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Titel619

Für und über den Sozialismus schreiben  (Elke Lang)

»Die 60er Jahre waren politisch, die 80er Jahre ästhetisch die aufregendsten.« Das war das Fazit, das die drei Autoren Isabelle Lehn, Sascha Macht und Katja Stopka im Januar auf der Burg Beeskow bei der Vorstellung ihres im vorigen Jahr erschienenen Buches »Schreiben lernen im Sozialismus. Das Institut für Literatur ›Johannes R. Becher‹« zogen. 1965 zum Beispiel fand das 11. Plenum des ZK der SED statt, in dessen Folge es vor dem Hintergrund des späteren Prager Frühlings im Institut (IfL) zahlreiche Disziplinarverfahren und Exmatrikulationen gab. Nach der Biermann-Ausbürgerung 1976 »wollte man sich vom politischen Auftrag abgrenzen«, erklärte Isabelle Lehn. »Ein Klima des Experimentierens entstand.« Das konnte auch Angelika Weißbach für die bildende Kunst bestätigen. Sie arbeitet an der wissenschaftlichen Inventur des Kunstarchivs Beeskow, das Auftragskunst der DDR beherbergt.

 

Die Aufgabe des 1954 durch das Ministerium für Kultur gegründeten IfL war, wie es im Vorwort heißt, »Schriftsteller dahingehend auszubilden, für und über den Sozialismus zu schreiben«. 1955 nahm das Institut seinen Betrieb auf, 1958 erhielt es den Status Kunsthochschule und 1959 den Namen Johannes R. Becher. In Beeskow berichten die Buchautoren, dass es ihnen darum ging zu erkunden, »wieviel Freiheiten hat man sich herausgenommen beziehungsweise herausnehmen können«. Das arbeiteten sie im Buch sowohl chronologisch als auch thematisch ab. Die Fragestellung fließt ein in die Porträts bedeutender Lehrer, darunter Georg Maurer, und bekannt gewordener Studenten: Heinz Czechowski, Sarah und Rainer Kirsch, Andreas Reimann, Karl Mickel und der proletarische Schriftsteller Werner Bräunig, der unter politischen Druck geriet und nach steilem Aufstieg jäh fiel. Als Direktoren werden der widersprüchliche Alfred Kurella und Max Walter Schulz vorgestellt.

 

Das IfL, in dem zeitweise so markante Dozenten wie Hans Mayer, Ernst Bloch, Victor Klemperer, Wieland Herzfelde und eben Georg Maurer lehrten, ist in Ost und West in literaturgeschichtlichen Handbüchern allenfalls am Rande erwähnt. Das mit Fördergeldern des Freistaates Sachsen und der Deutschen Forschungsgemeinschaft entstandene Buch ist also eine erste Analyse der kulturpolitischen Einflüsse, der Bestimmung der ästhetischen Qualität, der gesellschaftlichen Relevanz und der Einordnung des Instituts in die DDR-Literaturlandschaft. Das IfL wird gern abwertend als Kaderschmiede des Sozialismus bezeichnet, war aber lange Zeit die einzige hochschulartige Einrichtung im deutschsprachigen Raum überhaupt, die sich der Erlernbarkeit des literarischen Schreibens widmete.

 

Ohne ideologische Wertungsabsichten wird in den Studien dargestellt, wie man mit den schreibenden Arbeitern zurechtkam, für die es ab der 1. Bitterfelder Konferenz 1959 eine Aufnahmequote gab, und wie man sich durch das IfL eine gezielte Einflussnahme auf die DDR-Literatur erhoffte im Kampf gegen Formalismus und für realistisches und volksverbundenes Volksschaffen nach dem Vorbild der Sowjetunion. Aber die Wirklichkeit sah anders aus. Zwar gab es viele Studierende, deren Namen man heute nicht mehr kennt, die ihren »volkspädagogischen Auftrag als Sprachrohre des Staates« gehorsam erfüllten. Jedoch entsprachen bei weitem nicht alle Studierenden dem Idealbild, denken wir an Helga M. Novak und Katja Lange-Müller zum Beispiel. So drohte bereits in den späten 1960ern die Schließung wegen des Verdachts der »konterrevolutionären Gruppenbildung«. Zu den prominenten Studenten bereits des ersten Jahrgangs zählten solche aufmüpfig-kritischen Schriftsteller wie Adolf Endler, Erich Loest, der aus Westdeutschland gekommene Ralph Giordano und der Österreicher Fred Wander. In den undogmatischen 80er Jahren setzten sich durch Freundschaften und Netzwerke die Studenten mit der Leipziger Off-Literatur-Szene in Verbindung. Solche Leute wie Thomas Rosenlöcher, Sascha Anderson, Thomas Böhme, Stefan Döring, Uwe Kolbe und Bert Papenfuß traten auf den Plan und trieben die Umbrüche in der Literaturlandschaft der DDR voran.

 

Mit dem IfL war eine sozialistische Kaderschmiede beabsichtigt, aber das Ergebnis muss letztendlich wesentlich differenzierter betrachtet werden, was dieses Buch auch leistet. Nach der Abwicklung, die am 12. Dezember 1990 durch die Sächsische Landesregierung in Dresden beschlossen wurde, äußern sich viele Absolventen durchaus positiv zu ihrer Studienzeit. Nach 32 Jahren hielt beispielsweise Katja Lange-Müller fest, dass sie am IfL »die Befähigung zu einem produktionsästhetischen, analytischen Zugriff auf literarische Texte« gelernt habe. Für Heinz Czechowski waren die Seminare, welche von der »Lichtgestalt« Georg Maurer von 1955 bis 1970 gehalten wurden, eine »Sternstunde«. Helmut Baierl schätzte, dass man »guten Rat, Wissen und Handwerk« bekam, und Till Sailer, der 1979/80 einen Sonderkurs absolviert hatte, erfuhr als Schriftsteller: »Eine Ausbildung am Becher-Institut bedeutete einen Statusgewinn – galt sie doch als Talentnachweis und Siegel solider literarischer Fähigkeiten.«

 

Obwohl die Autoren zugeben, dass Lehrverfahren und Ausbildungsziele durchaus mit der heutigen Praxis vergleichbar und aus dem IfL bedeutende Schriftsteller hervorgegangen sind, erkennen sie die Berechtigung der Schließung des Instituts für Literatur »Johannes R. Becher« an. Als Begründung wird mit fehlender Bereitschaft, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen und nennenswerte Reformen am Haus durchzuführen, argumentiert. Das ist vielleicht am Ende der ansonsten verdienstvollen Arbeit, die für die heutige Lehrpraxis »nachgenutzt« werden und zu Anschlussuntersuchungen anregen soll, doch ein bisschen zu eng gedacht. Die Neugründung erfolgte 1995 als Deutsches Literaturinstitut Leipzig.

 

Isabell Lehn/Sascha Macht/Kaja Stopka: »Schreiben lernen im Sozialismus. Das Institut für Literatur ›Johannes R. Becher‹«, Wallstein Verlag, 600 Seiten, 34,90 €