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Titel718

Herrinnen des Geldes?  (Klaus Müller)

Seit 5. Februar sitzt der von Trump eingesetzte Jerome Powell im Chefsessel der US-Notenbank. Er löste Janet Yellen ab, die in den Medien dafür gelobt wird, dass sie es geschafft habe, die Zinsen etwas zu erhöhen. Heftig wird darüber spekuliert, wie sich der Wechsel an der Spitze der Fed und der bald bevorstehende in der Führung der Europäischen Zentralbank auf die Politik beider Banken auswirken wird. Powell scheint die Politik seiner Vorgängerin fortzusetzen. Unter seiner Regie hat die Fed im März den Leitzins um einen Viertelprozentpunkt auf die neue Spanne von 1,5 bis 1,74 Prozent angehoben. Hier sei die Frage grundsätzlicher gestellt: Was tun Zentralbanken? Was können sie, was nicht?

 

Die Notenbanken versorgen die Wirtschaft mit Zentralbankgeld und bestimmen dessen Menge. Die erste Aussage ist richtig, die zweite naheliegend – und falsch. Möchtegern-Experten versuchen den Eindruck zu erwecken, als hinge die Geldpolitik der Zentralbanken davon ab, was deren Präsidenten wollen. Doch der Einfluss der zweifelsohne Mächtigen auf die zirkulierende Geldmenge und das Zinsniveau einer Volkswirtschaft ist überschaubar. Egal, ob sie Bernanke, Yellen oder Powell, Duisenberg, Trichet oder Draghi heißen, ob sie Harvard, Yale oder eine x-beliebige Hochschule besucht haben, ob sie Ökonomen, Juristen oder Lehrer sind.

 

Sie legen die Leitzinsen fest, kaufen und verkaufen Wertpapiere. Ihre Entscheidungsspielräume sind eng. Töricht die Vorstellung, sie zögen die Wirtschaft wie am Gängelband hinter sich her. Die Manager in den Notenbanken können die Märkte nicht dirigieren. Sie und die von ihnen gelenkten Institutionen sind Teil einer Realität, auf deren Änderungen sie reagieren. Sie können dabei falsch liegen. Ihnen aber die Schuld zu geben für die großen ökonomischen Krisen und Depressionen überbewertet ihren Einfluss gewaltig. Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler John K. Galbraith wusste, dass die Zentralbanken den Zins und die Geldmenge nicht steuern. Das Gegenteil zu behaupten, sei frommes Wunschdenken. Er hielt die Vorstellung für aberwitzig, die Zentralbankräte müssten nur an den Stellschrauben Geldmenge und Zins drehen, um die Wirtschaft auf Wachstum, Wohlstand und sozialen Ausgleich zu justieren. Und drehten sie in die falsche Richtung, wären Wirtschafts- und Finanzkrisen die Folge. Galbraith sprach den Zentralbanken sowohl im positiven als auch im negativen Sinne die vermeintliche Macht ab. Er war ein großer, hellsichtiger Ökonom, der, anders als viele Mainstream-Apologeten, nie Aussichten auf den Nobelpreis hatte.

 

Warum können die Zentralbanken die Menge des Geldes nicht bestimmen, das sie selbst ausgeben?

 

Nationale Währung gelangt beispielsweise durch den Kauf von Devisen in den Umlauf. Wie viel das ist, hängt von der Stärke des Devisenzustroms und nicht vom Willen der Zentralbank ab. Wie viele Devisen die Zentralbank gegen nationales Geld wechseln muss, ist abhängig von den Güter- und Dienstleistungsexporten und den Kapitalimporten. Dahinter stecken millionenfache private Entscheidungen. Die Ausgabe von Zentralbankgeld durch den Kauf von Wertpapieren gelingt, wenn die Geschäftsbanken und Unternehmen solche Papiere verkaufen wollen. Zentralbanken sind darauf angewiesen, dass die Banken bei ihren geplanten Deals mitwirken. Haben diese keinen zusätzlichen Geldbedarf, weil die Kreditnachfrage der Unternehmen und Haushalte gering ist, scheitert der Versuch der Zentralbank, den Bankensektor mit billigem Geld zu fluten. Die Hoffnung trügt, die Akteure der Wirtschaft würden kaufen und produzieren, versuchte man, sie mit Money zu überschwemmen.

 

Selbstdarstellungen der Zentralbank, besonders die Ankündigung von Geldmengenzielen, täuschen Machbarkeit vor. Dieses seit Mitte der 1970er Jahre auch in Europa gängige Ritual entlarvt die sogenannte Geldpolitik als reine Scharlatanerie. Die Europäische Zentralbank (EZB) setzt das von der Bundesbank praktizierte Theater leicht verändert fort, tauscht allenfalls die Kulissen im potemkinschen Dorf. Sie tut so, als setze sie sich Geldmengenziele, die sie konsequent anstrebe. Nichts dergleichen passiert. Über die Höhe und Entwicklung der Geldmenge entscheidet keine Zentralbank. Die zirkulierende Geldmenge wird bestimmt durch das Wachstum der Produktion, den Preisanstieg und die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Darauf hat die Zentralbank keinen direkten Einfluss. Entscheidend ist das Verhalten der Unternehmen und Konsumenten. Zentralbanken versuchen, die mögliche Veränderung dieser Bestimmungsfaktoren zu schätzen und daraus auf das voraussichtliche Wachstum der Geldmenge zu schließen, meist in Form einer Bandbreite, eines »Zielkorridors« von zwei bis drei Prozent. Die »Vorgabe« der Ziele ist nichts anderes als ein heiteres Ratespiel. So zu tun, als entscheide die Zentralbank innerhalb dieses Procedere über die Höhe der zirkulierenden Geldmenge, ist irreführend. Über sie entscheidet der Bedarf der Wirtschaft.

 

Warum kann die Zentralbank nicht das Zinsniveau bestimmen?

 

Die Zinsen variieren in Abhängigkeit von Angebot und Nachfrage auf den Finanzmärkten. Diese werden bei aller relativen Selbständigkeit bestimmt durch Änderungen auf den Gütermärkten. Die Nachfrage steigt im Aufschwung auf allen Märkten, mit ihr die Preise und Zinsen. In der Krise sinken Nachfrage, Preise und Zinsen. Schon einmal, während der weltweiten Wirtschaftsdepression der 1930er Jahre, standen in den USA und Großbritannien die kurzfristigen Zinsen nahe Null. Auch die langfristigen Sätze lagen auf historischen Tiefstständen. In den USA endete die Ära sehr niedriger Zinsen in den 1950er Jahren; seit der Jahrtausendwende ist sie zurück. Japan hat seit Mitte der 1990er Jahre Niedrigstzinsen. Wenn wegen Angebotsüberschüssen auf den Finanzmärkten die Nachfrage nach Krediten der Zentralbank sinkt und die Geschäftsbanken Überschüsse zu ihr transferieren, wird diese früher oder später mit der Rücknahme ihrer Zinsen reagieren. Mainstream-Ökonomen, mitunter sogar linke Autoren, loben die Zentralbank, wenn diese in der Rezession die Zinsen senkt und im Aufschwung erhöht. Mit Mut und Klugheit hat diese Politik nichts zu tun. Eher mit Zwang. Die Zinskorrekturen vollziehen sich vorher auf den Märkten von allein. Die Notenbanken geben dem von den Finanzmärkten kommenden Druck nach, auch wenn, das soll nicht bestritten werden, ihre Ankündigungen Bewegungen der Marktzinsen auslösen können. Der Versuch, gegen die Kräfte des Marktes zu steuern, wäre chancenlos. Erhebt die Zentralbank Negativzinsen auf Einlagen, weil sie will, dass die Geschäftsbanken ihr Geld nicht zu ihr bringen, sondern den Unternehmen und Verbrauchern leihen, ist noch kein einziger Euro oder Dollar als Kredit in den Umlauf gelangt. Die expansive Geldpolitik der EZB bewirkt, dass die Buchgeldbestände bei den Geschäftsbanken wachsen. Sie kann keine Nachfrage schaffen. Billiges Geld kommt bei den produzierenden Unternehmen nicht an, wenn diese nicht bereit sind, es anzunehmen. Der Zins ist Teil des Profits; er muss erwirtschaftet werden. Welcher Unternehmer nimmt einen Kredit, selbst einen zinslosen, wenn er die mit ihm produzierten Waren nicht absetzen kann? Banken können Kredite vergeben, wenn die Unternehmen und privaten Haushalte sie wollen. Und wenn diese die Geschäftsbanken mit ihren Ertragsprognosen und Sicherheiten überzeugen. Wo niemand oder wenige Kredite brauchen, sind die Zinsen mickrig. Die Zentralbanker glauben, das Pferd von hinten aufzäumen zu können: Niedrige Zinsen, billiges Geld erhöhe die Kreditnachfrage und könnte die Wirtschaft in Schwung bringen. Unlogisch ist das nicht, funktioniert aber nur unter zusätzlichen Voraussetzungen. Selbstverständlich nehmen die Leute lieber Kredite zu niedrigen als zu hohen Zinsen auf. Was eine erleichterte Versorgung mit Zentralbankgeld bringt, hängt ab von der Lage auf den Gütermärkten. Ein Unternehmen will Kredite und ist kreditwürdig, wenn seine Produkte nachgefragt werden und es mit Gewinn produziert. Ist der Bedarf gesättigt und die Leute haben kein Geld, um zu kaufen, brauchen die Unternehmen keine Kredite. Die Banken bleiben auf ihren Überschüssen sitzen. Das ist der Grund, weshalb das Geschäft mit Bankkrediten trotz niedriger Zinsen stagnieren kann. An seine Stelle tritt die Spekulation. Überreichliche Liquidität ergießt sich über die Finanzmärkte. Kurse steigen, und es bilden sich die berüchtigten Blasen. Der Anlagenotstand ist kein kurzzeitiges Phänomen. John M. Keynes (1883–1946) und Jean Fourastié (1907–1990) ahnten, dass es langfristig an profitablen Möglichkeiten mangeln würde, Geld anzulegen. Die Sättigung der kaufkraftstarken Haushalte, die durch Produktinnovationen und Werbung gebremst, aber nicht aufgehalten werden kann, Arbeitslosigkeit und Prekarisierung, der Rückgang der Bevölkerungszahl begründen eine anhaltende Konsum- und Investitionsschwäche. Das Wirtschaftswachstum in entwickelten Volkswirtschaften geht in Stagnation über. Sollte sich dies bewahrheiten, wofür die seit Jahren sinkenden Wachstumsraten in den entwickelten Ländern sprechen, werden die Zinsen nahe Null bleiben. Es kommt, wie Keynes vermutete, der »sanfte Tod des Rentiers«, eine Zeit, in der niemand mehr von Zinsen leben kann. Goldene Jahre werden das nicht sein, denn nach wie vor steht der Profit über allem. Egal, wie die Notenbankpräsidenten heißen, was sie denken oder wollen und die Kritiker ihnen vorwerfen.

 

 

Klaus Müller ist Wirtschaftswissenschaftler. Er ist externer Lehrbeauftragter für Volkswirtschaftslehre an der Staatlichen Studienakademie Glauchau der Berufsakademie Sachsen und Autor mehrerer Bücher, darunter »Geld – von den Anfängen bis heute« (2015), »Profit« (2016), »Boom und Krise« (2017) und »Lohnarbeit und Arbeitslohn« (2018).