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Titel719

Bemerkungen

Unsere Zustände

Der Ahnungslose sieht das Unglück erst, wenn es ihn erreicht. Der Ahnungsvolle hat es schon immer kommen sehen. Der Mutige stellt sich dem Unglück entgegen.

 

*

 

Es gibt keine bösen Menschen. Es gibt nur Menschen, die bös gemacht wurden.

 

*

 

Ihr, die ihr euch für unentbehrlich haltet: Es wird eine Zeit kommen, da ihr vergessen seid. Und die Worte, die man über euch spricht, vergehen im Wind.

 

Wolfgang Eckert

 

 

 

Zacken aus der Krone

Im Oktober 2017 stellte Ossietzky das im selben Jahr im Weidle Verlag, Bonn, erschienene und von Eva Scharenberg übersetzte Buch »Die Stille von Chagos« der auf Mauritius geborenen Autorin Shenaz Patel vor. Sie zeichnete darin das Schicksal der Chagossianer und ihrer Insel nach. 1810 war Mauritius mit Chagos britisch geworden. Während aber Mauritius 1968 unabhängig wurde, musste Chagos weiterhin bei Großbritannien verbleiben. Nun droht den Briten jedoch, dass ihnen dieser spätkoloniale Zacken aus der Krone gebrochen wird. Nach Berichten deutscher und internationaler Medien von Ende Februar hat der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen mit Sitz in Den Haag in einem Gutachten die Herrschaft Großbritanniens über die Inselgruppe als illegal bezeichnet, denn: Als Mauritius seine Unabhängigkeit erklärte, hätten die Briten Chagos nicht von Mauritius trennen dürfen. Das britische Königreich wurde aufgefordert, die Inseln an Mauritius zurückzugeben. Allerdings ist das Gutachten nicht bindend, und dass es in Bälde in Kraft tritt, da werden wohl die USA davor sein: Sie haben die Hauptinsel gepachtet und dort, nachdem sie von der Bevölkerung freigeräumt worden war, einen strategisch wichtigen militärischen Stützpunkt eröffnet. Für die Chagossianer heißt es daher weiterhin: La lotta continua. (Siehe dazu Heft 19/2017, S. 708, »Aus dem Paradies vertrieben«.)                         

Klaus Nilius

 

 

 

Aufklärerische Lyrik

Rudolph Bauer schreibt »agitatorisch-programmatisch oder kritisch satirisch«. So formuliert es der Literaturwissenschaftler Thomas Metscher zu Beginn seines Essays zur Würdigung von Bauers Gedichten im neuen Band »Aus gegebenem Anlass«. Diese Lyrik sei, so Metscher, »auf Aktualität verpflichtet, hat also auch einen dokumentarischen Wert – was die Leistung, doch auch die Grenze solcher Literatur markiert«.

 

Der Autor will mit seinen Gedichten anklagen, aufrütteln, entlarven. Er deckt die mit Worten und in Reden oft verschleierte kapital-, imperial- und militärisch-kriegerisch orientierte Politik auf. Er macht das oft in »ätzender« Weise. Ähnlich wie die Säure bei der Herstellung einer Radierung, so geht er der uns umgebenden, geheuchelten oder verklärenden Politik auf den Grund. Seine Lyrik legt offen, worum es in Wirklichkeit geht. Sie ist aufklärerisch.

 

In seinen Texten lässt Rudolph Bauer auch andere zu Wort kommen, kursiv kenntlich gemacht im negativen wie positiven Sinn. So beispielsweise in dem Gedicht »Rede des Generals«. Das Gedicht zitiert Worte von Lettow-Vorbeck, die er bei der Einweihung des Reichskolonialdenkmals in Bremen 1932 gehalten hat. Bei Bauer heißt es unter anderem:

»ein großes volk

sagte er

muss kolonien haben

um leben zu können …

 

nicht nur um kultur

sagte er

zu verbreiten

nicht eine wertmission

ist die haupstache …

 

ohne kolonien

sagte er

muss ein blühendes

volk ersticken …«

 

Diese Redenpassagen legen nicht nur bloß, wie eiskalt die Kolonialpolitik gehandelt hat, sondern sie versetzen durch das Wort »wertmission« den Leser und Hörer in unsere Gegenwart, in der mit dem Hinweis auf »westliche Werte« Kriegseinsätze, zum Beispiel in Afghanistan und Mali, gerechtfertigt werden. Genauso aufdeckend sind auch Haikus wie der folgende mit dem Titel »Franziskus«: »der papst nennt lager / für syrische flüchtende / auf lesbos k. z.« Oder auch der Haiku »Wirtschaftspolitik«: »es rollt der rubel / der höchst sauer verdiente / immer nach oben«. In einem der »Frontberichte«-Haikus heißt es: »befehle zum krieg / dienen dem einen zweck nur / märkte erobern«.

 

Auch durch Wortspiele dringt Bauer vor zum Kern der Sache, so im Gedicht »Verfassungsschuttslam«. Durch das Aneinanderreihen von Wörtern wie »verfassungsschutz«, »verfassungsschutt«, »fassungslos«, »verfassungsmülllos«, »atommüllschutzlosverfassung« wird deutlich, wie unzureichend die Verfassung, wie entbehrlich der Verfassungsschutz, wie gefährlich schutzlos der Atommüll gelagert wird. Ähnlich auch das Gedicht »Vom Schützenschützen der Verfassung«.

 

Eines der Gedichte ist eine Hommage auf Jannis Ritsos, den hierzulande weithin unbekannt gebliebenen griechischen Dichter. Er hat ein Leben lang unter den Torturen der Herrschenden leiden müssen, hat aber nie aufgegeben. Das Gedicht endet mit den Versen: »der tod bedeutet ihm / weniger als freiheit // erst kommt die freiheit / schrieb er / dann der tod.«

 

Die Verlogenheit der politischen Öffentlichkeit macht Rudolph Bauers Gedicht »Weihnachtskampagne« deutlich. Er nimmt sarkastisch die 2007 gestartete »Social-Marketing-Kampagne« von 25 Medienunternehmen aufs Korn, die mit »Du bist Deutschland« auf ein positives Denken, verbunden mit einem neuen deutschen Nationalgefühl, abzielte. Der »Du bist ...«-Spruch greift dabei bedenkenlos auf eine frühere, auf Hitler gemünzte Nazi-Parole zurück.

 

Das kurze Gedicht »Die Lerche« schildert sehr lyrisch die Sehnsucht nach friedlich-schönem Leben, das leider in Gänze nicht zu haben ist und deswegen mit den Worten endet: »wir schlürfen verzweifelt gierig das leben«.

 

Über das »ätzende« Aufdecken hinaus bringt solche Lyrik aber noch etwas anderes, das nicht zu unterschätzen ist: die Stärkung der wenigen, die im Kampf für Frieden und Gerechtigkeit nicht nachlassen. Bauers Lyrik führt die zum Teil sehr vereinzelt für die gerechte Sache Denkenden und Handelnden zusammen, bekräftigt ihre solidarische Gemeinschaft, gibt ihnen das Bewusstsein und Gefühl, dass sie nicht allein sind. Das gibt ihnen Ansporn und Ermutigung.

 

Rudolph Bauers Gedichtband steht in der Tradition von Schriftstellern, die – wie Ingeborg Bachmann, Erich Fried, Ernst Jandl, Volker Braun, Günter Grass, Hilde Domin, Dorothee Sölle, Thomas Bernhard, Wolfdietrich Schnurre und Friedrich Dürrenmatt – mit Blick auf die politischen Verhältnisse in den 1960er Jahren sehr sensibel reagierten. Von solcher Sensibilität zeugen auch die Zitate Klaus Manns, die Bauer über die meisten Kapitel seines Gedichtbandes gesetzt hat, etwa: »Ein Schriftsteller, der politische Gegenstände in sein künstlerisches Schaffen einbeziehen will, muss an der Politik gelitten haben, ebenso tief und bitter, wie er an der Liebe gelitten haben muss, um über sie zu schreiben. Dies ist der Preis, billiger kommt er nicht weg.«

 

Das Leiden an der Politik und ihr Einbeziehen in sein literarisches Schaffen ist der wesentliche Beweggrund für die Entstehung von Rudolph Bauers Gedichtsammlung. Sie verdient es, nicht zuletzt auch von politisch interessierten Zeitgenossinnen und -genossen gelesen und in der Öffentlichkeit vorgetragen zu werden.                           

 

Hartmut Drewes

 

 

Rudolph Bauer/Thomas Metscher: »Aus gegebenem Anlass. Gedichte und Essay«. tredition, 194 Seiten, 18,90 €

 

 

 

Prozess gerät zur Farce

Der Prozess in Madrid gegen zwölf Katalanen, angeklagt wegen angeblicher Rebellion, Aufruhr und Veruntreuung von Steuergeldern, wird immer mehr zu einer Farce. Zwei der Angeklagten, Jordi Cuixart, Präsident der gemeinnützigen katalanischen Kulturorganisation »Òmnium Cultural«, und Jordi Sànchez, Präsident des »Assemblea Nacional Catalana« (ANC), die für ein unabhängiges Katalonien eintritt, waren bereits in Haft, als am 27. Oktober 2017 die katalanische Republik ausgerufen wurde. Dennoch werden sie der gewaltsamen Erhebung (Rebellion) beschuldigt. Aber gehört zu einer Rebellion nicht der Einsatz von Waffen und Explosivstoffen? Weder Waffen noch Sprengstoff wurden gefunden. Dazu passt, dass spanische Nationalisten lange vor Ausrufung der katalanischen Republik Carles Puigdemont als Rädelsführer bezeichneten.

 

Seit dem 12. Februar wird nun an vier Tagen pro Woche vorm Obersten Gericht in Madrid verhandelt. Bereits im Vorfeld des Prozesses erklärten spanische Juristen, dass es am 1. Oktober 2017, dem Tag des Referendums, in Katalonien weder eine Rebellion noch einen Aufruhr gab, die Anschuldigung sei eine Beleidigung der Katalanen. Auch fehlen hierfür ebenso wie für die Veruntreuung von Steuergeldern Belege. Große Erinnerungslücken haben die Zeugen.

 

Die Unabhängigkeit des Vorsitzenden Richters Manuel Marchena, seit 2007 am Obersten Gerichtshof tätig, ist fraglich. Zunehmend wird der Mann bei seiner Prozessführung nervöser und trägt nicht zur Aufklärung bei. Damit der Prozess nicht vorzeitig endet, schränkt Marchena die Rechte der Verteidiger ein. Bereits im Vorfeld des Prozesses wurden den Angeklagten und ihren Verteidigern nicht alle Dokumente zur Verfügung gestellt. Jüngst wollte die Verteidigung einen Zeugen aus den Reihen der Guardia Civil mit Videoaufnahmen konfrontieren. Richter Marchena verweigerte der Anwältin Marina Roig das Zeigen des Videos. Der Guardia-Civil-Beamte hatte ausgesagt, dass bei der Durchsuchung eines Gebäudes die Mossos (katalanische Polizei) völlig untätig geblieben seien. Das Video hätte den Mann der Lüge überführt, zeigte es doch, wie die Mossos d'Esquadra die Menschen wegtrugen, um den Weg für die Guardia Civil freizumachen. Auch die Prozessbeobachter und Juristen vom International Trial Watch (ITW) und der L'Associaci Catalana Defensa pels Drets Civils (katalanische Vereinigung für Bürgerrechte) halten den Vorsitzenden Richter nicht für unbefangen.

 

Die Staatsanwaltschaft fordert in dem Mammutverfahren – über 500 Zeugen wurden benannt – 17 bis 25 Jahre Haft für die Angeklagten. Die rechtsextreme, profaschistische Partei VOX hat sich als »acusación popular« (Volksanwalt) Sitz und Stimme in dem Prozess gesichert und fordert Haftstrafen bis zu 74 Jahren. Der spanisch-argentinische Rechtsanwalt Javier Ortega Smith vertritt VOX in dem Verfahren. Er ist ehemaliges Mitglied der »Special Operations Group« der spanischen Streitkräfte, der sogenannten grünen Barette. Zu seinem Cousin Juan Chicharro Ortega, einem Ex-General und Mitglied der Francisco-Franco-Stiftung, pflegt er engen Kontakt. In der Partei ist Javier Ortega Smith nach dem Vorsitzenden Santiago Abascal der zweite Mann in der VOX-Hierarchie. Vor Prozessbeginn forderte Smith, »lebenslänglich« wieder als Strafe in Spanien einzuführen. VOX nutzt den Prozess als ideale Plattform für die anstehende Parlamentswahl am 28. April.                           

 

Karl-H. Walloch

 

 

 

Kein Weiter-so

Wer die Gegenwart schlecht verwaltet,

sagt vor der Wahl

jedesmal,

wie gut er die Zukunft gestaltet.

 

Günter Krone

 

 

 

Alle Erscheinungsformen

In Anwesenheit einer Delegation des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma verabschiedete der Deutsche Bundestag am 22. März eine Erklärung mit dem Titel »Antiziganismus bekämpfen«. Zur Abstimmung lagen zwei fast gleichlautende Anträge vor, die sich beide positiv zu dem Beschluss der Bundesregierung äußerten, »gemäß der in der Koalitionsvereinbarung vom 14. März 2018 zwischen CDU, CSU und SPD getroffenen Abrede und nach fachlichen Konsultationen mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma ein Expertengremium ein[zu]setzen, das erstmals eine systematische Bestandsaufnahme aller Erscheinungsformen des Antiziganismus erarbeiten soll«. Dieses Gremium soll, so wünschen es die Abgeordneten sowohl von CDU/CSU und SPD als auch von FDP, Linkspartei und Bündnis 90/Die Grünen, im Jahr 2021 einen ausführlichen Bericht mit Handlungsempfehlungen vorlegen, um Antiziganismus (Sinti und Roma diskriminierende rassistische Einstellungen und Verhaltensweisen) wirksam vorzubeugen und effektiv zu bekämpfen.

 

Eine gemeinsame Resolution aller fünf Fraktionen kam – zum Bedauern des Zentralrats – nicht zustande, weil die CDU/CSU-Fraktion keinen gemeinsamen Antrag mit der Linksfraktion wollte und auf einer Version bestand, in der der folgende Satz fehlte: »Der Deutsche Bundestag verpflichtet sich, jeder Form des Hasses gegen Sinti und Roma und dem Antiziganismus schon im Entstehen in aller Konsequenz entschieden zu begegnen.« Die mit den Stimmen der GroKo-Parteien (bei Enthaltung der anderen drei Parteien) verabschiedete Resolution umfasst daher nur Abschnitte, in denen der Bundestag etwas »feststellt«, etwas »begrüßt«, die Bundesregierung zu etwas »auffordert«, bei dem geplanten Expertengremium etwas »anregt«, sich aber selbst am Ende zu nichts verpflichtet.

 

Gegen beide Anträge stimmte die AfD-Fraktion. Ihr Sprecher Markus Frohnmaier brachte es fertig, die Bekämpfung des Antiziganismus abzulehnen und sich dabei als »Freund der Zigeuner« aufzuspielen. Zuerst wandte er sich gegen die Verwendung der Bezeichnung »Sinti und Roma«. Sie sei irreführend, werfe »alles in einen Topf« und erwecke »den Eindruck, die seit über 600 Jahren in Deutschland lebenden Sinti seien Asylsuchende, Ausländer, Bürger zweiter Klasse, die um ein Bleiberecht bitten müssen«. Offenbar ist das seine Vorstellung, wenn er das Wort »Roma« hört. Das heißt, er hat keine Ahnung und weiß nicht, dass die deutschen Roma seit dem 19. Jahrhundert hier leben. Die theatralische Frage »Wie lange müssen die Sinti also noch in Deutschland leben, bis sie von Ihnen akzeptiert werden?« schlägt also auf den sauberen »Freund« zurück. Krokodilstränen vergießend, erklärte er dann, durch Maßnahmen zur Bekämpfung des Antiziganismus würden »die Zigeuner« gegen ihren erklärten Willen in eine permanente Opferrolle gedrängt und einer »beleidigenden Bevormundung« ausgesetzt. Er benutzte dabei angebliche Äußerungen der Sinti-Allianz Deutschland, um diese gegen den Zentralrat auszuspielen. Sein Statement an die Adresse der anderen Bundestagsparteien gipfelte in der dreisten Behauptung, die Forderung nach »mehr Engagement gegen Hass im Internet« sei gleichbedeutend mit dem Ruf nach Zensur: »Sie missbrauchen die Zigeuner jetzt also auch noch dazu, um die freie Rede in Deutschland weiter einzuschränken.«

 

Am 27. März fand die konstituierende Sitzung der Expertenkommission »Antiziganismus« statt. Sie soll alle Erscheinungsformen des Antiziganismus erfassen. Man darf gespannt sein, ob es auch ein Kapitel über Antiziganismus im Bundestag geben wird.

 

Renate Hennecke

 

Marx für Einsteiger

Ist der Marxismus tot? Nun ja, totgesagt hatte man ihn schon oft. Und dass der bekannte Autor Dietmar Dath im Vorwort des kürzlich erschienenen Sammelbandes »Eine Welt zu gewinnen« ein trotziges Bekenntnis zu Marx ablegt, spricht selbstverständlich für den Marxismus. Ansonsten ist das Buch ein eher buntes Konglomerat von Texten, die sich auf Karl Marx beziehen.

 

Am Anfang liefert Heiko Humburg eine Kurzbiographie von Karl Marx und gibt einen ebenfalls kurzen Überblick über dessen Werk. Andere Autoren schreiben über Grausamkeiten und Zumutungen unserer Gegenwart, für die sie – durchaus zutreffend – den Kapitalismus verantwortlich machen. Über die von ihnen vertretenen Vorstellungen einer künftigen Gesellschaft kann man freilich unterschiedlicher Ansicht sein, ebenso über ihre Interpretation der Historie der letzten Jahrzehnte.

 

Der letzte Abschnitt des Buches trägt die Überschrift »Eine lebendige Theorie, eine lebendige Bewegung«. Eingehalten wird diese Ankündigung leider nicht. Veteranen vergangener sozialer Kämpfe geben (zweifelsfrei interessante) Erinnerungen wider. Aktivist*innen derzeit tobender Auseinandersetzungen kommen jedoch nicht zu Wort. Und von derzeit aktiven marxistischen Theoretiker*innen liefert nur Georg Fülberth einen kurzen Beitrag zu Aktualität marxistischen Denkens.

 

Der Band ist offensichtlich als Einstiegslektüre in die Marx‘sche Theorie gedacht und richtet sich vorrangig an jüngere Leser*innen aus dem Umfeld der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjungend (SDAJ). Eine ideologische Öffnung gegenüber anderen marxistischen Strömungen hätte dem Band ganz gewiss gutgetan.   

 

Gerd Bedszent

 

Lena Kreymann/Paul Rodermund (Hg.): »Eine Welt zu gewinnen. Marx, der Kapitalismus von heute und was wir tun können«, PapyRossa, 230 Seiten, 10 €

 

 

 

Klagelied

Ach, wie war es ehedem

bei den Linken doch so schön.

Diskussionen machten Spaß,

fast ein jeder lernte was.

 

Heut’ heißt‘s gleich, man sei Rassist,

wenn man andrer Meinung ist.

So macht man sich selbst kaputt

wenn’s der Gegner nicht schon tut.

 

Nur zu schmor’n im eignen Saft

gibt auf Dauer keine Kraft.

Deshalb Leute: Seid nicht faul,

schaut dem Volk auch mal aufs Maul.

 

C. T.

 

 

Hans Laabs und die Bohème

Die etwa 1500 Werke umfassende Kunstsammlung der Berliner Volksbank verfügt über besonders reiche Bestände aus der Nachkriegskunst. So war eine Ausstellung über die Charlottenburger Bohème und ihre Exponenten, zu denen Hans Laabs, aber auch Hans Uhlmann, Werner Heldt, Ludwig Gabriel Schrieber, Jeanne Mammen, Heinz Trökes, Alexander Camaro und andere gehörten, längst fällig. Die Entwicklung von Laabs, der 1945 als 30-Jähriger in das ausgebombte Berlin kam, steht stellvertretend für dessen Freunde, die in dessen Atelier in der Ludwigkirchstraße unter dem Dach zusammenkamen, in der Galerie Rosen am Kurfürstendamm eine Begegnungsstätte moderner Kunst fanden, die Gründung der Hochschule für Künste in der Bundesallee erlebten und im Juli 1949 selbst das Künstlerkabarett »Die Badewanne« ins Leben riefen. Alles das machte die »Charlottenburger Bohème« aus, einen Surrealismus, der dem eines Salvador Dalí voraus hatte, dass er eben ein kritischer Realismus war, aus der Phantasie und der Bizarrerie des damaligen Lebens geboren, wie ein damaliger Mitstreiter bezeugte. Ja, das Überleben setzte damals surrealistische Prioritäten, und die Absurdität war handgreiflich lebensnotwendig. Aber dieser Berliner Surrealismus ging nur kurze Zeit, bevor ihn das währungsreformierte westdeutsche Wirtschaftswunder von der Bildfläche verdrängte. Das war dann auch der Zeitpunkt, dass Laabs, der Nonkonformist, Westberlin verließ und mehr als 30 Jahre auf die Baleareninsel Ibiza übersiedelte, hier den strahlenden Eindruck der Sonne, des Lichts, die mediterrane Klarheit erlebte, bevor er Mitte der 80er Jahre nach Berlin zurückkehrte und 2004 – 89jährig – starb.

 

Jörn Merkert, der einstige Direktor der Berlinischen Galerie, die einen Großteil der Werke von Hans Laabs, auch aus seiner Sammlung zu den Künstlerfreunden, besitzt, hat sein Künstlertum als »artistisches Vagabundentum« bezeichnet. Tatsächlich bilden Gegenständlichkeit und Abstraktion im Werk von Laabs ein konstruktives Mit- und Gegeneinander – und das ist wohl auch der Grund dafür, dass seine Bilder in leuchtender Farbigkeit zeitunabhängig blieben, weder dem Berliner Neo-Surrealismus noch dem zeitgenössischen Informel zuzurechnen sind. 1949 entstand sein »Knabenbildnis«, ein schmächtiger, aufrecht stehender Junge, der unverwandt den Betrachter anschaut – haben wir es hier mit einem versteckten Selbstbildnis des Künstlers zu tun? Dieser Bildtyp taucht öfters bei Laabs auf. Neben Figurendarstellungen, die keine Porträts darstellen, aber eine genaue Gestimmtheit vermitteln, werden in der Ausstellung Stillleben, ins Sinnbildliche übersetzte Naturerlebnisse, genauer Seestücke von Laabs gezeigt, in denen Himmel, Wasser und Strand ineinander übergehen und eine ungeheure Weite den Betrachter umfängt. Neben den Werken des heiteren Melancholikers Laabs ziehen die schwermütigen, herb verschlossenen Werke Werner Heldts, der das trostlose Antlitz des zerstörten Berlin in Traumbilder der Leere und Sehnsucht verwandelt, Camarros poetische Szenen aus der Welt des Theaters und Varietés, Trökes surrealistische Gemälde und Uhlmanns schwerelos wirkende Metallplastiken – sollte man eher Raumzeichen sagen? –, aber auch seine frischen, wie spielerisch wirkenden, in den Farben allerdings zurückhaltenden Aquarelle in den Bann.

 

Klaus Hammer

 

 

»Bohème in Charlottenburg – Hans Laabs und Freunde«, Stiftung Kunstforum der Berliner Volksbank, Kaiserdamm 105, 14057 Berlin, tägl. 10–18 Uhr, bis 7. Juli. Begleitpublikation.

 

 

 

Ein Wurm, der ständig nervt

Man will es einfach nicht glauben …, aber jeder von uns kennt das wohl: Man hört ein Musikstück, einen Song – nur kurz irgendwo angespielt –, und dann will diese Musik einem einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Irgendwo im Ohr muss ein kleines Männchen hocken, das ständig und ungefragt »Ein Bett im Kornfeld«, »Verdammt, ich lieb dich« oder »Atemlos durch die Nacht« trällert – als hätte die Platte in unserem Kopf einen Sprung. Dabei erweisen sich Schlager und Stimmungslieder als besonders ohrwurmtauglich.

 

Selbst Psychologen haben noch keine einleuchtende Erklärung dafür, warum sich Musik manchmal so hartnäckig in unserem Gedächtnis festsetzt. Sie haben lediglich herausgefunden, dass die akustischen Plagegeister vor allem leichtes Spiel haben, wenn wir uns langweilen. Wir erschaffen uns dann möglicherweise selbst Töne, wenn es gerade keine gibt.

 

Wie kommt aber so ein fieser Ohrwurm in unseren Kopf? Das ist wirklich ein seltsames Phänomen. Dabei müssen die Ohrwürmer nicht unbedingt unseren musikalischen Geschmack treffen. Es kann vorkommen, dass ein ausgesprochener Opernfreund unter der Dusche den »Holzmichl« summt. Oder einem Hard-Rock-Fan geht Beethovens »Freude, schöner Götterfunken« nicht mehr aus dem Kopf.

 

Und wie wird man so einen lästigen Ohrwurm wieder los? Die Experten raten, sich stark auf etwas anderes zu konzentrieren. Oder einfach einen Ohrwurm durch einen anderen zu ersetzen. Das neueste Patentrezept heißt Kaugummi kauen. Oder sollte man sich den in die Ohren stecken? Vergebens – »Hallo, ich bin noch da«, jubelt der Fiesling.

 

Manfred Orlick

 

 

 

Zuschrift an die Lokalpresse

Ich finde es gut, dass die Presse nicht nur die mutigen Appelle junger Leute zum Umweltschutz aufgreift, sondern auch auf deren Mängel hinweist. Die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg hat mit ihrer Kritik am späten deutschen Kohleausstieg Mut bewiesen. Aber auch CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak hat recht, wenn er kritisiert, dass die Umweltaktivistin einige wichtige Fragen nicht anspricht. So vermisst er Aussagen zu den dadurch vernichteten Arbeitsplätzen und zur »Versorgungssicherheit«. Damit verkommen die Aufrufe des »armen Mädchens« nach Auffassung des Politikers zur »puren Ideologie« (nd, 11.2.19). Ich möchte die Fragen an Frau Thunberg noch erweitern: Welche Konsequenzen ergeben sich für den Vogel- und Amphibienschutz in den ehemaligen Abbaugebieten? Was wird aus den Gruben-Molchen? Werden die zusätzlich benötigten Windkrafträder zu weiteren »Storchenhäckslern« (Volksmund) mutieren? Wie und wohin sollen die Kohle-Abbau-Gerätschaften entsorgt werden? Wer bezahlt die Verschrottung? Behalten die Ex-Bergleute ihre besondere berufsgebundene Altersfürsorge? Erhält die Lausitzer Glasbranche eine neue Perspektive? In welchen Etappen soll sich die Sanierung des Bahnhofs Weißwasser vollziehen? Fragen über Fragen, und die Antworten stehen noch aus! Weitere Anfragen unserer Leser leiten wir gern an Frau Thunberg weiter. Solange die Schülerin darüber noch nicht auskunftsfähig ist, sollte Herr Ziemiak die Informationen übernehmen! Besten Dank! – Hanne-Luja Querbeet (21), Influencerin, 45529 Hattingen-Niederwenigern   

 

Wolfgang Helfritsch

 

 

 

Kurz notiert

Kinder sind die schönste Frucht der Liebe, die von anderen gepflückt wird.

 

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Deine Erfahrung ist das einzige Irrlicht, dem du trauen kannst.

 

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Das Ideal ist der Steigbügelhalter des Interesses.

 

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Träume sind die Sehnsüchte der Erfahrungen.

 

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Wer seinen Ideen treu bleiben möchte, muss sie vorantreiben.

 

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Das Wichtigste beim Erinnern ist das Vergessen.

 

Norbert Büttner