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Titel616

Für und wider den satirischen Ernst  (Wolfgang Helfritsch)

Satire war schon immer ein heißes Thema, das man nicht ernst genug nehmen kann. An mittelalterlichen Höfen kam es weiland schon mal vor, dass Narren für treffenden Spott um eine Kopflänge verkürzt wurden. Auch in unseren bewegten Zeiten können satirische Äußerungen wieder kreuzgefährlich sein. So manchem Spötter haben sie in jüngster Vergangenheit die aktuellen physischen oder zumindest psychischen Befindlichkeiten deutlich erschwert. Und dennoch: Spätestens seit Charlie Hebdo und Schüssen in Restaurants und Imbissbuden fühlen sich Theoretiker und Praktiker der Satire geradezu zu Wortmeldungen genötigt.


Harald Vogel, emeritierter Professor für Deutsche Sprache und Literatur und ihre Didaktik, Spiel- und Theaterpädagogik, Initiator der Esslinger Lyrikbühne und einst Gründungsvorsitzender der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft, bemüht zum Thema keine Geringeren als die Klassiker der deutschen Satire im 20. Jahrhundert: Kurt Tucholsky und Erich Kästner. Er greift dabei weit über ihr satirisches Werk und ihre Beiträge im engeren literarischen Sinne hinaus und weit in ihre Biografien hinein. Und bei aller Differenziertheit kommt der gebürtige Dresdener dabei schlecht weg, obwohl es dem Autor Vogel »weh tut, Kästner wehzutun«. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass beide Ikonen nicht nur Weltbühne-Autoren unter irgendwelchen anderen waren, sondern dass sie den Inhalt und den Charakter des Periodikums vor allem in den Zwanzigern entscheidend mitprägten und deshalb von der Reaktion (nicht von der Redaktion!!) als Nestbeschmutzer beschimpft wurden.


Vogel unternimmt es, das satirische Verhalten beider Schriftsteller in der Korrespondenz mit ihren Lebensumständen und ihrer Lebensführung zu interpretieren. Und auch daraus leitet er neben ihrer unterschiedlichen bürgerlichen Herkunft – die Schere zwischen Spieß- und Besitzbürgertum hat halt ihre individuellen Spezifika – und trotz beider Abneigung gegenüber den zu ihren Schreibzeiten herrschenden Systemen sowie dem gemeinsamen Nazi-Scheiterhaufen für ihre Werke eine abweichende Konsequenz und Schärfe ihrer Texte ab. Ob man dabei der Tucholsky-Einschätzung über Kästner »Da pfeift einer, im Sturm, bei Windstärke 11 ein Liedchen« folgen will, muss der Leser selbst entscheiden.


Ich kann mich auch nicht der verallgemeinerten Bewertung anschließen, dass Kästner »die Satire als politisches Instrument … nicht so recht gelingen will« (S. 96). Dem steht beispielsweise die erschütternde »Wahre Begebenheit« im Wege, die Kästner als Feuilleton-Redakteur in der Neuen Zeitung vom 26. August 1948 veröffentlicht hat. Und sein Protest gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr Anfang der 1960er Jahre sowie seine Rede im Zirkus Krone offenbaren eine andere Position als sein mitunter als Abducken bezeichnetes Verhältnis zum »Dritten Reich«.


Harald Vogel nimmt Kästner jedoch nicht die These ab, er hätte sich aus Sorge um seine Mutter in die »innere Emigration« verzogen. Noch wesentlich schwerer fällt ins Gewicht – da stimme ich ihm uneingeschränkt zu –, dass Kästner in seiner Vorstellungsrede vor dem PEN seine schweigende Hinnahme des Naziregimes und seine unter Pseudonymen gestattete Autorenschaft schönredete und sich selbst als von den Nazis überrumpelt empfand. So naiv kann er nicht gewesen sein.


Mit seinem kritischen Vergleich legt Vogel ein Buch vor, das bei Kästner-Liebhabern und Fans – und nicht nur in der Dresdener Region – durchaus auch auf Ressentiments stoßen wird. Für seinen Mut und die Tiefe der Recherchen ist dem Autor jedoch zu danken und dem Verlag Ille & Riemer für die Aufnahme in seine Wissenschaftsreihe nicht minder.

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Wie Harald Vogel nehmen die Satiriker Heiko Werning und Volker Surmann mit ihren unter dem Titel »Ist das jetzt Satire oder was?« ausgewählten »Beiträgen zur humoristischen Lage der Nation« gleichfalls das Thema Satire zur nachdenklichen Brust. Die Titelfrage wird jedoch ungenügend abgeklärt.


Die Herausgeber bedienen sich an die vierzig geschriebener und gezeichneter satirischer Glossen, die die Feststellung Tucholskys, die Satire dürfe alles, theoretisch und mit aus dem bunten aktuellen Leben geschöpften Beiträgen in unterschiedlichen Klangfarben kommentieren.


»Wenn man ein Buch über Satire macht«, stellen die Herausgeber fest, »kommt man um diesen Satz nicht herum.« Das mag sein, aber der Satz ist nicht alles, was Theobald Tiger über diese provokative Gattung des Frohsinns der Nachwelt zum Fraß hinterlassen hat. »Die Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt die große Landsknechtstrommel gegen alles, was stockt und träge ist«, trompetet Peter Panther. Ignaz Wrobel gibt dagegen zu bedenken, dass die Satire »auf der Höhe einer Fußbank steht«. Dem aufmüpfigen Autor Tucholsky innewohnten also nicht nur fünf Namen, sondern auch mehrere Nuancen. Er ermuntert die Satire, spürt aber ihre Grenzen und beklagt, dass sie nicht nur die »Gerechten«, sondern auch die »Ungerechten« erwischt.


Soweit, so gut, und so gut, so mutig. Die Streubreite der Autoren ist vielfältig und erleichtert die Kurzweil, nicht immer jedoch das Verständnis. Bereits im Vorwort danken die Herausgeber allen Textern und stellen fest, dass das Buch ohne sie anders aussähe. Dieser satirischen Anmerkung ist nicht zu widersprechen. Leider wird nicht versucht, nach einer einheitlichen Interpretation für Satire zu suchen, was sicher mit unterschiedlichen Definitionen in Nachschlagewerken ebenso zu tun hat wie mit divergierenden Auffassungen oder mangelnder Schärfentiefe von Autoren.


Nach Herrn Meyer, ja, dem aus Leipzig mit den dicken Erklärbänden, kommt der Begriff aus dem Lateinischen, ist Femininum und bezeichnet eine »Dichtung, die durch zuspitzende Übertreibung von Schwächen und Fehlern den Widerspruch zwischen hohem Anspruch und historischer Überholtheit bestimmter historischer Erscheinungen aufdeckt und diese dadurch verspottet« (»Meyers Universal-Lexikon«, Band 3, VEB Bibliographisches Institut Leipzig 1981). Demzufolge ist die Satire Bestandteil der künstlerischen Widerspiegelung der Welt und nicht des brausenden Lebens selbst. Eine definitive Abgrenzung von und zu Satire, Realsatire, Witz, Ironie, Komik, Humor, Spott, Parodie, Häme und anderen inhaltlich verwandten Begriffen erfolgt im Lexikon nicht. Der Versuch wäre zwar schwierig, aber sinnvoll und nötig. Ob man ihn vom vorliegenden Kompendium erwarten kann, mag dahingestellt sein.


In der Publikation von Werning/Surmann kommt der Versuch der definitorischen Abgrenzung jedoch partiell vor, so bei Sebastian Krämer, der schildert, wie und wo man im täglichen Leben der »Realsatire« begegnet. Auch auf Anselm Nefts Beitrag »Schock der Woche« über den zum Islam konvertierten Henryk M. Broder trifft das zu.


Es stünde der Sammlung und allen, die sich mit Satire beschäftigen, gut zu Gesicht, sich in dem hervorragenden Kompendium »Sich fügen – heißt lügen« umzuschauen, in dem Reinhard Hippen und Ursula Lücking 1981 zusammenstellten, was Fachleute von Lichtenberg und Schiller bis zu Finck, Kühn und Kittner an Interpretationen über Satire hinterlassen haben (»›Sich fügen – heißt lügen‹: 80 Jahre deutsches Kabarett«, Deutsches Kabarett Archiv Mainz).


Nichtsdestotrotz enthält das Buch viele kluge Gedanken und originelle Ansichten zum Thema und macht auch vor einem volksnahen Meinungsaustausch mit dem lieben Gott nicht halt (Ahne: Zwiegespräche mit Gott, S. 34). Andere Beiträge, so der von Markus Liske, bewegen sich parallel zum Thema auf Feuchtgebieten, so in der Auseinandersetzung mit dem Bild-Kolumnisten F. J. Wagner. Das ist zwar amüsant, kommt aber der Antwort auf die Frage, was Satire darf, auch nicht unbedingt näher.


Dass Satire »alle mit Dummheit Infizierten treffen soll«, wie das Vorwort artikuliert, scheint mir zu kurz gegriffen. Auf mich wirkt das Büchlein zu oberlehrerhaft. »Wir wissen Bescheid«, vermitteln Herausgeber und Autoren dem Leser mit Augenzwinkern. Und dem Verbraucher entfährt dazu ein verlegenes »Jaja, so isset!«. Für die vorliegende Sammlung ist den Herausgebern und den Autoren dennoch grundsätzlich und nicht zuletzt aktueller Umstände wegen zu danken.

 

Harald Vogel: »Was darf die Satire? Kurt Tucholsky und Erich Kästner – ein kritischer Vergleich«, Verlag Ille & Riemer, ilri Bibliothek Wissenschaft, Bd. 13. 156 Seiten, 19,80 €; Heiko Werning, Volker Surmann (Hrsg.): »Ist das jetzt Satire oder was? Beiträge zur humoristischen Lage der Nation«, Satyr Verlag Volker Surmann, 192 Seiten, 13,90 €