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Titel720

Das doppelte Häschen  (Klaus Müller)

Erich Kästners Erzählung »Das doppelte Lottchen« endet für alle Beteiligten glücklich. Die Geschichte vom doppelten Goldhasen nicht. Der eine siegt, der andere verliert. Worum ging es?

 

Der Traum eines jeden Unternehmers ist es, der Konkurrenz zu entgehen, mag sie auch noch so sehr gepriesen werden von denen, die den Markt anbeten als sei er ein Gott. Sie fürchten, dem Stärkeren, Gewiefteren oder Brutaleren zu unterliegen. Wie kann man sich in eine komfortable Position bringen? Man muss versuchen, sich von den Produzenten und Anbietern gleicher Produkte zu unterscheiden, selbst wenn dies nur geringfügig oder dem Schein nach gelingt. Produktdifferenzierung heißt das Zauberwort. Sie ist letztlich auch nur eine Art der Konkurrenz. Eine Ware wird in unterschiedlichen Qualitäten, Ausführungen, Versionen, Modellen, Größen, Farben und so weiter hergestellt. Oft reicht es, dass die Unterschiede in der künstlich von außen erzeugten Einbildung der Verbraucher existieren, um die gewollten Käufe auszulösen. Der – manchmal nur eingebildete – Produktunterschied besteht vielleicht in der Art der Verpackung, im Kundendienst, im Standort des Unternehmens und der vermeintlichen Herkunft: Milch aus dem Allgäu, erzeugt von »glücklichen« Kühen, Kartoffeln vom Bio-Bauern nebenan, Schweizer Käse und Uhren, französischer Cognac, Whisky aus schottischen Fässern, Krimsekt und russischer Kaviar, kubanische Zigarren – der einzige Tabak der Welt, den zu rauchen sich lohnt, wie mein verstorbener Freund Rainer Klis sagte – oder original Spreewälder Gurken aus Hongkong und kanadischer Wildlachs aus thailändischen Zuchttümpeln.

 

Markenartikel besitzen den Ruf, besser zu sein als vergleichbare No-Name-Produkte. Ihre Qualität ist jedoch keineswegs immer höher und der Schaden, den sie anrichten, nicht niedriger. Produktdifferenzierung und -konkurrenz ermöglichen Extraprofite, wenn die Nachfragenden überzeugt sind, dass es sich um ein Gut handelt, dessen Eigenschaften besser sind als die der anderen Produkte. Bekannte Marken – Meißener Porzellan, Coca Cola, Nivea, Levis-Jeans – feine Geschäfte, nette Verkäuferinnen, freundlicher Kundendienst ermöglichen höhere Preise. Das Konzept geht auf, wenn es gelingt, durch massive Werbung und Bearbeitung der Öffentlichkeit – Public Relations – Kunden zu finden, die von der Einzigartigkeit des angebotenen Produkts überzeugt werden können. Stellt ein Produzent Zahncreme mit Kümmelgeschmack her und findet genügend »Kümmel-Fans«, die ihm in hündischer Treue in seine Nische folgen, ist es ihm geglückt, eine Art »Monopolist« zu sein. Er kann eine gewisse Zeit Extraprofite einheimsen. Übertreiben darf er dabei nicht. Glaubt er, seinen Kunden zu hohe Preise zumuten zu können, muss er damit rechnen, dass seine »Stammkundschaft« ihn verlässt und sich günstigere Kaufgelegenheiten sucht.

 

»Millionen kleiner Geschäftsleute arbeiten fieberhaft, um ein kleines Stück monopolistischer Extraprofite zu erwerben. Millionen von Konkurrenten strengen sich genauso an, ihnen die Zusatzgewinne wieder abzujagen; keiner schafft es, sich Zusatzgewinne langfristig zu erhalten. Jeder kämpft [gegen jeden] in dieser nimmer enden wollenden Auseinandersetzung […], in der es keine Sieger geben kann. Millionen von Unternehmen produzieren fast nie die wirtschaftlichste, kostengünstigste Menge; Milliardensummen werden beim Verbreiten sinnloser und nervtötender Werbeparolen verschleudert«, schrieben die amerikanischen Ökonomen Hunt und Sherman vor Jahren. Sie haben noch immer recht. Die Unternehmer leben in dauernder Sorge, dass die Kunden ihre Produkte verwechseln und die Konkurrenten zu ihnen aufschließen könnten, indem sie Begehrtes und Erfolgreiches nachahmen. Dann wäre das Monopol futsch.

 

Vor einiger Zeit warf der Süßwarenhersteller Lindt & Sprüngli seinem bayerischen Konkurrenten, der Confiserie Riegelein, vor, dass dessen in Goldfolie gewickelter Schokoladenhase zu sehr dem eigenen Produkt ähnle. Der Lindt-Goldhase wird seit Beginn der 1950er Jahre hergestellt und mit einem Millionenaufwand beworben. Die Richter am Oberlandesgericht Frankfurt besahen sich die Häslein von allen Seiten. Sie kamen nach langer, gründlicher Prüfung zu dem Ergebnis, dass keine Verwechslungsgefahr besteht. Der sitzende Riegelein-Hase hat eine aufgemalte bräunliche Schleife, sein Goldton ist etwas dunkler; der Lindt-Goldhase trägt ein rotes Halsband mit Glöckchen. Doch Lindt gab sich damit nicht zufrieden, verlangte, dass der Riegelein-Osterhase aus den Verkaufsregalen verschwindet. Nun nahm der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe die Hasen unter die Lupe und befand, die Richter in Frankfurt hätten nicht hinreichend begründet, dass die Streithasen unverwechselbar sind. Es ging um viel Geld. Allein der Streitwert für die Revision beim BGH war auf 450.000 Euro festgesetzt worden. Drei Jahre später bestätigten die obersten Richter in Frankfurt nach nochmaliger strenger Betrachtung der beiden Häschen ihr Urteil. Im April 2013 – rechtzeitig zum Osterfest – beendeten sie den jahrelangen Goldhasenstreit in Deutschland und lehnten zur Freude von Riegelein ein Monopol der Firma Lindt ab. Österreichs oberster Gerichtshof dagegen hatte Lindt & Sprüngli recht gegeben. Das österreichische Familienunternehmen Hauswirth darf seinen goldverpackten Hasen wegen Verwechslungsgefahr mit dem in Österreich erst seit 1994 angebotenen Lindt-Kollegen nicht mehr verkaufen. Kein Einzelfall: Im Internet kursieren Seiten, auf denen Aldi und Lidl vorgeworfen wird, Schokolade, Pralinen, Waffelschnitten und andere Süßwaren von Markenherstellern zu kopieren. Das Bielefelder Unternehmen Dr. Oetker klagte gegen Aldi Süd und verlangte ein europaweites Verkaufsverbot für dessen Schoko-Vanille-Pudding »Flecki«, der zu stark dem eigenen Produkt »Paula« ähnle. Oetkers Erfolgspudding »Paula« wird mit einer Comic-Kuh mit Sonnenbrille angeboten. »Flecki« wird von Aldi Süd ebenfalls mit einer Comic-Kuh versehen, die statt Sonnenbrille Blümchen und Kuhglocke trägt. Beide Produkte bestehen jeweils aus Schoko- und Vanillepudding. Hervorstechendstes Merkmal beider Produkte sind die Flecken. Das Landgericht Düsseldorf entschied seinerzeit zugunsten von Aldi. Verwechselungsgefahr bestehe nicht. Die »Flecki«-Flecken seien im Gegensatz zu den »Paula«-Flecken »ohne aufsteigende Bewegung und ohne Dynamik«, befanden die Richter. Haarig geht’s auch im »Puppenkrieg« zu: Der US-Spielwarenkonzern MAG-Entertainment, Hersteller der in den USA beliebten »Bratz«-Puppen sowie Großaktionär des deutschen Puppenherstellers Zapf (»Baby Born«), warf der Firma Mattel, die die »Barbie«-Puppe herstellt, Spionage vor. Der »Barbie«-Hersteller bezichtigte umgekehrt das MAG-Entertainment, die Idee zu den »Bratz«-Puppen von ihm geklaut zu haben, und verklagte den Herausforderer im weltweiten Markt der Spielzeugpuppen auf mehrere hundert Millionen Dollar. Manchmal geht es nicht um Qualität und Leistung, sondern um die Farbe. Zwei Banken sahen jahrelang rot. Die Sparkassen und die spanische Santander-Bank bekämpften sich sieben Jahre lang. Beide beanspruchten die Farbe Rot für sich. Sie stehe für Führungsanspruch, Entschlossenheit, Stärke und Leidenschaft – angeblich die Grundeigenschaften aller Banker. Dafür lohnt es sich zu kämpfen und auf den Gerichten viel Geld auszugeben. Man kann es sich bei den Kreditzinsen ja zurückholen und bei den Einlagenzinsen sparen.