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Sichtbare Zeichen – wofür?  (Conrad Taler)

Was wäre wohl passiert, wenn jemand bei der Beratung des Gesetzes über die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung abwehrend gefragt hätte: Wie oft wollen wir uns denn noch mit dem Unrecht der Vertreibung beschäftigen? Die Mehrheit des Hauses hätte ihm zumindest Hartherzigkeit gegenüber den Betroffenen vorgeworfen. Als der FDP-Abgeordnete Jörg van Essen bei der Beratung eines Antrages zur Rehabilitierung der sogenannten Kriegsverräter abwehrend fragte: »Wie oft wollen wir uns denn noch mit den Schandurteilen aus der NS-Zeit beschäftigen«, regte sich bei der Mehrheit kein Widerspruch.

Seit Gerhard Schröder für das vereinte Deutschland eine neue Rolle in der Weltpolitik reklamiert hat, wächst die Unlust an der Beschäftigung mit der Nazivergangenheit. Neben dem routinemäßigen Bedauern der Opfer des Holocaust tritt mehr und mehr das Gedenken an die eigenen Opfer, so als müßte gleichgezogen werden bei der Bilanzierung der Geschichte und der zu verteilenden Opferlast. Die Gleichmacherei stößt allerdings rasch an ihre Grenzen; zu stark sind die von Deutschen begangenen Verbrechen im kollektiven Gedächtnis der europäischen Völker verankert. Das zeigte sich während der Steueroasen-Diskussion, als Jean-Claude Juncker deutsche Kritik mit dem Hinweis auf die Besetzung Luxemburgs durch deutsche Truppen beantwortete, wie auch jetzt während der Debatte über die Finanzkrise Griechenlands.

In einem bei PapyRossa erschienenen Sammelband beleuchten Historiker, Politikwissenschaftler und Publizisten kritisch einzelne Aspekte der Umorientierung des Erinnerns. Sein Titel: »Sichtbare Zeichen – Die neue deutsche Geschichtspolitik – von der Tätergeschichte zur Opfererinnerung«. Mit dem »Sichtbaren Zeichen gegen Vertreibung«, dem »Einheits- und Freiheitsdenkmal« oder dem »Ehrenmal« für die Toten der Bundeswehr würden zur Zementierung eines veränderten Geschichtsbildes neue Erinnerungsorte geschaffen.

Für die umstrittene Vertreibungsstiftung bestand der geringste Anlaß. In Deutschland stehen nämlich schon rund 1.400 Denk- und Mahnmäler, die an das Leid der Vertriebenen erinnern. Der Versöhnung mit den Nachbarn in Ostmitteleuropa hat das Vorhaben nur geschadet.

Auch das Gedenkstättenkonzept des Bundes versucht Unvereinbares miteinander zu vereinbaren, indem es die Erinnerung an die Opfer der Nazi-Diktatur mit dem Gedenken an die Opfer der SED-Diktatur über einen Kamm schert, so als hätte es keinen Unterschied gegeben zwischen dem millionenfachen Mord an unschuldigen Menschen unter der Nazi-Herrschaft und dem banalen Kleinkrieg gegen die eigenen Landsleute in der DDR. Gegen diese »Waagschalen-Mentalität« haben sich die Opferverbände der rassisch und politisch Verfolgten zu Recht entschieden verwahrt, weil dadurch die beispiellosen Verbrechen der Nazis verharmlost werden.

So wenig sich die deutsche Geschichte mit der Geschichte der einst von Deutschland überfallenen Völker harmonisieren läßt, so wenig läßt sie sich auf einen gemeinsamen – am Ende gar heroischen – Nenner bringen, den ein Denkmal symbolhaft zum Ausdruck bringt. Das ist wohl auch der Grund dafür, daß 13 Jahre nach dem Beschluß des Bundestages zum Bau eines »Freiheits- und Einheits-Denkmals« die konzeptionelle Ausrichtung den Eindruck eines »überhaupt nicht oder nur schlecht zu realisierenden Gemischtwarenladens« macht, wie der Verfasser des Beitrages über dieses Vorhaben sich ausdrückt.

Unter den insgesamt zehn Essays nimmt ein verstörender Beitrag über den offiziellen Umgang mit dem 20. Juli eine Sonderstellung ein. Der Landesgeschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstverweigerInnen Berlin-Brandenburg, Frank Brendle, behauptet darin, unter den Verschwörern hätten sich einige der »größten Massenmörder der NS-Zeit« befunden, die keine Würdigung verdienten. Statt an der Ehrung »antisemitischer Wehrmachtsoffiziere« und »reaktionärer Nationalisten« teilzunehmen, sollte sich Die Linke lieber um deren Opfer kümmern.

Ganz unpolemisch, aber deswegen nicht weniger kritisch wird in einem anderen Beitrag das Versagen der Nachkriegsjustiz gegenüber der personellen und gesetzlichen Hinterlassenschaft des braunen Unrechtsregimes unter die Lupe genommen: Entgegen den Prinzipien des Grundgesetzes sei versucht worden, die NS-Diktatur in einen Rechtsstaat umzudeuten. Damit habe man die Voraussetzung für die Übernahme der Nazirichter in den Staat des Grundgesetzes geschaffen.

Wer die üblichen Lobreden über den demokratischen Musterknaben Bundesrepublik auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen möchte, findet in diesem Buch eine Fülle von Fakten, ohne deren Kenntnis eine sachliche Bewertung der deutschen Nachkriegsgeschichte unmöglich ist. Das gilt besonderes auch für den ideologischen Hintergrund, vor dem sich das Nachkriegsgeschehen abspielte. Dieser Hintergrund ist geblieben.

Jan Korte / Gerd Wiegel (Hg): »Sichtbare Zeichen – Die neue deutsche Geschichtspolitik – von der Tätergeschichte zur Opfererinnerung«, PapyRossa Verlag, 170 Seiten, 12.90 €