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Frankreichs zerstrittene Linke  (Christophe Zerpka)

Eigentlich müßte die Linke mit einem solchen Präsidenten leichtes Spiel haben: Nicolas Sarkozy kommt seit Monaten nicht aus den schlechten Umfragen heraus, sein Kabinett besteht aus Skandalministern, die schon nach wenigen Monaten ausgetauscht werden müssen, die Arbeitslosenzahlen sind hoch und die Wirtschaftsdaten miserabel. Dennoch hat er eine reelle Chance, im Mai nächsten Jahres wiedergewählt zu werden – mit vernehmlichem Zähneknirschen der Wählerinnen und Wähler. Schlimmstes Szenario: Ähnlich wie 2002 scheidet der sozialistische Kandidat im ersten Wahlgang aus. Sarkozys Gegenkandidatin ist dann Marine Le Pen, die neue Vorsitzende des Front National. Sie kam in einer Internet-Umfrage Anfang März auf 23 Prozent.

Die Linke starrt seit 2007 auf Sarkozy wie das sprichwörtliche Kaninchen auf die Schlange. Damals gewann er mit einer plumpen Kampagne für Recht und Ordnung die Wahl und demütigte die Sozialisten, indem er einige prominente Genossen abwarb, die aus Angst vor drohender Bedeutungslosigkeit dankbar die angebotenen Posten übernahmen. Prominentestes Beispiel war Bernard Kouchner, der bis Ende 2010 Außenminister sein durfte. Nun sucht man verzweifelt nach dem genialen Schachzug, mit dem man den gerissenen Präsidenten schachmatt setzen könnte. Eine charismatische Persönlichkeit fehlt, ein zündendes Programm ebenso. Da die Auswirkungen der Globalisierung auch in Frankreich zu Deindustrialisierung und Arbeitslosigkeit führen, sehen viele das Heil in der »démondialisation« (Entglobalisierung), auch um den Preis der Aufkündigung der Solidarität mit der Dritten Welt. Ebenso werden der Erhalt und der Ausbau staatlicher Betriebe ins Auge gefaßt, bis hin zur (Wieder-)Verstaatlichung. Das Dumme ist nur, daß die extreme Rechte seit geraumer Zeit ähnliche Ideen hat …

»Die dümmste Linke der Welt?« titelte die Wochenzeitung Courrier International Anfang Januar und ließ 20 ausländische Journalisten zum Thema schreiben: »Kraftlos, gespalten, nur mit sich selbst beschäftigt, enttäuschend« war da durchweg zu lesen. Um den großen Traum von 1981 zu wiederholen, würde ein François Mitterrand gebraucht, der imstande ist, die verschiedenen linken Parteien und Strömungen in einer mächtigen linken Front zu vereinigen. Doch ein neuer Mitterrand ist nirgends zu sehen, dafür jede Menge Kandidaten, die sich als dessen Enkel ausgeben. Die sozialistische Partei ist seit der Niederlage 2007 in Flügelkämpfe verstrickt. Die beiden Frauen an der Spitze, Ségolène Royale (Präsidentschaftskandidatin 2007) und Martine Aubry (Parteichefin und Tochter von Jacques Delors), kämpfen mit allen Mitteln um die Gunst der Parteimitglieder. Auf dem Parteitag in Reims 2008 gab es nicht weniger als sechs verschiedene Gruppierungen mit phantasievollen Bezeichnungen, die allesamt der Partei ein neues Programm verpassen wollten. Seitdem hat sich nicht viel getan.

Bis zum 13. Juli läuft die sozialistische Kandidatenkür für die Präsidentschaft. Ségolène Royal hat sich schon beworben, sie will es ein zweites Mal probieren. Auch der beliebte Pariser Bürgermeister Delanoë wird kandidieren, sicherlich die Parteivorsitzende Martine Aubry, die Liste ist offen. Aber da gibt es auch noch DSK. Der derzeitige Präsident der Weltbank, Dominique Strauss-Kahn, hätte bei den Franzosen gute Chancen, Sarkozy zu ersetzen, aber bei den Parteimitgliedern ist er unbeliebt. Er könnte für die PS eine Art französischer Gerhard Schröder werden, ein Genosse der Bosse. Seinen Posten bei der Weltbank verdankt er Sarkozy, seine Sexaffären haben schon fast italienisches Format, und sein Plädoyer für eine spätere Rente steht nicht auf der sozialistischen Agenda. Doch 55 Prozent der Franzosen könnten sich Strauss-Kahn als Präsident vorstellen, nur 31 Prozent Martine Aubry, Ségolène Royale gar nur 25 Prozent. Der unheimliche DSK ist aber nicht nur bei den Sozialisten umstritten. Auch potentielle Bündnispartner würden sich kaum auf ihn einlassen.

Neben der Sozialistischen Partei gibt es immer noch die Kommunisten (PCF), einst mächtigste Partei Frankreichs, die heute bei 2 Prozent liegt. Die Trotzkisten, welche gerade in der »Neuen Antikapitalistischen Partei« (NPA) aufgegangen sind, erreichten 2007 gut 4 Prozent. Neu ist die von ehemaligen Mitgliedern der PS gegründete Linkspartei (PG), welche sich explizit auf ihr deutsches Pendant beruft. Außerdem gibt es noch linke Denkfabriken wie Neue Fortschrittsräume (NEP) des ehemaligen KP-Vorsitzenden Robert Hue, die von einer neuen Volksfront träumt. Der Senator und frühere Bürgermeister von Belfort Jean-Pierre Chévenement gründete 2002 die linke republikanische Bürgerbewegung (MRC), die sich für Basisdemokratie einsetzt. Die Radikale Linkspartei (PRG) ist trotz ihres Namens eher der Mitte als dem linken Spektrum zuzuordnen. Die Moderne Linke (LGM) ist eine sozialliberale Abspaltung der PS, die sich auf Tony Blair beruft und zum Parteienbündnis von Sarkozy zählt.

Ähnlich wie in Deutschland werden auch die Grünen als Bündnispartner einer linken Mehrheit immer gewichtiger. Die französischen Grünen, jahrelang gespalten, haben sich nach ihren Erfolgen bei den Europawahlen (16,3 Prozent) und den Regionalwahlen 2010 (12,2 Prozent) mit tätiger Mithilfe von Daniel Cohn-Bendit erfolgreich zusammengerauft und Ende letzten Jahres zu Europe Ecologie-Les Verts vereint. Wäre der legendäre deutsch-französische Grüne am Ende gar der ideale Kompromiß-Kandidat für ein großes Anti-Sarkozy-Bündnis?– Dazu müßte er neben der deutschen auch die französische Staatsbürgerschaft beantragen. Bis jetzt lehnt er das ab …