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Wider das Informationsmonopol des Pentagon  (Joachim Guilliard)

In den deutschen Medien ist es normal geworden, über die Iraker zu reden statt mit ihnen. Reichlich Gelegenheit, mit ihnen zu reden, bot die internationale Irakkonferenz Anfang März in Berlin (s. Ossietzky 6/08), wo zum Beispiel die Schriftstellerin Haifa Zangana, einst Opfer von Repressionen unter Saddam Hussein, erschütternd darstellte, wie drastisch sich in den vergangenen fünf Jahren seit dem Einmarsch der US-Truppen die Lage der irakischen Frauen verschlechtert hat; kürzlich hat sie ihre Erfahrungen in dem Buch »Stadt der Witwen« (Verlag Seven Stories Press, New York) veröffentlicht. Auch Wissenschaftler, Politiker, US-Soldaten und Journalisten wirkten an dem umfangreichen Programm mit.

Doch die meisten Medien legten keinen Wert auf Informationen aus erster Hand. Sie blieben der Konferenz fern.

Dem Spitzenmanager Jürgen Todenhöfer, einst als junger CDU-Politiker durch stramm rechte Sprüche bekanntgeworden, gelang es, am fünften Jahrestag des Kriegsbeginns den Kontrapunkt zur üblichen (Nicht-)Berichterstattung zu setzen. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Burda-Konzerns war im vergangenen Jahr undercover in den Irak gereist, um Betroffene des Krieges zu befragen; er hat darüber ein brillantes Buch geschrieben.

Sein fünfzehnminütiger Auftritt in der Talkshow von Johannes B. Kerner, in der er sein Buch vorstellte, erschien mir als das Beste, was in den letzten Jahren im deutschen Fernsehen über den Irak gesendet worden ist. Schon der kurze Filmvorspann überraschte mit Informationen, die uns das Fernsehen sonst vorenthält. Zum Beispiel wurde von den verheerenden Luftangriffen der Besatzungstruppen berichtet, über die man hierzulande nichts erfahre, und ohne Umschweife wurde erwähnt, daß man inzwischen von mehr als einer Million Todesopfern des Krieges ausgehen müsse.

Nichts, was die Zuschauer aktuell auf den Bildschirmen sehen, so Todenhöfer anschließend im Gespräch, vermittle ihnen auch nur ansatzweise ein realistisches Bild vom Geschehen im Irak. Von den durchschnittlich einhundert Angriffen der US-Truppen pro Tag – Schießereien, Razzien, Bombardierungen – zeige das Fernsehen nichts. Auch nichts von den einhundert Aktionen des bewaffneten Widerstandes gegen die Besatzungskräfte. Zu sehen gebe es nur die zwei, drei Selbstmordanschläge von Al Qaida auf Zivilisten, also von Terrorgruppen, die mit dem Widerstand überhaupt nichts zu tun hätten und von den Irakern noch mehr verabscheut würden als von uns.
Er erzählte die Geschichte von Zaid, der Hauptperson seines sehr persönlich gehaltenen Buches. Zaid ist ein 22jähriger Student, der nie etwas vom Krieg wissen wollte und sich dem Widerstand erst anschloß, nachdem wie schon sein erster auch sein zweiter Bruder von US-Soldaten getötet worden war – verblutet auf der Straße, vor den Augen der ganzen Familie, weil das anhaltende Feuer US-amerikanischer Heckenschützen jede Hilfe verhinderte.

Das Gespräch drehte sich schließlich um einen anderen Teil seines Buches, in dem sich Todenhöfer gegen den »war against terror« des Westens und die westliche Politik gegenüber den islamischen Ländern generell wendet. Terroristen hätten in den letzten 20 Jahren etwa 5.000 Zivilisten ermordet, aber George Bush habe im Irak Hunderttausende töten lassen. Es sei daher eine »unglaubliche Überheblichkeit«, von der »Gewalttätigkeit der muslimischen Welt« zu reden, das größte Problem heute sei »vielmehr die Gewalttätigkeit einiger westlicher Länder«. Die Lebenslüge, in der wir leben, sei die Vorstellung »Wir sind die Guten, die Hilfreichen«. Der Westen habe nicht die Welt erobert, weil er großartigere Ideen oder überlegene Werte hatte, sondern weil er gnadenlos Gewalt angewandt habe – schließlich waren es nicht Muslime, die durch den Kolonialismus 50 Millionen Menschen umbrachten, zwei Weltkriege anzettelten oder den Holocaust verübten.

Zur Sprache kam auch der Rassismus gegenüber der islamischen Welt: Deren Bewohner würden im Westen oft wie »Untermenschen« behandelt, sagte Todenhöfer. Wie die Berichterstattung über zivile Opfer von Luftangriffen zeige, zähle das Leben eines Irakers offenbar weit weniger als das eines Amerikaners oder Europäers.

So fundiert und pointiert wie Todenhöfers Auftritt bei Kerner ist auch sein Buch, das sicherlich die aktuell tiefschürfendste Darstellung der Situation im Irak bietet. Vor diesem Buch veröffentlichte er schon zwei andere, in denen er sich bemühte, den Opfern westlicher Kriegspolitik ein Gesicht zu geben. Er fuhr in das besetzte Land, um die andere Seite des Krieges zeigen zu können, die Brutalität des Besatzungsregimes, die Zerstörungen, das Elend. Und er machte das, was die meisten Journalisten vermeiden: Er sprach mit den Betroffenen und läßt in seinem Buch diejenigen zu Wort kommen, die in den westlichen Medien nur als Feinde erscheinen.

Da ist zum Beispiel ein ehemaliger Professor der Universität Bagdad. Der väterlich und sehr würdig wirkende 42jährige Schiite mit dem Decknamen Mohammed ist Führer einer vereinigten Widerstandsgruppe aus Nationalisten, Baathisten und gemäßigten Islamisten und eine prominente Führungspersönlichkeit des Widerstands. Er schloß sich wenige Wochen nach der US-geführten Invasion dem Widerstand an, weil ihm die Demütigungen und Gewalttätigkeiten, die er und seine Umgebung erleben mußten, keine andere Wahl ließen.

Oder Yussuf, der genauso aussieht, wie man sich im Westen einen muslimischen Widerstandskämpfer vorstellt. Doch Yussuf ist einer der vielen Christen im Widerstand, die sich ebenso selbstverständlich wie Manichäer, Sabier, Yeziden und andere Minderheiten gegen den »Terrorismus der christlichen Besatzer« wehren. Auch zahlreiche Frauen seien im Widerstand. Zudem sei es völlig normal, daß Christen, die fliehen müßten, von sunnitischen oder schiitischen Familien aufgenommen würden und umgekehrt Christen auch Muslimen Zuflucht gewährten. Mehr als die Hälfte der ursprünglich 1,5 Millionen Christen seien jedoch mittlerweile vor der Gewalt der Besatzer und der islamistischen Extremisten nach Syrien geflohen, der Rest unterstütze den Widerstand.

Yussuf verhehlt nicht, daß es Iraker gibt, die Anschläge auf Zivilisten verüben. Dies bleibe kaum aus, gibt er zu bedenken, wenn man Menschen jegliche Hoffnung nehme. Zudem habe die Besatzung sunnitische und schiitische Extremisten nach oben gespült – mit der Folge, daß nun vielerorts auch Christinnen gezwungen seien, den Schleier zu tragen.

Abu Bassem, der vornehme Gastgeber eines Treffens mit Führern des Widerstands, nennt Todenhöfer »den ersten Westler, der nicht mit einem Hubschrauber oder Schützenpanzer der US-Armee nach Ramadi« gekommen sei und seine Nächte nicht in den »zubetonierten Militärcamps« verbringe. Die meisten westlichen Journalisten ließen sich die Geschehnisse im Irak fast ausschließlich von US-Offizieren erklären. Damit habe das Pentagon faktisch ein Informationsmonopol. Das sei »so, wie wenn man 1943 als Journalist mit deutschen Truppen ins besetzte Polen gereist wäre und dann im Vertrauen auf die Redlichkeit deutscher Presseoffiziere über die Situation der polnischen Bevölkerung geschrieben hätte«. Nicht ein einziger Journalist habe in den Jahren seit Beginn der Besatzung in Ramadi mit dem Widerstand gesprochen – obwohl er neben den US-Truppen die stärkste militärische Kraft im Irak sei.

Mohammed, der ehemalige Professor und heutige Guerillaführer, ist sehr gut über die Vorgänge und Diskussionen im Westen informiert, kritisiert im Einzelnen die westliche Politik gegenüber dem Irak und skizziert, was zur Beendigung der Besatzung und für die Zeit danach geschehen müsse. Die Vorschläge sind nicht neu, auf der Irakkonferenz wurden sie in ähnlicher Weise vorgestellt. Es steht zu hoffen, daß sie durch dieses Buch größere Verbreitung erfahren.

Todenhöfer, der ehemalige Rechtsaußen der CDU, der politisch einen weiten Weg hinter sich hat, weiß, daß er trotz seiner Prominenz und seines privilegierten Zugangs zu den Medien einen schweren Stand haben wird. Er hat daher alle Aussagen so gut wie möglich gegenrecherchiert und seine Schilderungen mit ausführlichen Zusatzinformationen und Quellenangaben unterlegt. Dieser Anhang macht insgesamt 48 der 335 Seiten aus. Zum fünften Jahrestag des Krieges schaltete Todenhöfer zudem doppelseitige Anzeigen in der FAZ, der New York Times und Al-Quds Al-Arabi, in denen er seine zehn im Buch veröffentlichten Thesen wider die westliche Ignoranz und Hegemonialpolitik vorstellte.

Die meisten Medien nahmen auch das, was er unter erheblichen Gefahren zusammentrug, bisher kaum wahr. Dennoch schaffte es sein Buch in kurzer Zeit unter die ersten zehn der Bestsellerlisten. So wird sich hoffentlich fortsetzen, was seit längerem zu beobachten ist: Trotz einer völlig einseitigen, verfälschenden Berichterstattung über den Irak wie auch über Afghanistan nimmt die Zahl derer, die diese Kriege ablehnen, stetig zu.

Jürgen Todenhöfer: »Warum tötest du, Zaid?«, C. Bertelsmann Verlag, 336 Seiten, 19.95 € (s. www.warumtoetestduzaid.de)