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Titel614

Lalulá mit Ticha  (Klaus Nilius)

Februar, der Monat, in dem ich diese Zeilen schreibe, ist vom Namen her der rituelle Sühne- und Reinigungsmonat, auf Latein: Mensis Februarius. Er ist aber auch schlichtweg der »Putzmonat«, mit dem das altrömische Jahr endete. Oder bei uns, im Jetzt, das allmähliche Aus für die dunkle Jahreszeit. Der Frühjahrsputz hat zu beginnen, frei nach dem Motto »klares Licht durch klare Scheiben«.

Das war auch der Auftrag an die Magd Zäzilie: »Zäzilie soll die Fenster putzen,/ sich selbst zum Gram, jedoch dem Haus zum Nutzen.«

1905 hat Christian Morgenstern seine Zäzilien-Gedichte in den »Galgenliedern« veröffentlicht. Dieses Dienstmädchen ist keine witz-kompatible komische Minna-Figur. Zwar ist sie eine Untergebene, eine Sub im Neusprech, aber mit eigenem Kopf. Als ihre Herrin verlangt, man müsse nach getaner Arbeit durch die Fenster »so durchsehen können, daß man nicht genau/ erkennen kann, ob dieser Fenster Glas/ Glas oder bloße Luft ist«, als dieses schier Unmögliche aber nicht zu erreichen ist – alle Hausfrauen und -männer werden zustimmen, spätestens nach dem ersten Sonnenstrahl auf die scheinbar blank gewienerten Scheiben – wagt Zäzilie die Rebellion und greift zum Hammer: »Zuletzt ermannt sie sich mit einem Schrei –/ und schlägt die Fenster allesamt entzwei!«

Welche Folgen das hat? Ja, das lesen Sie am besten selbst in dem neuen, wunderschönen Halbleinenband »Alle Galgenlieder«, erschienen in der edition Büchergilde zum 100. Todestag Morgensterns am 31. März 2014. Hier treffen Sie das ganze Morgensternsche Panoptikum, zum ersten Mal oder erneut: Das große Lalulá, den Zwölf-Elf, das Mondschaf, den Raben Ralf, den Schlittschuh laufenden Seufzer, das Nasobem, das Huhn in der Bahnhofshalle, die Möwe, die Frauen mit Namen Emma ähnelt, das ästhetische Wiesel, das Galgenkind, den Gingganz, Palma Kunkel und natürlich Palmström.

Das Prädikat »wunderschön« aber bekommt diese Ausgabe erst und vor allem durch die 63 farbigen Illustrationen des experimentierfreudig-originellen Hans Ticha. Für fast alle DDR-Verlage hatte er in vormaliger Zeit Bücher verschönert, und schon in der damaligen BRD war er bei der Büchergilde Gutenberg beheimatet.

So wie von Ticha illustriert, hätte Morgenstern sich vielleicht seine Figurenwelt vorgestellt. Kongenial, wie Ticha den Nachtwindhund das Neumondweib jagen, das Vierviertelschwein tanzen und das Perlhuhn seine Perlen zählen läßt. Und endlich sehen Sie, wie Palmström von einem Kraftfahrzeug überfahren wird – was aber nur ein Traum sein darf, denn Sie kennen ja sicherlich die zum geflügelten Wort emanzipierten Schlußzeilen des Gedichts: »Weil, so schließt er messerscharf,/ nicht sein kann, was nicht sein darf.«

Christian Morgenstern: »Alle Galgenlieder«, illustriert von Hans Ticha, edition Büchergilde, 368 Seiten, 28 €