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Generationenwechsel in Kuba  (Volker Hermsdorf)

Als Termin für die Wahl eines neuen Präsidenten der Republik Kuba, der nach fast 60 Jahren zum ersten Mal nicht den Nachnamen Castro trägt, wurde mit Bedacht der 19. April gewählt. An einem Tag wie diesem besiegten die Revolutionären Streitkräfte, Milizen und bewaffnete Freiwillige unter der Führung ihres »Comandante en Jefe« Fidel Castro im Jahr 1961 eine nur 72 Stunden zuvor in der Schweinebucht gelandete Söldnertruppe. Die von der CIA ausgebildeten Invasoren hatten mit Hilfe Washingtons wieder die bis zur Revolution in Kuba herrschenden Zustände herstellen wollen, scheiterten jedoch am Widerstand und der Einheit der kubanischen Bevölkerung. Das Fiasko der USA in der Schweinebucht war die erste Niederlage des Imperialismus in Lateinamerika. Der 19. April wird seitdem in Kuba gefeiert und hat über die Grenzen des Landes hinaus eine symbolische Bedeutung.

 

Mit der Wahl des neuen Staatspräsidenten auf der konstituierenden Sitzung der neu gewählten Nationalversammlung ist auch die im letzten Herbst begonnene Wahlperiode 2017/18 beendet. Gewählt wurden dabei 605 Abgeordnete des nationalen Parlaments und insgesamt 1265 Vertreter in den Provinzparlamenten. Landesweit hatten sich rund 18.000 Kandidaten um Mandate beworben und in kommunalen Versammlungen ihrer jeweiligen Wahlbezirke vorgestellt. Eine Reihe von Parlamentariern, die noch in der Rebellenarmee unter Revolutionsführer Fidel Castro für den Sturz des Diktators Fulgencio Batista gekämpft hatten, traten nicht mehr für eine weitere Amtszeit an. Auch Präsident Raúl Castro hatte bereits vor Jahren angekündigt, nach zwei Perioden nicht erneut für das Amt des Staatschefs zu kandidieren. Er wird allerdings weiterhin den Vorsitz der Kommunistischen Partei Kubas (Partido Comunista de Cuba, PCC) innehaben und damit auf der politischen Bühne auch in Zukunft eine Rolle spielen. In seinem Wahlbezirk Santiago de Cuba wurde Castro zudem wieder als Kandidat für die Nationalversammlung aufgestellt, der er dann als einfacher Abgeordneter angehören wird.

 

Der von westlichen Medien und Politikern häufig als »Scheinwahlen« diffamierte Auswahlprozess der Volksvertreter hat mit den europäischen oder US-amerikanischen Wahlkämpfen tatsächlich kaum etwas gemein. Wählen dürfen in Kuba alle Bürger ab 16 Jahren. Eine Wahlpflicht existiert jedoch nicht. Wählbar ist auf Provinzebene, wer das 16. Lebensjahr vollendet hat. Kandidaten für das nationale Parlament müssen mindestens 18 Jahre alt sein. Obwohl viele Bewerber der Kommunistischen Partei Kubas angehören, ist dies keine Voraussetzung für die Kandidatur. Laut Wahlgesetz darf sich die PCC nicht an der Aufstellung beteiligen. Da alle Abgeordneten in einer Persönlichkeitswahl direkt gewählt werden, spielen politische Parteien dabei keine Rolle. Von Werbeagenturen entworfene teure Medienkampagnen gibt es aus diesem Grund ebenfalls nicht. Anders als in westlichen Ländern sind die Abgeordneten in Kuba ihren Wählern gegenüber allerdings rechenschaftspflichtig und können von diesen wieder abgewählt werden, wenn sie ihre Zusagen nicht einhalten. Auf der untersten, der kommunalen Ebene, müssen die »Deputierten«, wie die Abgeordneten auch genannt werden, mindestens alle drei Monate auf einer Nachbarschaftsversammlung erklären, was sie in ihrem jeweiligen Bereich getan haben. Sind die Wähler unzufrieden, können sie ein Amtsenthebungsverfahren einleiten. Das kommt auf den unteren Ebenen häufiger, in den Provinzen oder dem nationalen Parlament seltener vor, ist aber auch dort üblich.

 

Die diesjährigen Wahlen sorgten gleich in mehrfacher Hinsicht für Überraschungen. Wie die Präsidentin der Nationalen Wahlkommission (CNE) mitteilte, war die Wahlbeteiligung mit 82,9 Prozent gegenüber dem vorangegangenen Votum im Februar 2013 weiter rückläufig (www.cubadebate.cu/noticias/2018/03/12/elecciones-en-cuba-elegidos-los-605-diputados-a-la-asamblea-nacional/#.WrkLHSgvVXD). Mit 89,7 Prozent hatten sich bereits damals etwas weniger Kubaner als fünf Jahre zuvor an der Parlamentswahl beteiligt. Während die für kubanische Verhältnisse niedrige Wahlbeteiligung in den internationalen Medien ausgiebig kommentiert wurde, fanden andere Ergebnisse keine Beachtung. So wurde kaum erwähnt, dass von den 605 Abgeordneten der Nationalversammlung 322 weiblich sind. Bezogen auf den Frauenanteil im Parlament steht Kuba mit 53,2 Prozent weltweit (nach Ruanda) an zweiter Stelle. In der Schweiz liegt der weibliche Anteil bei 43,6 Prozent, und sogar skandinavische Länder bringen es nur auf 42 Prozent (Finnland) oder 41,4 Prozent (Norwegen). Im neuen Deutschen Bundestag sank der Anteil der weiblichen Abgeordneten sogar von zuvor 37 auf jetzt gerade noch 31 Prozent, obwohl Frauen in der BRD-Bevölkerung mit rund einer Million in der Überzahl sind (https://www.huffingtonpost.de/2017/09/25/weniger-frauen-im-neuen-bundestag_n_18095616.html). Wie üblich hielt die westliche Berichterstattung derartige Unterschiede nicht für erwähnenswert und war stattdessen von einer Mischung aus Unkenntnis und Propaganda dominiert. Auch die Süddeutsche Zeitung (SZ) verstrickte sich in Widersprüchen. Der SZ-Autor erkannte zwar an, dass »Fidel Castro und später sein Bruder keine dumpfen Diktatoren« waren, verbreitete über den Wahlausgang vom 11. März dann aber die gewohnte Falschmeldung: »Es gewann wie immer der Partido Comunista de Cuba (PCC), die Kommunistische Partei« (www.sueddeutsche.de/politik/kuba-parlamentswahl-leitet-das-ende-der-aera-castro-ein-1.3902155).

 

Mit der Parlamentswahl wurde der bereits seit einiger Zeit in Kuba eingeleitete Generationenwechsel weiter vorangetrieben. Während das Durchschnittsalter der Kandidaten 49 Jahre betrug, lag der Anteil der 18- bis 35-jährigen bei 13 Prozent. Auch die Spitze von Staat und Regierung präsentiert sich künftig deutlich jünger. Als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge Raúl Castros als Präsident gilt dessen bisheriger erster Stellvertreter und ehemaliger Bildungsminister Miguel Díaz-Canel. Der 57-jährige Elektronikingenieur und Oberstleutnant der Revolutionären Streitkräfte genießt in Kuba hohes Ansehen. Kurz vor der Wahl hatte Díaz-Canel auf die »historische Bedeutung« der Wahl und des Generationenwechsels hingewiesen, »die inmitten einer schwierigen internationalen Lage stattfinden, die durch die Verschärfung der Blockade gegen Kuba und die Versuche der USA gekennzeichnet ist, die Revolution zu zerstören«. Am Wahltag erklärte er ergänzend: »Vor uns steht eine ideologische Herausforderung, eine Herausforderung, die im Kampf gegen die Hegemonie der pseudokulturellen Werte besteht, die man uns versucht aufzuzwingen …  Zur ideologischen kommt die wirtschaftliche Herausforderung hinzu, die Aktualisierung unseres Wirtschafts- und Sozialmodells weiterzuführen« (de.granma.cu/cuba/2018-03-12/diaz-canel-bermudez-votum-der-standhaftigkeit-und-des-engagements).