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Titel518

Der Hausmeister macht weiter  (Conrad Taler)

Lähmend lag die peinliche Stille einige Sekunden lang über den vielen Menschen, die ins Willy-Brandt-Haus gekommen waren, um das Ergebnis der Mitgliederbefragung über die erneute Beteiligung der SPD an einer Großen Koalition an Ort und Stelle zu erfahren. War das wirklich alles, was der kommissarische Parteivorsitzende Olaf Scholz zu sagen hatte? Kein wegweisendes Wort zum Einverständnis von zwei Dritteln der Mitglieder, die sich an der Abstimmung beteiligt hatten, mit dem Kurs der Parteiführung, bis auf den dürren Satz, die Diskussionen der vergangenen Tage hätten die Beteiligten an der Spitze weiter zusammengeschweißt?

 

Es war so, als verkörpere Olaf Scholz in diesem Moment das große Nichts, als das viele die Sozialdemokratische Partei empfinden, seit sie als Hausmeister Angela Merkels dafür sorgt, dass – im übertragenen Sinne – die Heizung funktioniert und das Türschloss nicht klemmt. Klar, das Land braucht eine Regierung, auch wenn Willi Winkler in der Süddeutschen Zeitung schreibt: »Mal im Ernst: Hat irgendjemand sie vermisst?« Jedes Mal wenn die anderen am Ende waren mit ihrem Latein, hat die SPD ihnen aus der Patsche geholfen, oder, vornehmer ausgedrückt, hat sie Verantwortung übernommen, bis sie irgendwann nicht mehr gebraucht wurde, weil andere als Mehrheitsbeschaffer zur Stelle waren.

 

Haben die Mitglieder der SPD wirklich über das Ergebnis der Verhandlungen mit den Unionsparteien über eine Regierungsbeteiligung entschieden? Die wenigsten werden den 180 Seiten langen Koalitionsvertrag gelesen haben. Die meisten entscheiden in solchen Fällen aus dem Bauch heraus. Es muss sich schon eine Menge Unbehagen angestaut haben, dass jede dritte Stimme von einem Mitglied stammt, das der eigenen Führung nicht gefolgt ist und ihr zu verstehen gab, nicht länger der CDU/CSU auf deren ausgetretenen Wegen hinterherlatschen zu wollen. Wäre es anders, hätte der Jungsozialistenvorsitzende Kevin Kühnert nicht auf Anhieb solchen Zulauf gefunden. Ohne ihn steckte die SPD noch viel tiefer in der Krise, als manche sich vorstellen mögen.

 

Mit der Zustimmung einer Mehrheit der Mitglieder zum nochmaligen Eintritt in eine Große Koalition unter Angela Merkel hat sich die Parteiführung etwas Luft verschafft, mehr nicht.

 

Niemand im Willy-Brandt-Haus spürte etwas von Aufbruchstimmung, kein Jubelschrei füllte den Innenhof, als das Ergebnis des Mitgliederentscheids endlich da war. Erleichterung war zu spüren, ja, nicht so sehr über das Ergebnis, sondern darüber, dass das quälende Warten endlich vorbei war und vor allem die Angst vor möglichen Neuwahlen, bei denen die SPD, so wie jetzt die italienische Schwesterpartei und davor die französische, noch weiter dezimiert worden wäre. Hat sich die Partei übrigens schon gefragt, auf wessen Seite sie steht, wenn es um die Rechte der Arbeitnehmer in Frankreich geht? Auf der Seite Macrons, der diese Rechte beschneiden will, oder auf der Seite der Arbeitnehmer?

 

Die Zerreißprobe für die SPD dauert an. Welche Antwort hat sie zum Beispiel auf die Frage, wo die Menschen ihr Auskommen finden sollen, denen im Gefolge der Digitalisierung der Absturz in die Arbeitslosigkeit droht? Was sagt sie den Menschen, die der Zuwanderung nicht aus Fremdenfeindlichkeit, sondern aus Lebensangst skeptisch gegenüber stehen? Daran wird sie sich messen lassen müssen, wenn sie neben der AfD bestehen will. Die hält sich heute noch bedeckt. Was zu befürchten ist, wenn sie noch ein paar Prozent zulegt, kann man sich leicht vorstellen. Wenn sich die SPD nicht auf ihre Wurzeln besinnt, wird es nichts mit der versprochenen Erneuerung. Immer auf beiden Schultern tragen zu wollen, das geht nicht. Dazu ist anderes nötig.