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Kriegsjubiläum im Supergedenkjahr  (Ralph Hartmann)

Im Supergedenkjahr 2009 blieb in den Medien wenig Raum für die Behandlung eines Jubiläums, das ohne Mauerfall und »friedliche Revolution« undenkbar wäre: des zehnten Jahrestages der ersten Teilnahme der Bundesrepublik Deutschland an einem Krieg. Im kunterbunten Gedenkmarathon blieb der NATO-Überfall auf Jugoslawien am 24. März völlig unterbelichtet, obwohl doch deutsche Kampfflugzeuge mit dem Balkenkreuz am Rumpf in der ersten Staffel geflogen waren und den Luftgeschwadern der USA und anderer Aggressorstaaten den Weg freigeschossen hatten. Damals, nach der zunächst monetären und dann politischen »Wiedervereinigung« des Jahres 1990 und nach vielen Zwischenschritten, vor allem in Bosnien, war Deutschland endlich zur »Normalität« zurückgekehrt und konnte sich am Terrorkrieg gegen einen souveränen Staat beteiligen.

In den tonangebenden Medien wurde das einschneidende historische Ereignis nicht oder nur am Rande behandelt. ARD-Tagesschau und -themen, für Millionen Bürger eine der wichtigsten Informationsquellen, verzichteten gleich ganz auf seine Erwähnung. Ausführlich berichteten sie über die vierte »Berliner Rede« des Bundespräsidenten, die dieser exakt am Kriegsjubiläumstag hielt, ohne diesen, gewiß aus bloßer Vergeßlichkeit, auch nur mit einem Wort zu erwähnen. Die FAZ, publizistischer Wegbereiter deutscher Kriegsteilnahme, beschränkte ihre Jubiläumswürdigung auf eine Vorstellung des Buches »Die Kuckucke von Velika Hoca«, in dem Peter Handke einen Besuch in der serbischen Enklave dieses Namens in Kosovo (s. Ossietzky 15/07) literarisch reflektiert. Der Dichter hatte die Zeitung einst »Serbenfreßblatt« genannt, wofür sich diese nun mit einer wenig freundlichen Rezension revanchierte. Der Spiegel war noch sparsamer, er verschwieg den Jahrestag völlig. Gleichermaßen verhielt sich die Boulevardpresse, die ihre große Leserschar offenbar vor der Erinnerung an den schrecklichen Krieg und die deutsche Beteiligung bewahren wollte. So widmete die Bild-Zeitung dem Jubiläum keine einzige Zeile. Doch dieses Informationsdefizit glich sie aus. Auf der Titelseite, auf der im Frühjahr 1999 angebliche Greueltaten der serbischen Soldateska, denen die NATO nicht tatenlos zusehen dürfe, beherrschende Themen waren, erinnerte am 24. März 2009 eine barbusige blonde Schöne an die Fußball-Europameisterschaft, und der »ZDF-Professor History« wurde mit dem Spruch »Knopp ist top« zum Gewinner des Tages gekürt.

Ja, die History geht ihre eigenen Wege. Der Siegesjubel nach den 78tägigen Terrorangriffen ist längst verklungen, und in einigen Medien, vor allem in Hörfunksendungen, haben sich Zweifel breitgemacht. Im NDR meinte ein Kommentator mit Blick auf den Bombenkrieg, es werde »eine ganze Reihe von Fragen wohl immer umstritten bleiben. Etwa die, ob die Luftangriffe ohne UN-Mandat überhaupt zulässig waren«. Im Deutschlandfunk wurde gar mehrfach daran erinnert, daß der NATO-Angriff auf Serbien ohne UN-Mandat erfolgte, und ebenfalls eingeschätzt, daß »auch zehn Jahre nach dem Kosovo-Krieg die Argumente und Gründe für das Eingreifen der NATO ... umstritten (bleiben)«. Zu diesem »Eingreifen« vertrat der damalige Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, General Naumann, im gleichen Sender allerdings einen klaren Standpunkt: »Das ist legitim, wenn es auch nicht ganz legal gewesen sein mag.« Wahrlich eine gelungene Umschreibung für kriminell, rechts- und völkerrechtswidrig.

Doch der General kann zufrieden sein. Die meisten Blätter, die den Jahrestag einer Betrachtung für würdig erachteten, stimmten mit ihm darin überein, daß der Krieg alternativlos war. Dabei wurden die alten Lügen neu aufgelegt: Dem Krieg sei die angebliche »Aufhebung des Autonomiestatus (Kosovos) durch das Milosevic-Regime 1989« (Die Welt), »die nationalistische Politik ... im Kosovo, das wieder rein serbisch werden sollte« (NDR), die »Verfolgung und Vertreibung der Albaner« (Deutsche Welle) vorausgegangen. Den Vogel schoß Die Zeit ab, die den Terrorkrieg mit der »Unterdrückung, Vertreibung und Ermordung im Kosovo«, der »serbischen Ausrottungspolitik«, der »Vernichtung der Albaner im Kosovo« rechtfertigte. Lauter Erfindungen der Kriegspropaganda.

Nur die Fabel vom »Nichtkrieg« erlebte keine Neuauflage. Dabei war die unmittelbar nach Beginn des Überfalls über Funk und Fernsehen an die »lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger« gerichtete Erklärung von Bundeskanzler Schröder »Wir führen keinen Krieg, aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen« so wunderbar und einmalig, daß sie in die Geschichte eingegangen ist und zu Recht im Neuen Deutschland und in der jungen Welt gerade zum Jubiläum in Erinnerung gerufen wurde. Und der Kanzler stand nicht allein. Die deutschen Tornado-Piloten waren schon mehrmals »heil und unversehrt« von ihren Bombenflügen zurückgekehrt, da wies Außenminister Fischer am 26. März 1999 vor dem Parlament »den Vorwurf, daß wir hier von deutschem Boden aus eine Politik des Krieges betreiben«, »mit Nachdruck zurück«. Tags darauf beteuerte Verteidigungsminister Rudolf Scharping gegenüber der Frankfurter Rundschau: »Ich habe große Probleme mit dem Wort Krieg in diesem Zusammenhang«, und sein Staatssekretär Stützle rüffelte einen ARD-Journalisten, weil dieser das Wort »NATO-Bombardierungen« gebraucht hatte. Stützle klärte auf: »Es geht nicht um militärische Einsätze, sondern es geht in der Tat um den politischen Versuch, das Morden im Kosovo zu beenden« – und zwar nicht mit Bombardements, sondern mit »Luftschlägen«.

Nach dem »Nichtkrieg« allerdings klang es anders. Einen Tag nachdem in New York mit der Sicherheitsratresolution 1244 der unerklärte Krieg de facto für beendet erklärt worden war, mußte man nicht mehr lügen. Sieger kennen keine Scham. Im Bundestag priesen Fischer und Scharping den gewonnenen Krieg. »Dies war kein Krieg als Mittel der Politik, sondern dies war ein Krieg, damit der Krieg als Mittel der Politik in Europa dauerhaft zugunsten der Herrschaft des Rechts und des Gewaltverzichts der Vergangenheit angehört«, beteuerte der Außenminister – nicht ganz originell. Schon der britische Premierminister Lloyd George hatte den völkermörderischen Ersten Weltkrieg nachträglich als »Krieg, um alle Kriege zu beenden«, bezeichnet. Auch Scharping stimmte in den Fischer-Jubelruf ein: »Es ist ein Krieg zu Ende gegangen, der die Chance beinhaltet, Menschenrechte und Menschenwürde sowie die Bedingungen, die man dafür braucht, wirklich zu sichern.« So klopften die Minister einander auf die Schulter, und der für Äußeres teilte seine großen Blumensträuße, weiße Rosen und weiße Lilien, die ihm Parteifreunde überreicht hatten, mit dem für Militärisches und dem freudestrahlenden Kanzler.

Eineinhalb Jahre danach kam es zu einer Neuauflage der Jubelveranstaltung. In Belgrad waren die Sozialistische Partei Serbiens und Präsident Slobodan Milosevic mit Hilfe einer erpresserischen Sanktionspolitik der NATO und einer massiven materiellen und personellen Wahlhilfe der USA und der Bundesrepublik gestürzt worden, da trat der Bundestag erneut zu einer Sonderdebatte »Zur Situation in Jugoslawien« zusammen und feierte den »Sturz der letzten kommunistischen Bastion in Europa« schlankweg als Ergebnis des NATO-Krieges. Nach den Worten des Debatten-Hauptredners Fischer war der Angriffskrieg, er umschreibt ihn vornehm als »Eingreifen«, »richtig« und »notwendig«; ohne ihn »hätte es garantiert nicht einen Sieg der Demokratie in Belgrad gegeben«.

Das deutsche Vaterland kann stolz darauf sein, auch militärisch zu diesem »Sieg der Demokratie« beigetragen zu haben. Doch leider auch zum zehnten Jahrestag des Kriegsbeginns erfuhren die Deutschen nicht, welche Ziele ihre heldenhaften Piloten in den ECR- und Recce-Tornados attackiert, was sie mit ihren HARM-Raketen zerstört, wieviele Serben sie sofort oder mittelbar durch Ausschaltung der Flugabwehr getötet haben. Auch die Namen unserer löwenherzigen Flieger und ihre jeweiligen Kriegsverdienste wurden – wie ungewöhnlich doch für die deutsche Kriegsgeschichte – weiterhin der Öffentlichkeit vorenthalten. Dabei wäre doch gerade das zehnjährige Jubiläum ein würdiger Anlaß gewesen, ihnen durch unseren Superverteidigungsminister Jung oder gar die Kanzlerin selbst das im Vorjahr gestiftete »Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit« zu verleihen, das am schwarz-rot-goldenen, mit Eichenlaub verzierten Band getragen wird. 1941, als deutsche Sturzkampfbombe Jugoslawien bombardierten, hieß der Orden »Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes mit Eichenlaub«.

Wenn die Massenmedien lügen, mag man Trost in der Hoffnung suchen, die Historiker würden dereinst alles richtigstellen. Im Schulbuch »Expedition Geschichte« für die Klasse 9 aus dem Diesterweg Verlag, herausgegeben von Florian Osbureg, liest man nun: »Der Luftkrieg der NATO, an dem erstmals auch deutsche Soldaten teilnahmen, konnte die Massaker und die Vertreibung hunderttausender Kosovo-Albaner nicht verhindern. Eine internationale Friedenstruppe (KFOR) sichert seit 1999 die Waffenruhe.« Ob das die Version ist, die sich durchsetzen wird? K.P../E.S.