandenanstalten« von Johannes Westphal, 1907)

Die Stichworte in der nun einsetzenden »Sintflut« von Kriegspredigten gab der preußische Oberhofprediger Ernst von Dryander mit seiner Predigt zur Eröffnung des deutschen Reichstages im Berliner Dom am 4. August 1914. Anhand des Pauluswortes aus Römer 8 Vers 31 (»Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?«) log er die Zuhörer an: »... In geradezu unerhörtem Frevelmut ist uns ein Krieg aufgezwungen, für den die denkende Vernunft vergeblich nach den zureichenden Gründen fragt. Mit unermüdlicher Sorge hat unser Kaiser versucht, der Welt namenloses Elend zu ersparen. Es war vergeblich!« Dazu verbreitete er die »Gewißheit«, daß »Gott uns den Sieg verbürge, ... weil wir mit ihm sind« und entließ die Gemeinde mit den Worten des Kaisers: »Mit reinem Gewissen und mit reinen Waffen ziehen wir in den Kampf ...« (zit. aus: Karl Hammer: »Deutsche Kriegstheologie 1870 – 1918, 1974)

Aus den Kriegspredigten sind die eines Mannes herauszuheben, der damit seinen unaufhaltsamen Aufstieg in der evangelischen Kirche begann und von dem der spätere Bischof Wolfgang Huber einmal sagte, er sei »für unsere evangelische Kirche und über unsere Kirche hinaus eine der prägenden Gestalten des 20. Jahrhunderts« gewesen; sein Name: Otto Dibelius. Prägende Gestalten für ihn waren sein Onkel, ein Oberhofprediger in Dresden, Professor Adolf von Harnack, der Historiker Heinrich von Treitschke, von dem das üble Wort »Die Juden sind unser Unglück« in Erinnerung geblieben ist, vor allem aber Adolf von Stoecker, Domprediger in Berlin, dann Politiker und gläubiger Antisemit, der »als feuriger Redner den jungen Theologiestudenten begeisterte« (Hartmut Fritz: »Otto Dibelius«, 1998), so daß Dibelius sich 1933 rühmen konnte, er habe seit seiner Studentenzeit im Kampf gegen Judentum und Sozialdemokratie gestanden. Zwischen 1914 und 1918 entdeckte er dazu noch als »heilige Sache des Glaubens« den Kampf für Krieg und Waffensegnung mit der Gewißheit: »Gott mit uns!« (1914) – »Gottes Ruf in Deutschlands Schicksalsstunde« (1915) – »Das Himmelreich ist nahe!«(1915) – »Die Ernte des Glaubens« (1916) – »Zur Freiheit hindurch!« (1917) – »Er ist bei uns wohl auf dem Plan« (1917) – »Wir deutschen Christen und der deutsche Friede« (1918). Das alles sind Titel von Predigtsammlungen des Kriegspredigers Dibelius, aus denen, nach Kriegsjahren geordnet, einige Kernaussagen genannt werden sollen:
1914: »Nie ist das deutsche Volk für eine heiligere Sache in den Krieg gezogen … ›Kein schönrer Tod ist auf der Welt, als wer vom Feind erschlagen ...‹ So haben deutsche Landsknechte vor 400 Jahren gesungen. So klingt es noch heute durch jedes deutsche Herz. Der Tod fürs Vaterland ist ein herrlicher Tod! Ehre denen, die ihn sterben. Dankbar gedenkt ihrer das Vaterland. Mit Stolz erzählt von ihnen die Familie daheim ...«

1915: »Ein großer Dienst wird von euch gefordert, das ist der, daß ihr euer Leben nicht länger als eine Spielerei ansehen sollt, sondern, daß ihr es mit hineinstellt in den Kampf um eine heilige, geläuterte Zukunft unseres deutschen Volkes ... Jetzt begreift der schlichteste Mann, was für eine Bedeutung es hat, ob die Petroleumquellen in Osteuropa und in Asien in den Händen unserer Feinde oder unserer Verbündeten sind.«

1916: »Mobil! Die unerträgliche Schwüle der letzten Juliwochen des Jahres 1914 war dem befreienden Gewitter gewichen. Der Ausbruch des Krieges stand im Zeichen einer großen Gottesoffenbarung. Gott erschien dem deutschen Volke! Das deutsche Volk sah durch die Gewitterwolken des Krieges das Auge des lebendigen Gottes herniederflammen auf die Erde. Es sah Gott sich offenbaren!«

1917: »Die Anstrengungen der Feinde werden gewaltig wachsen. So sollen auch die Kräfte der Liebe in unserer Mitte wachsen. Jesus Christus ist auf dem Plan, uns diese Kräfte zu geben! ... Und wir werden siegen.«

1918: »Verständigungsfrieden: Ja oder Nein? … Die Antwort heißt: Nein! Nicht Verzicht und Verständigung, sondern Ausnutzung unserer Macht bis zum Äußersten – das ist die Forderung des Christentums, seine Friedensforderung an uns deutsche Christen! … Darum gilt es, auszuharren und zu kämpfen, ohne müde zu werden. Schande über den, der mutlos die Arme sinken läßt und sich zum Geschlagenen macht, weil er geschlagen zu sein glaubt! ... Im felsenfesten Glauben an den Sieg liegt die Kraft zum Siegen.«

Doch nicht nur von der Kanzel aus bemühte sich Dibelius, daß das Abschlachten im Krieg weiterging, sondern auch ganz praktisch. In der Vorhalle der Kirche eröffnete er 1917 anläßlich des 70. Geburtstags Hindenburgs eine »Zeichnungsstelle für die Kriegsanleihe«, worum Hindenburg als »Geburtstagsgeschenk« gebeten hatte. Von ihrem großen Erfolg berichteten damals die Zeitungen.

Überhaupt wurde das Werben für Kriegsanleihen im »Lutherjahr 1917« und 1918 zur Herzensangelegenheit aller Kirchen. So schaltete noch am 3. November 1918 die evangelisch-lutherische Kirche in ihrem Hannoverschen Sonntagsblatt eine Großanzeige mit der dringlichen Aufforderung: »Wer will, daß es zum Frieden kommt, der zeichne nach seinem Vermögen, ... um dem Reich die Mittel zur Fortführung des Kampfes zu gewähren ...«

In jenen Tagen dachte Dibelius darüber nach, wie er die Niederlage Deutschlands trotz seiner Predigten dem Kirchenvolk erklären könnte, und er fand: »Aber auf das Ganze gesehen, wird doch geurteilt werden müssen: Die Kräfte des deutschen Volkes sind zur Entfaltung gekommen. Größeres als es in diesem Kriege geleistet hat, wird Deutschland auch in Zukunft nicht leisten! Mit diesen Kräften aber hätte Deutschland gesiegt, und wird es in Zukunft allen anderen Völkern ebenbürtig sein, – wenn diesen Kräften nur die rechte einheitliche Richtung gegeben wird! Das Geschmeiß der Kriegsgewinnler und der rücksichtslose Materialismus sozialistischer Demagogie hat dem kämpfenden Volk das Rückgrat gebrochen.« Nachzulesen in seiner Schrift »Nationale Erhebung« von 1918, dem wohl frühesten Zeugnis der »Dolchstoßlegende« im kirchlichen Schrifttum.

Gut vierzehn Jahre später, am 21. März 1933, am »Tag von Potsdam«, sah Dibelius, seit 1925 Generalsuperintendent der Kurmark und damit auch für die Potsdamer Kirchen zuständig, in seiner Predigt in der Nikolaikirche im Rahmen der »Reichstagseröffnungsfeier in Potsdam« diese Zukunft heraufziehen: »Mit Gott zu neuer Zukunft! Ein neuer Anfang staatlicher Geschichte steht immer irgendwie im Zeichen der Gewalt. Denn der Staat ist Macht. Neue Entscheidungen, neue Orientierungen, Wandlungen und Umwälzungen bedeuten immer den Sieg des einen über den anderen. Und wenn es um Leben und Sterben der Nation geht, dann muß die staatliche Macht kraftvoll und durchgreifend eingesetzt werden, es sei nach außen oder nach innen. Wir haben von Dr. Martin Luther gelernt, daß die Kirche der rechtmäßigen staatlichen Gewalt nicht in den Arm fallen darf, wenn sie tut, wozu sie berufen ist ... « (zit. nach Klaus Scheel, »Der Tag von Potsdam«, 1996).

Reichskommissar Hermann Göring, der diesem Gottesdienst beiwohnte, wird solche Worte gern gehört haben, hatte er doch selbst kurz zuvor, auf einer NSDAP-Kundgebung am 3. März in Frankfurt am Main, mit ähnlichen Worten seine Terrormaßnahmen beschrieben. Dibelius wird gekannt haben, was Göring gesagt hatte: »… Ich denke nicht daran, in bürgerlicher Manier und in bürgerlicher Zaghaftigkeit nur einen Abwehrkampf zu führen. Nein, ich gebe das Signal, auf der ganzen Linie zum Angriff voranzugehen ... Hier habe ich keine Gerechtigkeit zu üben, hier habe ich nur zu vernichten und auszurotten, weiter nichts!« (zit. nach: Heinz Brüdigam, »Faschismus an der Macht«, 1982) Erfreulich für Göring war sicherlich auch das Predigtwort, das Dibelius sich für seine Predigt ausgesucht hatte. Es war das bereits erwähnte Pauluswort Römer 8 Vers 31, mit dem der weiland Hofprediger Dryander am 4. August 1914 zur Kriegsbereitschaft aufgestachelt hatte.

Die Militärgeschichte des Otto Dibelius ist mit dem »Tag von Potsdam« nicht beendet. Wie er nach 1945 als langjähriger Ratsvorsitzender der evangelischen Kirche von 1949 bis 1961 und Mitglied der CDU erfolgreich Beihilfe zur Remilitarisierung der westdeutschen Gesellschaft und zum Abschluß eines unseligen Militärseelsorgevertrages leistete, das ist in Ossietzky 3/13 nachzulesen. Bleibt noch auf die zahlreichen Ehrungen hinzuweisen, die dem »Jahrhundert«-Bischof, zuteil wurden, zum Beispiel 1958 die Ehrenbürgerschaft von Berlin und 2005 die posthume Ehrung mit einem Straßennamen in Berlin-Charlottenburg. Im Mediendienst berlin.kauperts.de, der »viele einzigartige Informationen zu den Berliner Straßen liefert«, heißt es zur Otto-Dibelius-Straße: »Dibelius, Friedrich Karl Otto, ... Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime ... Aus christlicher Überzeugung setzte er sich gegen jede Verherrlichung des Krieges ein ...«