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Finanzkrise, Beschäftigungskrise  (Werner Rügemer)

Die Finanz- und Wirtschaftkrise erscheint bisher als Krise der Reichen. Die Banken sind die systemrelevanten Sorgenkinder des Staates. »Private Equity«-Investoren, sprich »Heuschrecken«, können ihre Kredite bei der Deutschen Bank nicht mehr zurückzahlen. Wirtschaftsmedien beklagen den Rückgang der Zahl der Milliardäre und die Vermögensverluste der Millionäre. Milliardenschwere Familienunternehmen wie Merckle und Schaeffler, die sich durch hohe Kredite und Firmenübernahmen verzockt haben, strapazieren durch Selbstmorde und öffentliche Bettelgänge den Gefühlshaushalt der Nation. Spitzenmanagern soll sogar zugemutet werden, zukünftig auf ein paar Millionen an Boni zu verzichten. Für diejenigen jedoch, die bei Beginn der Krise schon arm und arbeitslos waren, hat sich erst einmal nichts geändert. Ihre Krise dauert schon länger: Sie bleiben arm und arbeitslos. Und die bekannten Praktiken bei Hartz IV gehen weiter.

Aber die Krise schafft viele neue Arbeitslose, und mehrere hunderttausend Beschäftigte müssen sich mit Kurzarbeitergeld begnügen. Für 2010 wird im Vergleich zu 2008 mit etwa einer Million mehr Arbeitslosen gerechnet. Damit gerät die Bundesagentur für Arbeit in eine prekäre Finanzlage. Sie verliert Beitragszahler und Beitragseinnahmen. Gleichzeitig braucht die Agentur mehr Geld für die vielen neuen Arbeitslosen und Kurzarbeiter.

Für das laufende Jahr rechnet die Agentur mit einem Defizit von neun Milliarden, für das nächste Jahr von 14 Milliarden Euro. Weil sich durch die Bankenrettung der Staat zusätzlich verschuldet, ist es fraglich, ob er den jährlichen Zuschuß an die Agentur – bisher acht Milliarden – weiter wird aufbringen können.

Arbeitslose, vor allem die Dauerarbeitslosen, haben jetzt noch weniger Aussicht, wieder in Arbeit zu kommen. Die Arbeitslosigkeit derer, die schon vor der Krise arbeitslos waren, wird also noch länger dauern. Und damit wird auch das Leben unter Hartz IV noch länger dauern.

Der Sozialarbeitsprofessor Thomas Münch nennt Hartz IV eine Exklusionsmaschine. Sie wird noch brutaler wirken.

Die millionenfache Armut wird von Wirtschaft und Staat als Dauerzustand nicht nur akzeptiert, sondern rigoros reguliert, und zwar auf einem Niveau unterhalb der Armutsgrenze, nicht nur in finanzieller Hinsicht. Arbeitslose sind nach dieser Logik nicht systemrelevant.

Die Exklusionsmaschine schließt sie von Kultur und Kommunikation aus, stürzt sie in einsame Verzweiflung, macht sie krank, verkürzt die Lebenszeit. Hartz IV schließt auch von üblichen Rechten aus. Arbeitslose müssen Ein-Euro-Jobs annehmen. Dann arbeiten sie, aber sie haben keinen Arbeitsvertrag. Sie arbeiten in der ambulanten Pflege armer Rentner, beim Reinigen öffentlicher Parks. Sie verteilen ausgemusterte und gespendete Lebensmitteln bei der Armenspeisung der Tafeln, sie sortieren Abfälle in Recyclinghöfen. Die Sozialwissenschaftlerin Irina Vellay nennt das den Kreislauf des Abfalls.

Die Exklusionsmaschine Hartz IV wird ihre lautlosen Greifarme noch rücksichtsloser um die Ausgeschlossenen legen. Und wird zur Einschüchterung von Beschäftigten und Betriebsräten dienen – wenn sich nicht doch etwas ändert.