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Titel072013

Diesmal ein Zweihunderter  (Kurt Pätzold)

Nicht seine Schatten, wohl aber seine Bücher wirft in diesen Tagen der 200. Jahrestag der Befreiungskriege voraus, die der napoleonischen Herrschaft über Europa ein Ende setzten. Zwar ist dessen viel besungener Auftakt, die dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. am 3. Februar 1813 abgerungene Allerhöchste Kabinetts-Ordre, welche die Bildung sogenannter Freikorps erlaubte, ohne ein besonderes Medienspektakel vorübergegangen. Doch muß und wird das nicht so bleiben. Denn daß Redakteure und Journalisten von Rundfunk, Fernsehen und Presse einen geheimen Pazifistenbund gebildet haben, daran ist nicht zu glauben. Und der Gelegenheiten, an geschichtsträchtige Tage jenes Jahres zu erinnern, kommen hierzulande noch viele. Im März drängen sie sich. Zunächst der, an dem im Breslauer Schloß die Stiftungsurkunde des Eisernen Kreuzes die königliche Unterschrift erhielt. Drei Tage später der »Aufruf an mein Volk«, eine schon in der Überschrift ungewöhnliche Äußerung seiner Majestät – gleichen Tages die Weisung zur Aufstellung der Landwehr, die die 17- bis 40jährigen ohne die bis dahin geltenden vielen Ausnahmen zum Kriegsdienst verpflichtete. Im April dann eine weitere, in der für spezielle Kriegsfälle die Formierung des Landsturms gefordert wurde, gleichsam der letzten männlichen Reserve am Orte, die alle erfassen sollte, die das 60. Lebensjahr noch nicht überschritten hatten.

Und dann folgen die 200. Schlachtentage. Wie alljährlich bereiten sich die Aktivisten im brandenburgischen Großbeeren auf das lustige Kriegnachspielen ohne Tote und möglichst auch ohne Blessuren vor, mit dem sie sich und gaffendes Volk an jene Kämpfe im August 1813 erinnern, durch die den Truppen des Franzosenkaisers der Plan zur erneuten Eroberung Berlins verdorben wurde. Bald darauf, Anfang September, ist Dennewitz an der Reihe. Und dann im Oktober: Leipzig! Wo Biwaks für die aus vieler Herren Länder zusammenströmenden Kämpfer eingerichtet werden und ein besonderes gar für die, welche ihre Pferde mitbringen. Da wird wieder und nicht zum letzten Mal Geschichte »bewältigt« werden. Nicht auf eigentlich deutsche Art. Denn bei derlei Spielen unterhalten sich Männergruppen auch jenseits unserer Grenzen und der Weltmeere.

Stunden der Historiker sind das eben nicht, wohl aber Gelegenheiten für allerlei Verklärungen, für Legenden und Mythen. Im Fall von 1813 knüpfen sie sich an Sprüche wie »Der König rief, und alle, alle kamen«, »Das Volk steht auf, der Sturm bricht los«, »Gold gab ich für Eisen« und weitere ähnlichen Inhalts. Da kommt das Buch der Kärntner Historikerin Alexandra Bleyer gerade recht, deren erklärte Absicht ein Beitrag zu der noch keineswegs vollends erledigten Arbeit ist, die Propagandaschleier von den Ereignissen zu nehmen. Ihre Aufmerksamkeit gilt, eben hat sie an der Universität Klagenfurt ihre Dissertation dazu vorgelegt, besonders der österreichischen Kriegspropaganda des Jahres 1809. Doch dieser Band greift fragend und antwortend auch nach Spanien und nach Rußland und immer wieder nach Preußen. Es ist dieser Gesichtswinkel, nicht die Neuigkeit ihres Gegenstandes und ihrer Antworten, der das Buch durch die immer wieder angestellten Vergleiche prägt. Durch sie wird deutlich, daß der Wunsch, in Frieden zu leben und nicht auf Schlachtfeldern oder in Massakern von Besatzungssoldaten zugrunde zu gehen, zu verhungern oder an Seuchen zu sterben, den Menschen aller Zungen eigen war. Nicht, daß es Enthusiasmus, Begeisterung, Kampfes- und Todesmut nicht gegeben hätte, mit denen vorwiegend junge Männer ahnungslos zu den Waffen griffen. Nicht, daß nicht auch Frauen sich zu den Truppen begaben und dort unerschrocken verschiedenste Hilfsdienste leisteten. Aber für alle, die an den Kriegen teilnahmen, die Motive und Antriebe der Minorität geltend zu machen, das ist auch nach den Zeugnissen der Autorin schwer länger möglich. Die präsentiert nämlich anhand von Briefen, Tagebüchern und Erinnerungen Geschichtsquellen, die von Angst, Zwang, Lockung und Drohung bei der Formierung der militärischen Formationen handeln, dazu von Fluchten vor den Werbern und Fängern und von Desertionen en masse. Und sie läßt wenig von dem Mythos übrig, daß die in den Krieg Hineingeratenen sämtlich von Vaterlandsliebe und Nationalgefühlen geleitet und von jenen anfeuernden Appellen erreicht wurden, welche die Herrschenden an sie richteten. Weltenfern waren die Gefühle der Eltern, Frauen und Bräute der Soldaten von jenem Ungeist, der aus Jean Pauls 1813 geschriebenem Aufsatz spricht »Die Schönheit des Sterbens in der Blüte des Lebens und der Traum von einem Schlachtfelde«.

Und dann ist da die Charakteristik der Presse und ihrer Rolle, die kaum jemand höher ansetzte als Napoleon. Bleyer hat ihr Fazit an anderer Stelle in drei Sätze gefaßt: »Denn wer die Macht hat, tut fast alles, um die Medien und damit die öffentliche Meinung zu beherrschen. Napoleon stand am Anfang. Ein Ende ist nicht abzusehen.« Dem ließe sich nach dem Lesen des Buches, das beide belegt, ein vierter und fünfter anfügen: Und es ist, vom Technischen abgesehen, an Inhalten und Methodiken wenig dazugekommen. Die eigenen sind die Guten, die anderen die Bösen.

Alexandra Bleyer: »Auf gegen Napoleon. Mythos Volkskriege«, Primus Verlag, 262 Seiten, 24,90 €