erstellt mit easyCMS
Titel518

Ein beispielloser Skandal  (Ralph Hartmann)

Schreckliches, Unvorstellbares ist geschehen. Ausgerechnet God‘s Own Country, der Hort der Freiheit und Demokratie, ist betroffen. In mühevoller Arbeit haben es der Sonderermittler Robert Mueller und sein Team aufgedeckt: 13 russische Staatsbürger und drei russische Unternehmen sind involviert. Die US-Justiz hat sie angeklagt. Ihnen wird vor allem Einmischung in die Präsidentschaftswahlen 2016 vorgeworfen. Laut Mueller hätten die Angeklagten gegen US-Gesetze verstoßen, indem sie sich bei der US-Wahl 2016 in den politischen Prozess eingemischt hätten. Alle russischen Angeklagten werden nach Angaben Muellers einer Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten beschuldigt. Ausgegeben hätten sie sich als US-Bürger, um in sozialen Netzwerken unrechtmäßig politische Werbung zu verbreiten, den republikanischen Kandidaten Donald Trump zu unterstützen und die demokratische Kandidatin Hillary Clinton zu diffamieren.

 

Weltweit und selbstverständlich auch in den sogenannten Leitmedien der Bundesrepublik waren die empörenden Tatsachen Spitzenmeldungen. Das Entsetzen über die Schandtaten der Russen ist groß. Eine Kleinigkeit trübt die Freude über die Aufdeckung der Untaten: Es fehlt an Fakten. Moskau reagierte entsprechend ziemlich gelassen. Maria Sacharowa, Sprecherin des Außenministeriums, bezeichnete den Vorwurf der Wahleinmischung als »absurd«. Wörtlich schrieb sie auf Facebook: »13 Menschen haben sich in die US-Wahlen eingemischt? 13 gegen Milliardenbudgets von Spezialagenturen? Gegen Geheimdienste und Spionageabwehr, gegen neueste Technologien? Absurd? – Ja.« Ihr Chef, Außenminister Sergej Lawrow, erklärte lächelnd auf der Münchner Sicherheitskonferenz: »So lange wir die Fakten nicht haben, ist alles andere Geschwätz.« Der Vorsitzende des Außenausschusses des russischen Parlaments, Leonid Sluzki, schloss sich dem an und sagte, das Vorgehen der US-Justiz erinnere an eine Hollywood-Komödie. Das alles komme dem Wahnsinn nahe. Einer der Beschuldigten, der Geschäftsmann Jewgeni Prigoschin, meinte belustigt: »Die Amerikaner sind sehr emotionale Menschen, sie sehen, was sie sehen wollen. Ich habe großen Respekt vor ihnen. Ich bin überhaupt nicht verärgert, dass ich auf dieser Liste stehe. Wenn sie den Teufel sehen wollen, lassen Sie sie.«

 

Schon vor der Anklage, Mitte Januar, hatte Präsident Putin auf einem Treffen mit den Chefs der russischen Nachrichtenagenturen und Medien festgestellt, die Russland-Karte werde in der US-Innenpolitik immer dann gespielt, wenn Trumps Gegner ihn mit der Amtsenthebung einschüchtern und das mit der »angeblichen Einmischung Russlands« begründen wollten. »Ich will nochmals betonen: Das ist absoluter Quatsch, absoluter Unsinn, es hat keine Absprachen, keine Einmischung von unserer Seite gegeben.« Hoffentlich werde »das innenpolitische Gebalge« in den USA bald ein Ende nehmen, so dass Voraussetzungen für eine Normalisierung der Beziehungen geschaffen werden könnten.

 

Ja, die Russen können sagen, was sie wollen! Allein schon der Verdacht der Wahlbeeinflussung seitens ausländischer Staatsbürger ist strafbewehrt sträflich und rechtfertigt eine geharnischte Strafanzeige. Washington lässt zu Recht nicht zu, dass ausländische Kräfte, seien es Russen oder Chinesen, sich in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten einmischen. Die Supermacht USA würde solch einen Völkerrechtsbruch, solch ein Verbrechen nie begehen. Selbstverständlich gibt es ein paar Ausnahmen.

 

Der Politikwissenschaftler Dov Levin der Carnegie Mellon University hat sie untersucht und festgestellt, dass die US-Superdemokraten in den 54 Jahren zwischen 1946 und 2000 insgesamt 81 solcher Einmischungen und Einmischungsversuche in die Wahlen anderer Ländern unternahmen. Dabei seien sie in rund 59 Prozent der Fälle auch erfolgreich gewesen. Eine schöne Erfolgsquote! Ein Geheimnis ist das nicht. Selbst der ehemalige CIA-Direktor James Woolsey hat unlängst in einer Sendung des US-Nachrichtensenders FOX zugegeben, dass sich die USA in die Wahlen fremder Länder einmischen. Das täten sie jedoch einzig und allein für »die gute Sache«. Dieses hochdemokratische Vorgehen zeigte sich besonders in den Jahren nach 2000, als sie ihren wenigen Ausnahmen bienenfleißig weitere Einmischungsaktionen hinzufügten und diese mit militärischen Mitteln zu glanzvollen Siegen führten.

 

Im Oktober 2001 begann die Operation Enduring Freedom in Afghanistan und im März 2003 die Operation Iraqi Freedom. Die Ergebnisse sind bekannt. Im Frühjahr 2011 trugen die USA im Kampf für »die gute Sache« mit Militärschlägen entscheidend dazu bei, Muammar al-Gaddafi zu beseitigen und Libyen ins Chaos zu stürzen. Im Juni 2014 starteten sie die Operation Inherent Resolve gegen Syrien, um die Terrormiliz Islamischer Staat zu bekämpfen und im Zuge ihrer bewährten Politik des regime change das Assad-Regime zu eliminieren. Außerdem müssen es doch nicht immer Militäraktionen sein. Gut erinnerlich ist, wie sie dem am Boden liegenden russischen Präsidenten Boris Jelzin 1996 mit einer Anleihe von zehn Milliarden Dollar und der Entsendung eines Wahlkampfteams zur Wiederwahl verhalfen. (s. Ossietzky 3/2018)

 

Wie schon gesagt, das alles sind Ausnahmen. Ansonsten halten sich die USA streng ans Völkerrecht und an das darin verankerte Nichteinmischungsprinzip. Ganz im Gegensatz zu den vermaledeiten 13 angeklagten Russen.