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Titel0611

Bemerkungen

Gottgewollt
Kurz nach der ersten Explosion am 12. März im japanischen Kernkraftwerk Fukushima 1 meldete sich Gerda 2 bei Spiegel-Online zu Wort. »Die Gefahren der Kernenergie werden maßlos überschätzt. Zum Teil auch bewußt übertrieben, um Stimmung gegen die westliche Zivilisation zu machen«, hielt sie den Atomkraftgegnern entgegen, die sich in Kommentaren zu der Katastrophe erschüttert und besorgt äußerten. Gerda 2 dagegen bekannte ihre Überzeugung, der Mensch sei schließlich »von Gott begnadet«, sich die Natur untertan zu machen. »Atomkraftwerke sind ein Triumph des Menschen über die ungerechte und unberechenbare Natur. Sie sind letztendlich gottgewollt!«

»Unglaublich«, antwortete daraufhin Online-Nutzer Fischstäbchen in seinem Kommentar und fragte entgeistert: »Wann hatten Sie den letzten Kontakt mit Ihrem Psychiater?«

All das wäre kaum wert, in Ossietzky erwähnt zu werden, hätte der Autor nicht zur selben Stunde bei Focus-online folgende Sätze der Bundeskanzlerin gefunden, mit denen sie bei einer Wahlkampfveranstaltung ebenfalls am 12. März in Frankenthal (Rheinland-Pfalz) auf die Atomreaktor-Katastrophe in Japan reagierte: »Die Vorgänge werden Deutschland nach menschlichem Ermessen nicht beeinflussen. Sie zeigen aber auch, daß es Kräfte der Natur gibt, vor denen wir machtlos stehen und die von uns immer wieder ein Stück Demut erfordern... Wir sollten Ehrfurcht haben vor der Natur, denn wir wissen, daß wir auch ein Stück weit in Gottes Hand sind.«

Wer hätte das gedacht: Also doch nicht in der Hand der Atomlobby und der Elektrokonzerne. Einen Online-Kommentar von Fischstäbchen direkt zur Kanzlerin-Rede habe ich noch nicht gefunden.

Horst Schäfer


Restrisiko
Sicher, es gibt immer ein Restrisiko, aber bei der Atomenergie klingt das Wort kleiner, als die Sache ist. Hier ist eben das Restrisiko größer als das Risiko. Mit Risiken können und müssen wir ohnehin stets leben; mit diesem Rest des Risikos leben wir dann nicht mehr, mit dem letzten Rest, der ja längst kein Risiko mehr ist, sondern wirklich das Letzte, das Allerletzte. Japan ist überall, seit Hiroschima und Nagasaki ganz sicher.

Bei Brecht habe ich gelesen, daß der Mensch aus Katastrophen so viel lerne, wie das Versuchskaninchen von der Biologie. Wird er wieder Recht behalten?
Oskar Ansull


Katastrophenmanagement
Die Natur schlägt zu, die vielgerühmte japanische Hochtechnologie hält dem nicht stand. Mit richtigen Erdbeben sei in der Bundesrepublik nicht zu rechnen, und die Radioaktivität werde nicht bis hierher wehen, sagten die Regierenden in Berlin. Man werde die Sicherheit deutscher Atomkraftwerke jetzt überprüfen, verkündete die Bundeskanzlerin; allerdings sei sie sicher, daß diese Anlagen sicher seien. Die erste Aussage war zur Beruhigung des Volkes gesagt, die zweite zur Zufriedenheit der AKW-Betreiber. Dann wurde rasch nachgebessert: Die Kanzlerin, umrahmt von Ministerpräsidenten ihrer Partei, trat als Bedenkenträgerin auf. Die ganz alten AKWs sollen erst mal stillstehen, dann kann man weitersehen.

Aus Japan kommende dunkle Wolken haben Deutschland nämlich doch erreicht, speziell Baden-Württemberg: Der Landtagswahlsieg der CDU ist dort gefährdet, ihr Mappus als Atomkraft-Fanatiker bekannt. Also mahnen Christ- und Freidemokraten, aus dem Unglück und Elend in Fernost dürfe hierzulande »kein parteipolitisches Kapital geschlagen werden«. Und sie hoffen, daß SPD und Grüne dies doch möglichst plump versuchen; dann können CDU und FDP sie der Schamlosigkeit zeihen und daraus bei Wahlen profitieren.

Auf einen Kollateralnutzen der Schäden in Japan hoffen die Grünen, die wahlpolitische Konjunktur für diese Partei schwächelte vorher etwas. Nun werden die grünen Strategen sich noch mehr Mühe geben, die von Parteien unabhängige und außerparlamentarische Anti-AKW-Bewegung in ihre Arme zu nehmen. Die wird sich vor allzu viel Fürsorge schützen müssen und hoffentlich sich erinnern: Parteipolitiker leiden unter starker Vergeßlichkeit, besonders dann, wenn sie im Regierungsgeschäft stecken.
Marja Winken


Die wahren Opfer
Die Versicherungsindustrie hat Pech. 2010 hat die Münchner Rück, das führende Unternehmen dieser Branche, nur gerade so das bescheidene Gewinnziel von 2,4 Milliarden Euro erreicht und sich dieses Ergebnis auch für 2011 als Ziel gesetzt, wie der Vorstand mitteilte. Konzernchef Nikolaus von Bomhard schränkte in der Presseerklärung aber auch gleich ein, dieses Gewinnziel für 2011 sei »nur erreichbar, wenn die zufallsbedingten Großschäden im weiteren Jahresverlauf unter den durchschnittlichen Erwartungen bleiben«. Das war am 10. März; einen Tag später kommt es zum Erdbeben und Tsunami in Japan, die Aktien von Münchner Rück, Hannover Rück und Schweizer Rück verlieren an Wert. Mit dem schönen Ergebnis wird es am Ende des Jahres vielleicht nichts. Die Börse-Redaktion der Tagesschau weiß dann auch ganz genau, wer die eigentlichen Leidtragenden des Unglücks sind. »Schwerer Schlag für Rückversicherer. Das Erdbeben in Japan erschüttert die ganze Welt. Wirtschaftlich betrachtet, ist es vor allem für die Rückversicherer eine Katastrophe«, titelt man dort.

Da werden wir bald einen Rettungsfond für notleidende Versicherungsunternehmen zu finanzieren haben.
Sebastian Triesch


Grüner Frontgeist
Die Regierungen der EU-Staaten sind sich einig: In Libyen soll interveniert werden, um die eigenen wirtschaftlichen Interessen zu sichern, es geht ums Öl. Aber wie? Da gab es Zank. Eine Flugverbotszone, um Lufthoheit der NATO herzustellen? Der eifrigste Verfechter eines solchen Eingriffs war Daniel Cohn-Bendit, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Europäischen Parlament. Er warb dafür auch im deutschen Fernsehen, demagogisch wie schon in seinen Revoluzzerzeiten: Um höchste Güter sei es ihm zu tun, nicht um Energie-Ressourcen; den »Freiheitskämpfern« müsse man zur Hilfe kommen, da sei bewaffnete Gewalt eben unvermeidlich. Fragen nach den kriegerischen Folgen und den Kollateralschäden eines Flugverbots über Libyen für die dortige Bevölkerung machte Cohn-Bendit ganz autoritär nieder. Die früheren Flugverbote, mit denen die NATO auf dem Balkan und im Irak »regime change« erzwang, betrachtet er als historische Erfolgsleistungen. Wo für freedom and democracy gehobelt wird, da fallen eben Späne, die Durchsetzung der »Zivilgesellschaft« kostet halt Opfer auch unter den Zivilisten. Ein Obergrüner – ganz vorn an der Front, der Propagandafront. Das Schießen besorgen die anderen.
Arno Klönne


Ein Zauberlehrling
»Unsere Toleranz ist zu Ende«, erklärte der Präsident Afghanistans. Die NATO und deren Führungsmacht, die Vereinigten Staaten von Amerika, müßten nun Schluß machen mit ihrem militärischen Engagement am Hindukusch.

Offenbar veranlaßt ihn der Zorn im afghanischen Volk über die Opfer solcher »Freiheitshilfe«, von seinen Protektoren zumindest rhetorisch abzurücken. Die US-Regierung war es, die ihn ins Präsidentenamt brachte; nun zeigt dieser Bursche sich unbotmäßig. Die afghanische Bevölkerung, schon stark dezimiert, läßt sich nicht auswechseln, das weiß man auch in Washington. Also wird man eben einen neuen Mann zum Präsidenten machen müssen; die CIA wird doch wohl jemanden in Reserve haben.
Peter Söhren


Das Spiel ist aus
In Nordrhein-Westfalen dürfen nach einer einstweiligen Verfügung des Landgerichts Köln die »Hartz 4«-EmpfängerInnen nicht mehr am Lottospiel teilnehmen. Der Westdeutschen Lotterie-Gesellschaft wurde untersagt, an diesen Personenkreis Lottoscheine auszugeben. Die juristische Begründung: Ausgaben für Glücksspiele seien nicht Bestandteil der Grundsicherung. Lotto ist also nichts für die Ärmsten der Armen.

Im allgemeinen ist es den Armen gern vergönnt, Lotto zu spielen. Sie sollen jede Woche neu von dem Glück träumen dürfen, das ihnen ein besseres, unbeschwertes Leben bescheren könnte. Dafür müssen sie zahlen und sogar von vorn herein auf die Hälfte ihres Einsatzes verzichten, die dem Fiskus zufließt oder bei der Lotterie-Gesellschaft hängen bleibt; nur die andere Hälfte wird an die Gewinner ausgeschüttet. Wer aber ganz unten angelangt ist, soll nun endgültig ausgeträumt haben.

Jetzt stellt sich nur die Frage, wie die richterliche Verfügung exekutiert werden soll. Wie kann man unerlaubt nach Lotto-Glück begehrende »Hartz 4«-Abhängige dingfest machen? Wird man in ihren Personalausweis ein H eintragen, das sie auch sonst immer an ihren großen Gönner, den Sozialdemokraten und Gewerkschafter Peter Hartz, erinnern würde? Oder denkt man an eine Unterarm-Tätowierung?
Carsten Schmitt


Feddersen, Amendt, Breschnew
Da Jan Feddersen es für nötig hält, in seinem Spiegel-Nachruf auf den vor allem durch seine gescheiten Sex-Bücher bekannten Günter Amendt zu betonen, daß dieser »nichts von einem breschnewhaften DKP-Menschen an sich« hatte, als wäre just das Gegenteil bei »langjährigen Mitgliedern der DKP« die erwartbare Normalität, wollen wir der Öffentlichkeit zur Kenntnis bringen, daß Jan Feddersen nichts von einem haiderhaften Schwulen, aber auch wenig Anstand an sich hat. Es handelt sich um jenen Jan Feddersen, der in der taz, die heute nicht einmal so »links« ist, wie es die Frankfurter Rundschau einmal war, im April 2009 höhnte: »Aber Linke glauben immer noch, die Kämpfe der Sechziger und Siebziger führen zu müssen. Daß der Kapitalismus den Tod verdient, daß überall faschistische Gefahr lauert und bald alles wieder in Trümmern liegen werde, zumal, schreiende Ungerechtigkeit, bald alle Menschen, hier und auf der Welt überhaupt, verhungern werden.« Das ist die fieseste rhetorische Volte überhaupt: Indem er den offensichtlichen Unsinn, daß alle Menschen hier und auf der Welt bald verhungern werden, der Lächerlichkeit ausliefert, suggeriert Feddersen, daß es keine Verhungernden gebe. Da er selbst jedenfalls nicht zu den Verhungernden gehört, spottet er über jene Linken, die »immer noch glauben«, daß das Verhungern ein vermeidbares Übel sei. Es sei denn, sie sind tot, wie Günter Amendt. Da begnügt sich Feddersen mit der Versicherung, dass sie nichts Breschnewhaftes an sich hätten.

Es ist ekelhaft, mit welcher Pawlowschen Reflexhaftigkeit deutsche Journalisten die seit zwei Jahrzehnten nicht mehr existierende Sowjetunion, den Totalitarismus oder andere Schreckensvorstellungen herbeizitieren müssen, wenn sie über jemanden, der nicht ihren Konformismus teilt, einen freundlichen Halbsatz äußern wollen. Nur nicht in den Verdacht geraten, man könne auf sein eigenes Hirn statt auf die Staatslehre bauen. Ob solche Untertanen eigentlich merken, wie breschnewhaft sie aussehen?
Thomas Rothschild


Klis, der Chronist
Mit sinkenden Druckkosten scheinen Romane immer dicker zu werden und auszuufern. Diese Gefahr hat bei Rainer Klis nie bestanden. Miniaturen und Kurzgeschichten waren von jeher seins, und auch sein vierter Roman, der jetzt vorliegt, ist so dicht und ohne jedes überflüssige Wort, daß man genau lesen muß, um aus dem Ganzen ein Lebensschicksal zusammenzubringen: Henry Quast, dem vierunddreißigjährigen Besitzer eines Getränkehandels mit Abitur und acht Semestern Kunstgeschichte und Deutschstudium, geht plötzlich alles verloren: Geliebte, Ehefrau, die Größe seines Geschäft, die Stammkneipe und ein Lebensgefühl, das ihm bisher Halt und Selbstbestätigung gab. Scheinbar begonnen hat es mit der Einstellung eines neuen Mitarbeiters, des ehemaligen Legionärs Nagel. Folglich, meint Quast, ist der auch schuld an seinem Abstieg, seiner Einsamkeit. Quast ist ein kleinkarierter, unsympathischer Durchschnittsbürger und Zeitgenosse, unfähig, die Schuld bei sich zu suchen. Bei der Schilderung des Geschehens um Quast und Nagel, die Exfrau und die Exgeliebte und die anderen Angestellten des Getränkehandels in einer süddeutschen Kleinstadt zeigt sich Klis als ein unbestechlicher Chronist, der Menschen durchschauen und bloßstellen kann. Seine Romane nebeneinander gestellt ergeben ein Panorama der Zeit. Neu ist: Er hat sich hier an einen »Wessi« gewagt.
Christel Berger
Rainer Klis: »Laus im Pelz«, Plöttner Verlag, 134 Seiten, 14,90 €


Press-Kohl
Alice freut sich über jedes kraftvolle deutsche Wort, das sie in der Zeitung findet: »Ein 36jähriger Beamter sackt zusammen. Das Projektil hat den linken Oberschenkel gestriffen.«

Doch das Vergnügen über den vom Projektil gestriffenen Beamten, der zusammensackte, bleibt nicht ungetrübt, denn Mordkommissionsleiter Zehnpfennig erklärte dem Berichterstatter: »Der gestohlene Ford ist nicht in Berlin gemeldet.«

Gemeldet? Gemolden!
Felix Mantel