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Evangelikalisation  (Hartwig Hohnsbein)

Die Ministerin schwärmte: »Ich schätze die wertvolle und wertgebundene Arbeit der christlichen Jugendverbände. Angesichts der vielfältigen Anforderungen, denen Jugendliche heutzutage begegnen müssen, ist die Grundlage des christlichen Glaubens besonders wertvoll.« Was die Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen hier mit doppelter und dreifacher Wertschätzung erfüllt, ist das bevorstehende »Christival 2008«, das im April/Mai für fünf Tage in Bremen stattfinden wird. Als Schirmherrin und Vorsitzende des Kuratoriums dieses »christlichen Großereignisses« hat sie den zu erwartenden 20.000 Teilnehmern für »erlebnisreiche und gute Begegnungen« aus ihrem Haushalt 250.000 Euro zur Verfügung gestellt. Das Ziel der Veranstalter ist, »Bremen zu bewegen«, und zwar mit Gottesdiensten, Seminaren, Singen in Straßenbahnen, »Passanten von Jesus erzählen«, »mit Jesus Party feiern« oder »mit ihm allein sein«. Träger des Unternehmens sind etwa 20 christliche Jugendverbände, darunter die »Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend«, mit 1,2 Millionen Mitgliedern die weitaus größte bundesdeutsche Jugendorganisation. Dazu kommen Hunderte von Einzelpersonen einschließlich der etwa 70 Mitglieder des Kuratoriums, unter denen Kirchenführer aus 23 Landeskirchen anzutreffen sind sowie die Bremer Ex-Bürgermeister Hans Koschnick und Henning Scherf, der ZDF-Journalist Peter Hahne oder der Schuhfabrikant Heinz-Horst Deichmann.

Christival-Veranstaltungen gibt es in Deutschland seit etwa 30 Jahren, ohne daß sie besonders auffielen. Damals wurden sie nach dem Vorbild und aus dem Geist der US-amerikanischen evangelikalen Bewegung heraus geboren, die inzwischen weite Teile der evangelischen Amtskirchen erfaßt hat. Das zeigt sich auch in den Veranstaltungen der deutschen »ProChrist-Bewegung«, die 1993 in Essen im Beisein von Billy Graham, »Maschinengewehr Gottes«, Stammvater aller evangelikalen Prediger, ins Leben gerufen wurde. Ihre »Satelliten-Evangelisationen« sind längst Bestandteile landeskirchlicher Verkündigung geworden.

Das unveränderbare Glaubensbekenntnis der evangelikalen Bewegung wurde 1972 von der Evangelischen Allianz, einem weltweiten Netzwerk mit 420 Millionen Menschen, formuliert. Darin heißt es: »Wir bekennen uns zur göttlichen Inspiration der Heiligen Schrift, ihrer völligen Zuverlässigkeit und höchsten Autorität in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung.« Daraus leitet sie als Schwerpunkte ihres gegenwärtigen Glaubens ab: Bekämpfung der Homo- sexualität, der Abtreibung und der Evolutionslehre Darwins. Auch für das diesjährige Christival war in einem besonderen Seminar der Kampf gegen die als Sünde, als Defekt, als »Zielverfehlung« verstandene Homosexualität eingeplant. Auf Protest des Grünen-Politikers Volker Beck, der den Veranstaltern zu Recht »Scharlatanerie« vorwarf, wurde das Therapie-Seminar gestrichen. Doch das Thema bleibt den Schriftgläubigen erhalten. Die zentrale Aussage der Bibel zur Homosexualität lesen sie im »Heiligkeitsgesetz Gottes« (3. Mose, 20. Kapitel, 13. Vers) – auch wenn sie den vorletzten Satz darin lieber noch nicht zu laut ­sagen: »Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist. Beide sollen des Todes sterben. Blutschuld lastet auf ihnen.« Dieses Gotteswort hat fast 3000 Jahre lang zu grausamer Verfolgung und Ermordung Homosexueller geführt. Die frommen Bibelleser wußten nämlich aus dem 26. Kapitel, wie ihr Gott sich an denjenigen rächen will, die dieses Gebot nicht befolgen: mit Fieber, Pest oder wilden Tieren, die die eignen Kinder fressen, und als Höchststrafe ist den immer noch Ungehorsamen angedroht, selber »das Fleisch der eigenen Söhne und Töchter essen zu müssen« (Vers 29). In Deutschland bekräftigte die Evangelische Kirche 1932 in einer Denkschrift die strenge Bestrafung Homosexueller auf Grund jenes Verses – eine Anregung, die die Nazis 1935 gern aufnahmen.

Ein Tip an die Ministerin heute: Stellen Sie doch bei der Bundesprüfstelle zur Bekämpfung jugendgefährdender Schriften einen Antrag zur »Heiligen Schrift«, die zahlreichen Killer-Gebote und jugendgefährdenden Geschichten darin (so der Geschichte von Jeftah, der nach Richter 11, 30 ff. für Gott seine Tochter schlachtet und dann in Hebräer 11, 32 f. den Christen wegen seiner »Gerechtigkeit« als Vorbild des Glaubens empfohlen wird) zu indizieren.

Ein anderer Tip: Eine Überprüfung des Netzwerks der Evangelischen Allianz, wo man solche Texte als göttlich inspiriert »bekennt«, würde ergeben, daß über die »Konferenz Bekennender Gemeinden«(KBG) auch die »Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland« (ENiD) in der evangelikalen Bewegung einen festen Platz hat. Die ENiD wurde 1966 als Kampfgruppe gegen die »Vertriebenen-Denkschrift« der evangelischen Kirche gegründet. Ihren ersten Höhepunkt erlebte sie 1969, als ihr Mitbegründer, der erprobte Antisemit Werner Petersmann, auf der niedersächsischen NPD-Landesliste zur Bundestagswahl den ­Spitzenplatz hatte. Petersmann war damals langjähriger Pastor in der Lukasgemeinde in Hannover und konnte vor der Wahl in Briefen an alle niedersächsischen Haushalte mit seinem Pastorentitel für die NPD werben. Und Professor Klaus Motschmann, Theologe und Politikwissenschaftler, in den 90er Jahren Vorstandsmitglied der »Notgemeinschaft«, verfaßte Artikel für die Wochenzeitung Junge Freiheit, die der Bundesverfassungsschutzbericht 2001 als »Forum für rechtsextremistische Meinungsäußerungen« bezeichnete.

Für die Junge Freiheit schrieb, laut Wikipedia, auch der Pfarrer und Journalist Helmut Matthies. Er wurde Mitglied der ENiD und gehört dem Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz an, die mit ihrem Verein »Christival e. V.« jenes Großspektakel in Bremen verantwortet. Wichtiger als diese ­»Ehrenämter« ist sein Hauptberuf: Seit 1978 leitet er die evangelikale Nachrichten-Agentur idea und ist zugleich Chefredakteur von ideaSpektrum. Mit diesen Presseorganen bietet er der evangelikalen Bewegung eine publizistische ­Plattform.

Inzwischen hat der Grünen-Politiker Beck die Ministerin aufgefordert, ihre Schirmherrschaft des Christivals zurückzugeben. Die Ministerin aber ließ erklären, daß hier »viele gute Anstöße für die Jugendarbeit, für Glauben, Werte und Engagement« gegeben würden.