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Titel716

Rückkehr eines Folterers  (Hartwig Hohnsbein)

Nein, es handelt sich bei dem Rückkehrer nicht um den Ex-US-Präsidenten unseligen Angedenkens und Freund des Waterboardings, George W. Bush, der als Unterstützer seines jüngeren Bruders Jeb, der auch einmal US-Präsident werden wollte, vorübergehend auf die politische Bühne zurückgekehrt war, erfolglos. Desgleichen handelt es sich bei dem Rückkehrer auch nicht um den bulligen Donald Trump, weil der bisher noch nicht die Möglichkeit hatte, als staatlicher Folterer tätig zu werden. Im Falle seiner Wahl zum neuen US-Präsidenten allerdings, so versprach er laut dpa dem Wahlvolk, werde er das Waterboarding wieder einführen und dazu »noch viel schlimmere Foltermethoden«. Dem schloss sich der andere republikanische Präsidentschaftskandidat mit guten Wahlchancen an: Ted Cruz, ein fundamentalistischer Christ der Südlichen Baptisten. Nach ihren Aussagen wollen die beiden Kandidaten als Präsident »das Christentum beschützen« beziehungsweise »Gott die Ehre geben« (www.idea.de). Das haben fundamentalistische Christen in der Geschichte immer schon auf ihre Weise praktiziert. Wenn sie Macht hatten, geschah das meist mit Gewalt und Terror gegen Andersdenkende und Anderslebende. Die Verfolgung jüdischer Mitbürger ist nur ein Beispiel.

Gott die Ehre zu geben und seine »Majestät« mit allen Mitteln zu beschützen – mit dem Strafrecht und mit der Folter –, das war auch das Anliegen des Mannes, der nun, 350 Jahre nach seinem Tode, wieder zurückgekehrt ist, nicht leiblich selbstverständlich, sondern in Form seines Geistes, der, wie er in seiner »Hexenlehre« selbst lehrte, immer so real wie der Körper sein könnte. Sein Name: Benedikt Carpzov der Jüngere, 1595–1666.


Carpzov wurde in Wittenberg, der Lutherstadt, als Spross einer weitverzweigten Gelehrtenfamilie aus Theologen und Juristen geboren. In Wittenberg herrschte damals an der Universität die lutherische Orthodoxie. Die besagte, dass jedes einzelne Bibelwort, weil vom Heiligen Geist persönlich eingegeben, irrtumslos richtig und für alle Bereiche des Lebens verbindlich sei. Man nannte das »Inspirationslehre«; heute müsste man von »Fundamentalismus« sprechen. Dieser Fundamentalismus begleitete und bestimmte Carpzov sein Leben lang. Nach einem Jurastudium in Wittenberg, Leipzig und Jena wurde er schon 1620 Mitglied des »Leipziger Schöppenstuhles«, einer Art Oberlandesgericht, war Professor an der dortigen Juristenfakultät, zeitweise auch Geheimrat in Dresden und vor allem Verfasser zahlreicher Schriften, unter denen ein relativ frühes Werk seinen Ruhm als ein »in ganz Europa unvergleichlicher Rechtsgelehrter« begründete: das »Strafrecht nach kurfürstlich-sächsischer Praxis«, 1635. Das Werk erläuterte und erweiterte in drei Teilen mit insgesamt 1481 Seiten die Vorschriften des ersten deutschen Strafgesetzbuches, der »Carolina« von 1532, und der »Kursächsischen Kriminalordnung« von 1572 und diente im 17./18. Jahrhundert deutschlandweit als Handbuch zur Durchführung von Strafprozessen, besonders auch in unzähligen Hexenprozessen. Carpzov, der fundamentalistische Christ, hatte von seinem geistlichen Gewährsmann Luther, einem üblen Hexenverfolger, auf den er sich immer wieder berief, den unabänderlichen Auftrag aus 2. Mose 22 Vers 17 gelernt: »Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen!« Und so galt für ihn: Das Netz derer, die mit dem Teufel ein Bündnis hätten, zu zerstören und die Teuf-lischen, die »Malefici ac Sagae«, auch wenn sie keinen Schaden angerichtet haben, zu einem Geständnis zu bringen, in der Regel mittels Folter. Danach wurden sie verbrannt oder, was als Gnade galt, öffentlich enthauptet – zur Ehre Gottes und zur Erhaltung der göttlichen Weltordnung im Himmel und auf Erden Das ist der Kern seines gesamten Strafrechtes. Man könnte es auch die »lutherische Scharia« nennen.


Wer heute von Carpzov als dem angeblich »großen Leipziger Ordinarius«, mehr noch: als dem »neben Eike von Repgow vielleicht größten sächsischen Juristen« spricht – der muss immer wieder an dessen religiös begründete Folterbejahung erinnert werden. Schon dadurch hat sich Carpzov selbst zu einem erbärmlichen Gelehrten gemacht. Schlimmer noch: Dadurch hat er auch die verunglimpft, die schon zu seiner Zeit die wahnwitzigen Hexenprozesse und die schändliche Folterpraxis anzweifelten und bekämpften: den Arzt Johann Weyer, später den Landpfarrer Anton Praetorius und den Jesuitenpater Friedrich Spee, furchtlose Männer, die dabei ihr eignes Leben riskierten und dennoch den Weg zur Menschlichkeit im Gerichtswesen und in der Gesellschaft bereiteten. Hätte er sich mit all seinem Ansehen auf ihren Weg eingelassen: Er wäre wahrlich ein Großer in der Geschichte der Universität Leipzig, des Landes Sachsen, ja des Abendlandes geworden. Jedoch: Er wollte mit seinem Hauptwerk auch ihre Stimmen zum Verstummen bringen, vor allem die Stimme Johannes Weyers. Deshalb wurde er von den Aufklärern, allen voran von Christian Thomasius, für die Folgezeit zu Recht geächtet!


In unseren Tagen soll Carpzov wieder in den Stand der Ehre gebracht werden. Das begann 1996 mit einem Symposium zu seinen Ehren in Leipzig und Halle, wofür die Stiftung Volkswagenwerk die Mittel gegeben hatte. Im Jahre 2001 benannte dann die Stadt Leipzig eine Straße nach diesem meisterlichen Folterbefürworter um, die bis dahin den Namen des ermordeten kommunistischen Widerstandskämpfers Walter Heise getragen hatte. Jetzt war die Universität Leipzig auch wieder stolz auf »einen ihrer bedeutenden Söhne« – auf Benedikt Carpzov. Da muss nun wahrlich dringend an das Wort des Leipziger Christian Thomasius erinnert werden, der einst Benedikt Carpzovs juristisches Gebäude aus Hexenwahn und Folterpraxis zum Einsturz brachte: »Es urteile ein jeder, der nur ein wenig Verstand hat ..., ob es einem so vornehmen Rechtsgelehrten nicht höchst schimpflich sei, der in einer so ernsthaften und wichtigen Sache andere zu hintergehen und zu betrügen sucht ...« (so Ines Brenner, Gisela Morgenthal in: Becker u. a., »Aus der Zeit der Verzweiflung. Zur Genese und Aktualität des Hexenbildes«, 1977).


Diese »so ernsthafte Sache«, das meint die »Hexenverfolgungen«, die »mit Ausnahme der Judenverfolgungen die größte nicht kriegsbedingte Massentötung von Menschen durch Menschen in Europa« war (Gerhard Schormann im Artikel »Hexen« im »Theologischen Reallexikon«, 1986) und der in Deutschland 50.000 Menschen zum Opfer fielen, unschuldige Menschen, zu 80 Prozent Frauen.


Eine apokalyptische Vision: Mr. Trump, Mr. Cruz und Mr. G. W. Bush treffen mit Professor Carpzov zusammen. Sie sprechen von neuen Kreuzzügen gegen die Bösen, die Schurken der Welt, und sie loben die Folter zu deren Enttarnung. Da ruft Professor Carpzov ihnen das Wort aus 2. Mose 22 zu: »Die Teuflischen sollt ihr nicht am Leben lassen.« Da ist es höchste Zeit, diesen »Heiligen Kriegern« die Entschließung der Vereinten Nationen zum Schutz vor Folter vom 9. Januar 1976 entgegenzuschleudern. Sie beginnt mit den Worten: »Die Generalversammlung nimmt die dieser Entschließung als Anhang beigefügte Erklärung über den Schutz aller Personen vor Folter und anderer grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Strafe als Leitprinzip für alle Staaten und sonstigen Machtorgane an.«

Der Artikel nimmt Material für ein Interview mit Hartwig Hohnsbein im radio blau, dem freien Radio von Leipzig, am 17. Februar auf, abzurufen unter https://www.freie-radios.net/75292. Zur Hexenverfolgung sei auch auf Hartwig Hohnsbeins Artikel »Die Hölle – das war das Kloster« in Ossietzky 16/2013 hingewiesen.