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Titel517

Bemerkungen

Atemnot

Laut einem Artikel in der Leipziger Volkszeitung haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Chemie an der Universität Mainz herausgefunden, dass »die Luft im Kinosaal verrät, wie spannend ein Film ist«. Nämlich: »Bei spannenden Kinofilmen atmen wir mehr Kohlendioxyd aus.« Das gilt nicht nur für das Kino und für erbauliche Spannung. Das trifft auf viele Gefühlsregungen zu. Denn bei manchen Sendungen im Fernsehen stoße ich so viel Kohlendioxyd aus, dass die Zimmerpflanzen Schaden nehmen.              

Günter Krone

 

 

Kampf bis zum Ende der Nacht

Nur, weil die Bilder überzeugten und die Richtung stimmte, war dieser mehr als vier Stunden währende Berlinale-Dokumentarfilm durchzuhalten. Silvain L’Esperance, der Filmemacher, hat sich mit seinem »Combat au bout de la nuit« konsequent an die Seite der Unterdrückten gestellt: an die Seite griechischer Putzfrauen, die nahezu dreihundert Tage lang um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze ein Ministerium belagerten; an die Seite unversicherter kranker Menschen, die ewig um einen Arzttermin anstehen müssen; an die Seite vereinsamter Schwarzafrikaner, die von Mülleimer zu Mülleimer pilgern, und an die aus ihren Behausungen vertrieben Roma.

 

All das wird gut bildhaft gemacht: Putzfrauen hämmern gegen die Schutzschilder von Polizisten, sie rufen: »Werft eure Schilder weg und steht uns bei«, verfluchen die Männer am Ende, zeigen ihre Verachtung, singen im Chor und recken entschlossen die Fäuste. Während all dem wühlen schwarze Flüchtlinge im Müll, schleppen ihre armseligen Funde quer durch die Stadt zu einem Straßenmarkt in dunkler Seitenstraße, stecken die paar Münzen weg, die ihnen nach langem Feilschen die Kunden geben, Geld, das zum Leben und zum Sterben nicht reicht. In ein hunderte Seiten dickes Buch trägt nach langem Blättern die Angestellte einen Termin beim Zahnarzt ein: Drei Monate wird die Patientin warten müssen, in der Zwischenzeit: »Hier ein paar Schmerztabletten.« Krachend wirft sich das riesige Stahlmaul des Abrissbaggers auf ein Holzhaus im Zigeunerlager, das Stahlmaul erfasst einen Haufen Splitter, und der Bagger schafft das Ganze weg. »Wohin mit uns?« fragen die Roma den Vorstadtbürgermeister, der beleibte Mann zuckt die Schultern. »Das wird morgen entschieden«, sagt er und verschwindet. Zurück bleiben verstört die Roma. Und wo die Flüchtlinge aus Afrika schließlich ihre müden Knochen betten, bleibt offen. Gezeigt wird nur, was der Titel verspricht: ein Kampf bis zum Ende der Nacht.                       

Walter Kaufmann

 

 

Die Geister, die ich rief

Angst geht um. Die Regierungen der selbsternannten »westlichen Wertegemeinschaft« wappnen sich gegen die Folgen ihrer eigenen Politik. Ihre imperialen Interventionen schaffen nämlich eine Welt-Unordnung, in der Krieg, Angst und Elend herrschen. Statt über »globale Verantwortung« in Form von Militäreinsätzen sollte besser über die Verantwortung des Westens für den Terror gesprochen werden.

 

Der Kampf um Rohstoffe und um die globale Vorherrschaft des kapitalistischen Westens wirkt als Terror und schafft failed states, was wiederum Terror hervorruft, der inzwischen Europa erreicht hat. Von der vorherrschenden Politik wird aber die Folge als Ursache ausgegeben. Statt sich radikal von der imperialen Politik zu verabschieden, werden (nicht nur) in Deutschland Antiterrorpakete geschürt und »Terrorbekämpfungsergänzungsgesetze« verabschiedet. Rüstet der Staat gegen soziale Unruhen und Migrationsbewegungen auf?

 

Rolf Gössner beschreibt im neuen isw-spezial zum Thema Terror faktenreich Maßnahmen der »Sicherheitsarchitektur«, die politische Tabus zu brechen geeignet ist: Mit dieser »Sicherheitsarchitektur« wird das Instrumentarium des Ausnahmezustandes zum Normalzustand. Der Umbau des demokratischen Rechtsstaates zum Sicherheits- und Präventionsstaat ist in vollem Gang; als Schmiermittel für den Prozess wird die Angst in der Bevölkerung genutzt.

 

Parallel zu Krieg und Elend nimmt der Terror weltweit zu, wie Conrad Schuhler im gleichen Heft belegt. Was die USA und die NATO als »Selbstverteidigung« ausgeben, sind in Wirklichkeit völkerrechtswidrige Kriege für die eigenen Interessen. Da in islamisch geprägten Ländern wichtige Ressourcen für den Westen gesichert werden sollen, wird der Islam(ismus) vom globalen Kapitalismus zum Feind erklärt; dies umso mehr, als er für zahlreiche Abgehängte als Alternative zum revolutionären Kampf gilt. Ihr Terror wird als Alibi für Krieg und Demokratieabbau genutzt. Tatsache ist: Die Kriege der NATO schaffen neuen Terror.

 

In einer fundierten politischen Analyse der Ursachen des Terrors und der Verantwortung des Westens beschreiben Gössner und Schuhler detailliert eine eskalierende Konflikt- und Spannungssituation in der Welt, die nur durch radikalen Politikwechsel gestoppt werden kann. Stattdessen rüsten aber die kapitalistischen Länder für die zu erwartenden sozialen Folgen der Ungleichheit. Die Anschläge von Islamisten sind allerdings keine berechtigte Antwort auf Ausbeutung und die Kriege der NATO. Dennoch – so Schuhler – sollte die antistaatlich eingestellte Linke akzeptieren, dass die Bevölkerung in Angstfreiheit leben will, auch wenn die »rechte Hand des Staates« die Eigentumsordnung der Elite verteidigt.                                   

Georg Rammer

 

Rolf Gössner und Conrad Schuhler: »Terror. Wo er herrührt, wozu er missbraucht wird, wie er zu überwinden ist«, isw-spezial Nr. 29, herausgegeben vom Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e. V., 28 Seiten, 3 € zzgl. Versandkosten, Bezug: isw-muenchen.de

 

 

 

Unsere Zustände

Wer in seinem Lebenslauf weglässt, hat der Wahrheit ein Schnippchen geschlagen.

 

*

 

Kommt ein Mensch vom Weg ab, heißt es, er läuft in die Irre. Bei einer Regierung ist das ein neuer erfolgreicher Kurs.

 

*

 

Diese Gesellschaft formt Menschen zu Sprechapparaten. Eine unablässig auf sie einwirkende Macht der Medien lässt sie sagen, was sie sollen, und nicht, was sie wollen.                             

 

Wolfgang Eckert

 

 

Friedenstaube im Sinkflug

An einem Kinderlied scheiden sich die Geister. Es geht um einen Werbespot. Den Auftakt bilden die Melodie und die ersten Worte des Kinderliedes »Kleine weiße Friedenstaube.« Dann fragt eine Stimme erstaunt: »Was, die gibt’s noch?« Die Antwort »Ja, am Kiosk – Tageszeitung junge Welt. Zeitung gegen Krieg.« Diesen und fünf weitere Werbespots lässt die Zeitung, die am 12. Februar 70 Jahre wurde, landauf landab im Radio spielen. Aber nicht alle Sender mögen den Spot bringen. Kein Grund, sich aufzuregen, aber die Begründung stimmt dann doch nachdenklich: Werbung für den Frieden transportiere eine Weltanschauung.

 

Für den öffentlich-rechtlichen Sender MDR Jump ist Werbung für die junge Welt politische Werbung – und deshalb verboten. Mit dieser Begründung lehnte der Sender vier der sechs gebuchten Radiospots ab. Die »Motive sind leider nicht nach der Einschätzung unseres Juristen zulässig, da durch diesen Aussagen im Spot (u. a. ›Zeitung gegen Krieg‹, ›Zeitung gegen Faschismus‹) eine Weltanschauung transportiert wird«, teilte MDR Jump dem Verlag 8. Mai, Herausgeber der jungen Welt, in etwas merkwürdigem Deutsch mit. Auf Bitten des Senders hatte der Verlag bereits zuvor einzelne Spots überarbeitet. Aber auch die überarbeiteten Radiospots wurden abgelehnt. »Die Spots [zielen] auf Erinnerungen ab, die eher weltanschaulicher Herkunft sind«, präzisierte der Sender seine ablehnende Haltung laut junger Welt.

 

Der private Sender Ostseewelle Hit-Radio Mecklenburg-Vorpommern berief sich bei der Ablehnung der bereits gebuchten Radiospots auf den Rundfunkstaatsvertrag: »Die Werbung stellt aufgrund ihres Inhalts sowie des ideologischen Hintergrunds der Zeitung ›Junge Welt‹, Werbung politischer und weltanschaulicher Art dar, so dass der Sender aufgrund der Regelungen in § 7 Abs. 9 Rundfunkstaatsvertrag gehalten ist, den Auftrag abzulehnen«, teilte der Sender der jungen Welt mit. Der öffentlich-rechtliche Sender radioeins im Bereich Berlin-Brandenburg hingegen hatte keine Probleme mit den Spots und sendete sie unbearbeitet.

 

Im Rundfunkstaatsvertrag heißt es in Paragraph 7 Absatz 1: »Werbung und Teleshopping dürfen nicht: 1. die Menschenwürde verletzen, 2. Diskriminierungen aufgrund von Geschlecht, Rasse oder ethnischer Herkunft, Staatsangehörigkeit, Religion oder Glauben, Behinderung, Alter oder sexueller Orientierung beinhalten oder fördern.« Paragraph 7 Absatz 9 lautet: »Werbung politischer, weltanschaulicher oder religiöser Art ist unzulässig.«

 

Staatsrechtler Andreas Fisahn kam in einer Stellungnahme für die junge Welt zu dem Schluss, »dass man sich fragen muss, ob es sich bei der Werbung für eine Zeitung um politische Werbung handelt – wohl nicht. Es wird für ein Produkt geworben, das wie jede andere Ware auch Kunden finden muss.« Andreas Fisahn hält es für »kein mit der Meinungs- und der Pressefreiheit vereinbares Ergebnis, wenn der Hinweis auf politische Probleme, die von einer Zeitung thematisiert werden, von der Werbung ausgeschlossen werden [sic!], weil es politische Probleme sind.«

 

RT Deutsch fragt im Gegenzug, »inwieweit Rundfunkunabhängigkeit, Gewaltenteilung und Staatsferne als fester Bestandteil des öffentlichen Auftrags heute beim Mitteldeutschen Rundfunk gewährleistet sind«. Und spekuliert dann: »So könnte die Entscheidung des MDR ihrerseits aus ideologischen Gründen getroffen worden sein.«

 

Schwere Zeiten für die kleine Friedenstaube. Da muss man im Nachhinein dem SWR2 regelrecht Mut unterstellen, brachte er doch 2016 ein Feature über Erika Schirmer, die das Kinderlied »Kleine weiße Friedenstaube« Anfang 1949 schrieb.                    

 

Klara Lindstett

 

Das Feature »Ein DDR-Kinderlied und seine Schöpferin: Kleine weiße Friedenstaube« kann man nachhören unter: www.swr.de. Die junge-Welt-Werbespots gibt’s unter https://www.youtube.com/.

 

 

Nachklang

Zwei Kinofilme haben mich in der letzten Zeit noch tagelang beschäftigt: »Ich, Daniel Blake« und »Manchester By The Sea«. Der eine schildert realistisch heutige Armutsschichten am Beispiel eines Menschen, der einfach nur krank geworden ist; der zweite zeigt einen Fall von Trauer und ihren Auswirkungen. Mögen die Themen auch alltäglich und unspektakulär klingen, so ist doch die Ausführung in beiden Fällen gelungen. Eine so detaillierte Zeichnung von Personen und so tiefe Problemdurchdringung gelingt sonst nur im Theater oder in großen Romanen. Der amerikanische Film »Manchester By The Sea« wirkt wie ein französischer Streifen; an keinem Punkt neigt er zu dem oft so typischen amerikanischen Film-Unwesen der Oberflächlichkeit, der Süßlichkeit, der Brutalität oder der Überhebung. Seine Beziehungsentwicklung ist fein austariert. Wer Brüder-Dardenne-Filme mag, kommt hier voll auf seine Kosten. Das gilt auch für den englischen Film »Ich, Daniel Blake«. In beiden Streifen vollziehen die Hauptpersonen eine Entwicklung, und die Regisseure machen deutlich, wovon wir alle abhängen: von dem, was uns geschieht, von dem, was wir erleben, und von dem, wie wir es gestalten, was uns geschieht und was wir erleben. Beide Filme sind in höchstem Maße existentialistisch, wenn wir darunter verstehen, dass der Mensch sein Schicksal nicht über sich ergehen lässt, sondern es aktiv verwandelnd zu gestalten versucht, in welcher Lage er auch immer sein mag.

 

Die Inhaltsangaben, die zu den Filmen zu finden sind, treffen nicht deren Kern, weshalb auch ich hier keine geben will. Im ersten Film könnte man etwas einfach Naturalistisches vermuten, im zweiten Fall darf der Inhalt nicht verraten werden, da die Spannung des Films darauf beruht, dass er sich im Laufe des Films entfaltet. Beide Werke sind Geniestücke der Filmkunst und unbedingt zu empfehlen!             

 

Anja Röhl

 

 

Meinungsfreiheit

Es ist Mode geworden,

jede Meinungsäußerung –

und sei sie noch so töricht –

mit dem Argument zu rechtfertigen:

»Das muss Demokratie aushalten.«

Als wäre die Demokratie

ein Strohsack,

auf den man ungestraft

mit jedem verbalen Dreschflegel

einprügeln könnte.            

 

Manfred Orlick