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Titel716

Berliner Theaterspaziergänge  (Jochanan Trilse-Finkelstein)

Ja, kleiner Mann, was nun – heute und hier? Diese Frage hatte der deutsche Schriftsteller Hans Fallada (eigentlich Rudolf Ditzen) bereits 1932 gestellt – in eben jenem Roman: »Kleiner Mann, was nun?«, in jener Geschichte des Johannes Pinneberg aus dem märkischen Ducherow und seines »Lämmchens«, das eigentlich Emma Mörschel heißt, und ihres gemeinsamen Kindes, dem »Murkel«, einer Geschichte, die sich in Berlin abspielt, einer Geschichte eines abrutschenden Kleinbürgers und eines Proletariermädchens, also armer Leute.

Nun ist daraus ein Theaterstück geworden, das im Maxim Gorki Theater Berlin aufgeführt wird, in einer Fassung von Hakan Savaş Mican, der dieses auch inszeniert hat, mit einer Musik von Jörg Gollasch, die von drei Musikern gespielt wird. Dies alles in einem szenischen Raum von Sylvia Rieger, in dem sieben Darsteller in von Sophie du Vinage hergestellten und ziemlich bunten Alltagskostümen doch nicht ohne theatralischen Reiz eben diese 1932er Story unserer »armen Leute« handelnd erzählen – wie das auf einer Bühne im Theater so geschieht. Die Stadt muss nicht gewechselt werden. Es ist unser Berlin. Wirklich unseres – war doch da noch manches gar ähnlich, sogar sehr?! Spielen sie es deswegen?


Dimitrij Schaad als Johannes Pinneberg, Anastasia Gubarewa als Emma Mörschel, also Lämmchen; Tim Porath, Mehmet Ateşçi, Tamer Arslan, Çiğdem Teke, Mehmet Yilmaz, die alle mehrere Rollen geben, sind ein wahrhaft internationales Ensemble, welches hier deutsche Zustände von 1932 zurückruft, nun für ähnliche Zustände hier und heute in einem Bühnenstück bearbeitet. Ein kühnes Unternehmen, fürwahr!


Zeitgenössische Kritik sowie spätere Literaturgeschichte haben das Stück als »böses Märchen« bezeichnet. Sehr glücklich finde ich diese Eingrenzung nicht. Sicher, Märchen teilen oft böse Wahrheiten mit, aber eben als Märchen in einem meist schillernden Gewand, oft orientalisierend. Die Inszenierungsvorlage könnte man eher als soziale Ballade kennzeichnen, obzwar auch dies nicht ganz zutreffend. Die Ballade ist ein lyrisches Genre mit freilich rechtschaffenem dramatischem Impetus. Die Vorlage ist für meine Begriffe eine Tragikomödie, eine Art Comedy der bitteren Sorte, wie sie etwa Beckett verstanden hat. Es wird eine tragische Geschichte erzählt wie sie im marodisierten und Menschen manipulierenden Spätkapitalismus an der Tagesordnung ist, eine Tragödie des hilflosen wie leidenden Kleinbürgers, stellvertretend für seine ganze Schicht, fast Klasse, die am Ende alles mitmachende, bis zum Faschismus: Und dies nicht nur den furchtbaren deutschen, sondern alle denkbaren Spielarten. Das macht diese Inszenierung erkennbar. Doch bei dieser im Grunde lähmenden Tragik bleibt sie nicht – durch ihre komödische Haltung und gestisch-bewegliche Spielweise – auch mit brechtmethodischem Zugriff – lässt sie Zuschauer den Weg der Spieler gehen, nachzudenken über die im Titel von Roman und Stück gestellte Frage »Was nun?«


Wobei man hier und heute einen Buchstaben auswechseln könnte, ja müsste: Was tun? Eine Frage, die schon historisch gestellt wurde mit anderen Versuchen einer Antwort. Es ist genau die, die Fallada nicht gestellt hatte, schon gar nicht mit diesem Anti-Helden Johannes, der vielerlei versucht – in jenen engen Bereichen, in denen allerdings wenig zu erfahren und kaum etwas zu holen ist.