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Corona, Homeoffice und das Arbeitsrecht (1)  (Marcus Schwarzbach)

Homeoffice für Microsoft- oder Ernst-&-Young-Beschäftigte, »Büroverbot wegen Coronavirus« meldet www.gruenderszene.de vom Arbeiten zuhause in Start-up-Unternehmen. Die Technik erleichtert ein Arbeiten in der Wohnung, Personalmanager nutzen dieses Instrument, um Unternehmensnachteile durch das neue Virus zu vermeiden. Oft ist zu hören, dass Kranke oder Angestellte unter Quarantäne zuhause arbeiten. Krank ist krank, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall – vor 50 Jahren von Arbeitern per Streik erkämpft – als Pflicht des Unternehmens, all das gilt anscheinend nicht mehr in der modernen Arbeitswelt. Corona wird so zum Angriff auf Arbeitsschutzrechte genutzt.

 

Arbeiten zuhause ist derzeit ein Trend – Kritisches dazu wollen auch Gewerkschaften kaum hören: »DGB fordert Recht auf Arbeit von zu Hause«, meldet die Zeit. Dabei sorgt das Thema in der Praxis durchaus für Probleme fernab von der Corona-Hysterie.

 

»Wir nennen das mobile Arbeit, sonst muss unser Arbeitgeber noch die Ausstattung bezahlen«, erklärt mir ein Betriebsrat. Das »Wir« zeigt, dass das besondere Interesse der Unternehmer kaum wahrgenommen wird. Die Probleme beginnen allerdings schon bei der Bezeichnung. Der Gesetzgeber spricht von »Telearbeit«. Diesen Begriff vermeiden die Unternehmensverbände möglichst. Denn nach Arbeitsstättenverordnung hat das Unternehmen »die benötigte Ausstattung des Telearbeitsplatzes mit Mobiliar, Arbeitsmitteln einschließlich der Kommunikationseinrichtungen« zu leisten. Dies passt nicht in die unternehmerische Logik, mit »Open Space«-Konzepten zu sparen. Denn damit sollen Miet- oder Baukosten sowie Inventarkosten gesenkt werden. Beschäftigte haben keinen ständigen Arbeitsplatz mehr im Betrieb, sondern sind dort nur noch zeitweise anwesend und arbeiten ansonsten »mobil«. Am einfachsten zuhause, ohne dass das Unternehmen die Arbeitsplatzgestaltung bezahlt. So wird auch die Pflicht zu einer Gefährdungsbeurteilung umgangen, die fehlerhafte Arbeitsmittel oder Stress bei jedem Beschäftigten ermitteln würde.

 

Rechtsfreie Räume in ihrem Sinne finden Manager gut – auch die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes bezüglich Pausen und Achtstundentag werden von Unternehmen bewusst ignoriert. »Homeoffice verleitet Arbeitnehmer zu Überstunden«, erklärt Yvonne Lott von der Hans-Böckler-Stiftung. Eine Studie der Stiftung bestätigt die Gefahren für die Gesundheit, vor allem durch fehlende Trennung zwischen Arbeit und Freizeit: »Wer im Homeoffice tätig ist, kann abends oft nicht abschalten. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei 45 Prozent und damit mehr als doppelt so hoch wie bei Beschäftigten, die nie zu Hause arbeiten. Offenbar verschwimmen die Grenzen zwischen den Lebensbereichen bei dieser Arbeitsweise besonders leicht.«

 

Immer mehr Beschäftigte können »dank flexibler Arbeitsformen wie Homeoffice und mobiler Arbeit« Arbeitsort und Arbeitszeit »frei wählen«, meldet das Forschungsprojekt Digitrain 4.0 (»Die sechs Gefahren der digitalen Arbeitswelt«, unter: www.haufe.de). Was Selbstbestimmung zu verheißen scheint, findet in Wirklichkeit ohne Einfluss auf Arbeitsmenge und Personalplanung statt. In der Folge müssen »sich Beschäftigte auch in ihrer Freizeit verstärkt mit Arbeitsthemen auseinandersetzen und ständig erreichbar sein«. Sechzig Prozent der Führungskräfte geben an, dass die Grenze zwischen Beruf und Privatleben durch die Digitalisierung verschwimmt: »Entgrenzung lässt Work-Life-Konflikt entstehen« – so beschreiben die Forscher, dass Unternehmen die Trennung von Arbeit und Privatleben in Frage stellen.

 

Eine weitere Forderung verbinden Unternehmen mit Homeoffice: Verzicht auf die Zeiterfassung. Rechtlich ist Arbeit zuhause aber keine Begründung für »Vertrauensarbeitszeit«. Nach § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz ist der »Unternehmer« (!) verpflichtet, die über acht Stunden hinausgehende tägliche Arbeitszeit aufzuzeichnen. Selbst der Europäische Gerichtshof sagt klar, Arbeitszeiterfassung ist Grundvoraussetzung fürs Arbeiten, egal wo.

 

Für die Kapitalseite geht es aber um mehr: die Arbeitszeit soll noch mehr im Unternehmensinteresse gestaltet werden. Ulrich Goldschmidt, Vorsitzender des Verbandes Die Führungskräfte e. V., findet, durch »betriebliche Regelungen im Einzelfall« werde »besser auf die Bedürfnisse der Beschäftigten« Rücksicht genommen »als durch allgemeine gesetzliche Regularien«. Goldschmidt möchte die Möglichkeiten, zuhause zu arbeiten, für einen Angriff auf den Arbeitsschutz nutzen: »Deswegen sollte der Gesetzgeber vielmehr überprüfen, ob die bestehenden Gesetze, zum Beispiel das Arbeitszeitgesetz, noch zu unserer heutigen Arbeitswelt passen.«

 

Auch die Weiterbildung ist ein Bereich, in dem Unternehmer ihre Pflichten mehr und mehr auf die Beschäftigten verlagern. In vielen Unternehmen wird von den Angestellten erwartet, eigenständig Seminareinheiten zu organisieren. »Um den beruflichen Anforderungen der sich rapide entwickelnden digitalen Arbeitswelt sowie künftigen Arbeitsformen und -modellen gerecht zu werden, wird von den Beschäftigten mehr Übernahme von Verantwortung, mehr kooperatives Lernen und mehr Selbstlernen gefordert«, formuliert der Unternehmensberater Ernst Tiemeyer in der Fachzeitschrift Computer und Arbeit. E-Learning per Internet neben der eigentlichen Arbeit während des normalen Arbeitsablaufs einzuschieben, ist nicht praxistauglich, da es an ungestörten Lernzeiten fehlt. Egal, ob im Betrieb oder im Homeoffice. Aber der Kapitalseite spart es Kosten.